Vereinsamter Nachbar (längerer Artikel)

Hallo @all,

es geht um einen allein lebenden, etwa 65jährigen Mann (G.), der in der Nachbarschaft meiner Mutter in dem von seinen Eltern geerbten Haus lebt.

Als meine Eltern 1976 in die Nachbarschaft zogen, fiel sofort die gut 2m hohe Hecke ins Auge, hinter der G. mit seinen Eltern in einem Haus lebte. Der Vater (Frührentner) war Typus extrem aggressiver Querulant, die Mutter eine stille, zurückgezogene Frau. Kontakt hielt die Familie zu niemandem.

Ende der 70iger starb der Vater (etwa im Alter von 65 Jahren). Die Mutter hielt sich bald darauf einen Hund und kam durch die Spaziergänge häufiger raus. Sie war immer freundlich, sprach auch das eine oder andere Wort, suchte von sich aus jedoch keinerlei Kontakt.

G. galt als ruhig, sehr wortkarg und kontaktscheu, alles in allem ein freundlicher Mann. Er hat das Haus seiner Eltern nie verlassen, und soweit bekannt, nie eine Beziehung oder Freunde gehabt. Man sah ihn bis zur Rente jeden Morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, ein seltsam altmodisch gekleideter, hagerer Mann.

Nach dem Tod der Mutter vor etwa 4 Jahren sah G. zur Testamentseröffnung nach Jahren seine Schwester wieder. Sie lebt mit ihrer Familie etwa 100km entfernt und hat(te) keinen Kontakt zu Eltern und Bruder.

Nach dem Tod der Mutter schien sich zunächst nichts zu verändern. Seit einiger Zeit beginnen sich die Nachbarn (so auch meine Mutter) jedoch Sorgen zu machen: G. kümmert sich nicht mehr um Haus und Garten (womit er früher sehr viel Zeit verbracht hat), tagsüber bleiben die Rolläden immer verschlossen, und er geht kaum noch aus dem Haus. Die inzwischen wild wuchernde Riesenhecke schneidet er z.B. nachts, vermutlich um niemandem zu begegnen.

Eine Nachbarin hat ihn vor einiger Zeit zufällig im Supermarkt gesehen: Er soll stark abgemagert sein, unrasiert und abgerissene Kleidung tragen (früher undenkbar). Er grüßt zwar noch, ergreift aber „die Flucht“ sobald man sich ihm zu nähern versucht. Kontakte nach außen scheint er keine zu haben.

Was kann man für ihn tun? Anders gefragt: Soll man etwas tun?
Der Nachname seiner Schwester ist uns nicht bekannt, sonst könnte man sie informieren?

Vielen Dank für Tipps und viele Grüße
Diana

Hi,

informiere die Behörden und weise auf die drohende Verwahrlosung der Person hin.

Ich nehme nicht an, daß ein überfallartiger Kontaktversuch von Nachbarn, dem Mann helfen könnte, außer ihn noch mehr in die Isolation zu treiben.

gruss
winkel

unsere Vermieterin lebt so ähnlich
Hallo Diana,

unsere Vermieterin ist in einer ähnlichen Lebenssituation. Bis zum Lebensende ihrer Eltern war sie hauptberuflich Tochter und hat für sich kein Eigenleben entwickelt. Jetzt lebt sie alleine, und geht fast nie vor die Tür.
Wir, in ihrer Nachbarschaft (eine Frau gegenüber, eine Frau in der Straße und wir im selben Haus), melden uns ab und zu bei ihr, bringen mal Obst und Gemüse aus dem Garten mit, mal ein Stück Kuchen, mal eine Anfrage aus welchen Gründen auch immer. Es geht immer um die Nachfrage um ihr Wohlergehen. Versuche sie mehr aus dem Haus zu locken sind gescheitert. So beschränken wir uns auf ein sporadisches Anklopfen an ihre Tür, und mehr als Hilfe anzubieten können wir nicht. Aus ihrem „Gefängnis“ muss sie sich selber befreien.

viele Grüße
Claudia

Hallo,

informiere die Behörden und weise auf die drohende
Verwahrlosung der Person hin.

was soll das bringen ? Das er wieder „gesellschaftskonform“
oder „Normkonform“ gespritzt wird ? Einen Vormund bekommt ?
Mir erscheint das in jeden Fall a) wider seine Natur
b) das Ende jeglicher (individueller) Freiheit.
Der Mann scheint doch von Natur (resp. Erziehung) aus keine
sonderlichen Interessen an sozialen Kontakten zu haben.
Nach dem Austritt aus dem Arbeitsleben fallen sogar die mit
den Kollegen weg. Das er für die Norm jetzt besonders
absonderlich erscheint ist wenig verwunderlich, da soziales
Interagieren eine Fähigkeit ist, die ständig trainiert werden
muß. Auch wenn die Verwahrlosung evtl. auf eine Suchtproblem
zurückführbar wäre, würde ich es für unangemessen halten,
dies bei den Behörden „zu melden“. Es ist absolut sein Ding,
solange er nicht zur Gewaltätigkeit neigt.

Ich nehme nicht an, daß ein überfallartiger Kontaktversuch von
Nachbarn, dem Mann helfen könnte, außer ihn noch mehr in die
Isolation zu treiben.

Zwischen 30 Mann Aufmarsch vor seiner Wohnung („Überraschung“)
und keinerlei Versuche, gibt es wohl noch feine Zwischenstufen.
Das könnte damit anfangen ihn als Mensch zu respektieren,
ungeachtet seiner Sonderheiten.

Gruss
Enno

2 Like

Normkonformes Verhalten
Hallo Enno,

Das könnte damit anfangen ihn als Mensch zu respektieren, ungeachtet seiner Sonderheiten.

vielleicht noch eine kleine Ergänzung von meiner Seite:

Die Absicht ist keinesfalls, G. in eine Norm zu pressen oder zu einem normal = unauffällig funktionierenden Mitglied der Gesellschaft zu machen, das wollte ich durch meine längere Beschreibung klarmachen.

Wenn er sich immer mehr zurückzieht, ist das ganz allein seine Entscheidung, seine von ihm gewählte Lebensfrom, die ihm niemand streitig machen möchte.

Wir sind nur deshalb beunruhigt, weil G. all die Dinge, die er bis vor wenigen Monaten gern und mit viel Verve gemacht hat (Pflege seines Gartens/Pflanzen und Ernten von Obst und Gemüse, ‚sein größtes Hobby‘, wie er selber mal sagte), jetzt völlig schleifen läßt.

Es geht nicht darum, daß der Mann mit seinem Verhalten das Gesamtbild einer beschaulichen Nachbarschaft stört, sondern daß er nicht sehr glücklich wirkt.

Wie können wir uns ihm nähern und einfach nur nach seinem Befinden fragen, OHNE daß es bedrohlich auf ihn wirkt?

Viele Grüße
Diana

1 Like

spürbar gegenwärtig
Hallo Diana,

Wie können wir uns ihm nähern und einfach nur nach seinem
Befinden fragen, OHNE daß es bedrohlich auf ihn wirkt?

Ein unangemeldeter Besuch muss auf ihn nicht unbedingt bedrohlich wirken, aber vielleicht wird er verschlossen sein, und sparsam darauf reagieren.
Wenn er so ein Gartennarr ist, dann kennt er sich sicher gut in dem Metier aus. Kann man ihn denn nicht um Rat oder um ein Gartenbuch zum Nachschlagen fragen? Schimmel an den Apfelbaumästen, welche Pflanzen vertragen sich am besten bei einer Neueinpflanzung, Schädlingsvermeidung usw.
Danach die zaghafte Frage, ob er momentan nicht soviel Zeit zum garteln hat, oder ob er Hilfe im Garten braucht, oder ob er krank ist…

Ich stelle mir vor, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt: entweder läßt man ihn in Ruhe mit allem Wohl und Wehe, oder man spricht ihn an (entweder offen oder verdeckt).
Persönlich fände ich es absolut vertretbar ihm offen zu sagen, dass man mit Sorge seine Zurückgezogenheit beobachtet hat, und möchte nicht den Unterlassungsfehler begehen, ihn irgendwelchen Unwegbarkeiten alleine zu überlassen. Wenn er aus welchen Gründen auch immer (ihm ist die Nähe einer anderen Person lästig, er schämt sich gefragt worden zu sein, er glaubt in absehbarer Zeit wieder besser zurecht zu kommen und möchte eine beginnende Abhängigkeit vermeiden) Hilfe ablehnt, dann soll man dass freundlich zur Kenntnis nehmen, und sich dann auch ohne große Worte zurückziehen.
Aber es nichts verloren, er weiss, dass es Leute gibt, die ihn wahrnehmen. Und wenn er wirklich mal über mehrere Tage nicht vor die Tür geht, würde ich mich nicht scheuen, ihm anzubieten einen Einkauf zu tätigen (ich fahre gerade zum Edeka, brauchen Sie etwas), etwas zum Essen anzubieten (wir haben soviel Braten übrig, das schmeckt auch mit Senf und Brot gut), ihm vielleicht sogar eine Visitenkarte mit der eigenen Telefonnummer zu geben, wenn er einen Arztbesuch nicht alleine organisieren kann.

Die Gründe für Zurückgezogenheit sind vielleicht nicht die selben wie die für Mißtrauen. Und Mißtrauen sind eine verständliche Reaktion für einen Menschen, dem es nicht gut geht. Das sollte man nicht persönlich nehmen, sondern mit winzigen aber steten Schritten abbauen: also zuverlässig präsent sein, aber nicht aufdringlich, also nicht auf Biegen und Brechen ein Vertrauensverhältnis aufgebauen wollen.
Sein „nein, ich will keine Hilfe und keinen Besuch“ haben Vorrang vor allen eigenen Zielen und Befürchtungen.

Ich glaube, dass man auch akzeptieren muss, wenn gute Absichten nicht erwünscht sind. Genauer betrachtet sollte es einem auch reichen seine Hilfe anzubieten, denn er muss die Hilfe wollen, für einen selbst verändert sich nichts, egal, ob man hilft oder nicht. Oder anders gesagt, es geht ums Loslassen können (ich kann es nur platt formulieren), also jede seiner Entscheidung anzunehmen.

viele Grüße
Claudia

1 Like

Was kann man für ihn tun? Anders gefragt: Soll man
etwas tun?

Hi Diana, ohne psych. Kenntnisse und einfach aus dem Bauche heraus würde ich sagen : Eindeutig ja.

Stell dir vor, der Herr begeht aus Einsamkeit und Verzweiflung einen Selbstmordversuch - das würde bei mir riesige Schuldgefühle hervorrufen. Man weiß ja nie, wie es in einem Menschen ausieht, noch dazu, wenn der sich völlig verschließt.

Möglicherweise ist er von seinen Eltern überbehütet worden, bekam jedwede Entscheidung abgenommen, alle Planung, alle Tätigkeiten des täglichen Lebens wurde für ihn übernommen, alles wurde ihm angewiesen. Das fehlt nun jetzt, er ist völlig auf sich allein gestellt. Die Situation, nach so vielen Jahren plötzlich die volle Verantwortung für sich selbst tragen zu müssen, überfordert ihn möglicherweise komplett, ist eine scheinbar auswegslose Situation für ihn. Seine Arbeit, die ihm viell. eine stundenweise Flucht aus dem goldenen Käfig ermöglichte, ist nun auch weggefallen. Möglicherweise kommt er sich nun komplett nutzlos vor, er hält sich vielleicht für einen Versager und alles erscheint ihm sinnlos.

Der Empfehlung eines Vorredners möchte ich mich anschließen, ihn also bei Problemen im Garten zu konsultieren, oder ihn den Garten in urlaubsbedingter Abwesenheit versorgen zu lassen, den Postkasten zu entleeren, die Blumen zu gießen o.ä.

Vielleicht braucht er das Gefühl, dass andere ihn achten, ihm etwas zu- und vor allem ihm vertrauen, und dass er nicht umsonst auf der Welt ist. Am Ende kommt man „hintenrum“ an ihn ran, ohne dass er es merkt. Vielleicht wartet er ja auch auch sehnlichst darauf, dass andere auf ihn zugehen, und da er jenes für schier unmöglich hält, ist er erschrocken, wenn es einer tatsächlich mal tut !

Und ich denke mal, die Schwester kannste in der Pfeife rauchen, hat sie sich zu Lebzeiten seiner Eltern nie um die restliche Familie gekümmert und ist nur zum Erbe- Einstreichen gekommen, wird sie auch jetzt nicht viel Positives beibringen können.

Gruß
HM

Hi Diana,

wie Du weißt ist eine Ferndiagnose und dann auch noch indirekt über eine andere Peson schlecht möglich. So was Du schreibst, übrigens in der Kürze sehr gut beschrieben, finde ich, scheint die Zurückgezogenheit „hinter der Hecke“ schon bei seinen Eltern stattgefunden zu haben. Möglicherweise hat sich „nur“ die Tochter weiterentfernt und weiter entwickelt?

Nun, was könntest Du tun? Z.B. über das Einwohnermeldeamt oder über die Polizei, denke jedoch mehr ersteres, die Schwester ausfindig machen. Ich denke, es sollte sich keine Behörde einschalten. Solange man eine Möglichkeit für sich selbst sieht zu helfen, sollte man dies auch versuchen. Die Frage ist, wie ist sein Verhältnis - bei abgebrochenem Kontakt - zur Schwester? Würde das mehr nützen als schaden? Es wäre nicht mein erster Weg.

Möglicherweise ist er mit 65, nachdem nun auch seine Mutter verstorben ist, und er allein und möglicherweise einsam ist, in eine Altersdepression verfallen. Gut und hilfreich fände ich zunächst ihm freundlich zu begegnen, auch wenn er abweisend ist, dennoch in einem freundlichen Ton zu bleiben. Ihm das Gefühl zu geben, daß er etwas kann, daß seine Fähigkeiten gewünscht sind, daß er helfen kann, daß er und seine (Garten-)Tipps wertvoll sind, kann ich mir als sehr guten Einstieg vorstellen. Bedanken könntet Ihr Euch mit einem z.B. selbstgebackenen Kuchen. Wenn ihm dieser allein zuviel ist, vielleicht lädt er Euch dazu ein mit zu essen?

Falls er nur den Kuchen annimmt, würde ich nach etwas Abstand wieder mal seine Hilfe in Anspruch nehmen, sei es Garten oder Babysitter für den Hund oder Post im Urlaub annehmen… Doch dann würde ich ihn freundlich, doch etwas bestimmt, allerdings ohne merklichen Druck zu Euch in die Wohnung einladen bzw. rüberholen und in einer Art „Überraschungsparty“ ihn zu Kaffee und Kuchen einladen und etwas plauschen. Ihr könnt’ ja dann sehen wie er darauf reagiert, vielleicht kommt er mit, vielleicht öffnet er sich etwas…

Möglicherweise könnt’ Ihr ihn mal zum Einkaufen mitnehmen, weil Ihr ihm zum Schieben eines zweiten Einkaufswagen benötigt… Mögen die Beispiele nicht der Hit sein, war auch schon am Schlafen, ich finde nur, daß Ihr sehr langsam Euch ihm nähern solltet, und ohne Druck zu machen, vielleicht ihn doch auch bestimmt mal zu etwas zu bewegen zu versuchen. Natürlich kann man niemanden helfen, der sich nicht helfen lassen will. Und dieser Mensch wird wohl sich nicht um 180 Grad wandeln, doch vielleicht gewinnt er langsam wieder Interesse, seinen Garten zu pflegen und möglicherweise hat er dann Lust, z.B. u.a. an einem Seniorenverein vorort an Aktionen teilzunehmen, in einem kleinen Rahmen sich wieder auf Menschen einzulassen?

Ich stelle es mir nur sehr schwer vor, wenn man ein Leben lang etwas nicht gemacht hat, weil man sich nicht getraut hat, Bedürfnisse möglicherweise verdrängt hat, dann auf einmal loszulegen. Im Gegenteil, viele Menschen verschieben ihre Wünsche auf später und plötzlich liegen sie in der Kiste. Möglicherweise schmerzt es ihn auch zu sehr, wenn ihm dann bewußt wird, was er mit seinem „Lebensplan“ alles versäumt hat? Also, geht es liebevoll und langsam an. Und es freut mich, daß Ihr Anteil an Eurem Nachbar nehmt und nicht gleichgültig ihn links liegen läßt. Meine Anerkennung für Dich bzw. Euch!

Ciao,
Romana

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

ja - jetzt bin ich schon ein bischen spät dran aber ich habe auch noch einen Vorschlag. Manchmal ist es sinnvoll sich an die örtliche Pfarrgemeinde zu wenden. Wenn der Mann schon so lange in der Nachbarschaft wohnt ist er sicher (vielleicht auch nur nominell) Mitglied in einer der örtlichen Kirchen. Einfach beim evangelischen, bzw. katholischen Pfarramt nachfragen.
Ich bin selber auch nicht in einer Kirche, weiss aber durch meine Tätigkeit im Kriseninterventionsteam, dass es eigentlich immer einen Mitarbeiter gibt, der Erfahrung hat wie man die Kontaktaufnahme mit vereinsamten Menschen am besten angeht.

Was die Behörden angeht: die werden sich für den Mann nicht interessieren bevor sich der Müll nicht über die Hecke stapelt und er mit dem Luftgewehr auf Nachbars Katze schiesst.

Ich finde es gut, dass ihr Euch Gedanken über Euren Nachbar macht! Leider sehe ich häufig das krasse Gegenteil.

Viele Grüße
Susanne