Ich habe mich kürzlich gefragt, wie das Thema „3. Reich“ in der DDR behandelt wurde, speziell in Schulunterricht. Ich meine, gewisse Prallelen wie Einheitspartei, Zensur, Konformität, sind ja vorhanden gewesen. Sicherlich hat auch die DDR wie die BRD die Nazi-Praktiken verurteilt (zu Recht), aber wie hat man das den Schülern vermittelt, ohne sie „auf den Gedanken zu bringen“, dass sie ja momentan in einem recht ähnlichen System leben?
Wurde die Vergangenheit da etwas „frisiert“?
Hm, ich habe nicht in der DDR gelebt, weiß aber aus den Büchern, die ich mir besorgt habe, und den Kontakten mit Republikflüchtlingen, die ich hatte, dass der erste und einzige Arbeiter- und Bauernstaat nichts mit dem Dritten Reich zu tun hatte - entsprechend wurden die ganzen Reparationsleitungen an Juden, Roma und andere verfolgte Volksgruppen ausschließlich „vom Westen“ bezahlt (wegen der Kriegsreparationen hielt sich die Rote Armee gütlich - die nahmen 45 alles mit, was nicht niet- und nagelfest war). Aus diesem Grund floß die letzte Tranche an Reparatiosnleistungen an den jüdischen Hilfsfond nach Jahre dem Fall der Mauer - der rechnerische Anteil der DDR wurde beglichen.
Die DDR verstand sich als das einzige befreite deutsche Gebiet, denn nach der Diktion der SED war das kapitalische System des Westens nichts anderes als „die Fortsetzung des Faschismaus mit anderen Mitteln“, weshalb die Ultralinke im Westen (auch heute noch) als „Antifaschisten“ bezeichnen. Vereinfacht gesagt gibt es aus dieser Sicht nur ein schwarz-weiß: Kommunismus gut, Nich-Kommumnismus = Faschismus = böse.
Eine differnzierte Betrachtung der Ursachen (immerhin hatten im Reichstag von 1933 alle demokratischen Parteien, einschließlich der SPD versagt) gab es genauso wenig wie eine Entnazifizierung wie im Westen - auch hier war die Diktion: wer in der DDR lebt, ist gut, die Schlechten sind im Westen.
Bei der Bundeszentrale für Politische Bildung erhältst Du viel Material - ich denke, Band 350 und 1010 aus der „Schriftreihe“ könnten Dir weiterhelfen
Viele Grüße
Tom
Da ich auch nur ein Kind Westdeuschlands gewesen bin, kann ich lediglich darauf hinweisen, dass die DDR jedenfalls eine grundlegend andere Variante der Geschichtsverarbeitung hatte. Verurteilung Hitlers war da sehr dienlich, um sich (gerade) genug von den Machenschaften des 3. Reiches distanziert zu haben. Ideologisch war man ohnehin entschieden anders gepolt, und politisch ist das halt so immer ein Ding. Nach außen war man ein solider und ernstzunehmender Partner und/oder Konkurrent auf der internationalen Bühne. Und die Sovjetunion - einer von zwei Vetomächten - lieferte den entsprechenden Rückwind. Der Eiserne Vorhang war besonders für West und Mitteleuropa eine äußerst unangenehme, aber zu tolerierende Wunde gewesen. (Dort war der Vorhang in Abständen immer wieder zu Turbulenzen gekommen, Stichwort Luftbrücke, Kennedy…) Dass sich WestDeutschland wirtschaftlich rasch erholen konnte, war nicht nur dem Marshall Plan zu verdanken gewesen, auch dem Willen des Volkes, ganz gleich auf welcher Seite der Mauer.
In der Schule muss sich das dann mit pädagogischen und - ich würd nicht sagen frisierten, vielmehr „drumherum geschauten“ - lehrbüchern dann auch so verkauft und fortentwickelt haben.
Allgemein würd ich dir auf den letzten Teil deiner Frage antworten, dass oft nur sehr wenige erkennen, ob sie in einem System leben. Inwieweit es ähnlich ist oder nicht vermag ich persönlich nicht zu äußern.
Die DDR war industriell und technologisch bis zum 1. Drittel ihrer kurzen Geschichte noch nicht so sehr dem Westen unterlegen. Vielleicht auch sogar etwas länger. Hier sollte man nicht vergessen, dass für die Sovjetunion die DDR mit Abstand die produktivste und effizienteste „Republik“ markierte. Somit könnte man Querverbindungen zum einem relativen Wohlstand der DDR herstellen, der erst dann im Unterschied zum Westen beäugt wurde, als später die Differenzen unvermeidlich bemerkbar wurden. Das aber nur am Rande.
Wenn du hierzu mehr in Erfahrung bringen möchtest, gebe ich dir den Rat geben in alte ausrangierte (Lehr)bücher in Bibliotheken zu stöbern. Sind sicherlich aufschlussreicher.
Hallo Malanore,
das ist eine interessante, aber keine ganz einfache Frage. Da müsste man wohl jemanden fragen, der in der DDR zur Schule gegangen ist. Mit der Vermutung, dass die DDR die Nazi-Praktiken verurteilt hat, liegst du sicherlich richtig. Dazu habe ich auch etwas bei Wikipedia gefunden: 1946 wurde ein „Gesetz zur Demokratisierung der Schulen“ in der DDR erlassen, in dem der Nationalsozialismus ausdrücklich abgelehnt wurde und Werte wie Friedensliebe, die Fähigkeit zum selbstständigen Denken und eine demokratische Gesinnung betont worden waren. (http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_zur_Demokratisie…)
Wie das dann aber in der Unterrichtspraxis ausgesehen haben mag, kann ich mir nicht vorstellen. Soweit ich es im Kopf habe, wurde die Mauer ja von der DDR-Führung als „Antifaschistischer Schutzwall“ gegenüber des Westens bezeichnet und somit die BRD mit dem Dritten Reich in einen Topf geworfen, natürlich um die BRD so zu dämonisieren. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Schulunterricht in eine ähnliche Richtung gegangen war. Ich vermute, dass heikle Themen, wie z.B. die Zensur der Presse, die es eben auch in der DDR gab, einfach stillschweigend unter den Tisch fallen gelassen wurden.
Ich hoffe, das konnte dir etwas weiter helfen!
Viele Grüße,
Johnny
hey Malanore,
die Erinnerung an das dritte Reich stellt einen großen Bestandteil des eigenen Selbstbildes der DDR dar. Sie betrachtete sich seit ihrer Gründung als der Staat der während des Nazi-Regimes verfolgten sozialistischen Widerstandskämpfer (vgl. BpB 2003). Und sie unternahm gewaltige Anstrengungen, alles, was nur im Geringsten mit der Nazi-Vergangenheit in Verbindung stand, aus ihrem Staat zu tilgen. Der extreme Systemwechsel trug dazu bei, dass die DDR teilweise den Bezug zur NS-Zeit als ein Teil ihrer eigenen Geschichte verlor.
In der von der SED verordneten Weltsicht der DDR wurden die Gewalttaten der NS-Zeit als extreme Form des Kapitalismus betrachtet (vgl. BpB 2003) und boten damit vielmehr eine Legitimation für das SED-Regime, als einen Grund, die eigene Staatsform zu hinterfragen. Denn der verhasste Kapitalismus war in der DDR ja besiegt und man glaubt diesmal alles richtig gemacht zu haben. Man glaubte daran, dass der Systemwechsel die Fehler der Vergangenheit berichtigt habe. Vergleiche zwischen den beiden Regimen waren daher abwegig. Selbstverständlich verbreitete auch die SED dieses Paradigma, legitimierte es doch geradezu die neue Gesellschaftsordnung.
Zwar wurde in der Schule politische Bildung zum Thema „drittes Reich“ betrieben. Allerdings wurden die Erinnerungen starr und hermetisch dargestellt und basierten auf den Vorgaben der Partei. Die Heldenverehrung der gefallen Widerstandkämpfer, die für den Sozialismus gestorben waren, spielte dabei eine herausgehobene Rolle. Untersuchungen nach Öffnung der Mauer zeigen uns heute, dass das Wissen über Unfreiheit, Minderheitenverfolgung, Unterdrückung und den Sicherheitsapparat des Dritten Reiches im Westen deutlich differenzierter war als im Osten.
Überhaupt unterlag die politische Bildung „den Regulation und Kontrollansprüchen der Partei“ mit dem Ziel:
- die Jugend zum Erbau des Sozialismus/Kommunismus zu erziehen.
- den Erziehungsanspruch der Partei zu etablieren
- ideologische Homogenisierung der Jugend voranzutreiben (vgl. HANDRO 2002, S. 237)
Es ist daher nachvollziehbar, dass die Bildung über das 3.Reich in der DDR weniger der Vermittlung der historischen Tatsachen diente, sondern mehr dazu gedacht war, das Paradigma vom bösen NS-Staat und dem guten SED-Staat weiter zu verstärken.
Ich hoffe, ich habe dir helfen können. Falls es noch weitere Fragen geben sollte, kannst du jederzeit fragen.
Mit freundlichen Grüßen
JFBx
Bundeszentrale für politische Bildung/BpB (Hrsg.): Keine gemeinsamen Erinnerungen. 2003. Entnommen am 30.5. 2011 - http://www.bpb.de/themen/I7J6EN,0,0,Keine_gemeinsame…
HANDRO, Saskia: Geschichtsunterricht und historisch-politische Sozialisation in der SBZ und DDR (1945-1961). Eine Studie zur Region Sachsen-Anhalt. Weinheim 2002.
Vielen Dank für eure ausführlichen Antworten. Doch die meisten gehen am Kern meiner Frage vorbei.
Ich hatte mir halt vorgestellt, wie ich als Schüler in der DDR reagiert hätte, wenn mir der Lehrer das NS-System erklärt, mit seiner Ein-Parteien-Landschaft, der Medienkontrolle usw. Da wäre mir doch schnell der Gedanke gekommen, dass es in meinem jetzigen Heimatland doch recht ähnlich aussieht und hätte es in Frage gestellt.
Aber wahrscheinlich kommen da Teile aus allen Anworten zusammen:
-Man erkennt die Ähnlichkeiten der Systeme nicht, wenn man sich selbst darin befindet (ich als Jhg. '83-„Wessi“ hab da ja auch leicht reden).
-Das SED-System wird wohl dafür gesorgt haben, die Unterschiede beider Regimes hervorzuheben und die Gemeinsamkeiten eher etwas zu unterschlagen.
Hallo, Entschuldigung, dass ich mich jetzt erst melde, aber es geht manchmal nicht so ganz schnell.
Als Ende April 1945 die „Gruppe Ulbricht“ in Berlin ankam, um - zumindest im russisch besetzten Teil Deutschlands - die Macht zu übernehmen, war das weitere Vorgehen schon klar:
Klarer Schnitt gegeenüber dem „Faschismus“ (Der Begriff Nationalsozialismus wurde, da er eben auch das Wort „-sozialismus“ enthielt, um gesamten sowjetischen Machtbereich nicht verwendet), Schaffung verschiedener Parteien neben den Kommunisten/später der SED, d.h. es gab formell kein Einparteiensystem wie bei den Nazis.
In der SBZ/DDR galten folgende grundsätzliche Aussagen:
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Nachfolgestaat des Naziregimes ist die BRD; bei uns gibt es keine Nazis mehr.
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Der Widerstand gegen die Nazis wurde - so die offizielle Geschichtsschreibung - vorwiegend und führend von den Kommunisten geleitet.
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Da der westdeutsche Revanchismus den Aufbau des Sozialismus in der SBZ/DDR verhindern will, sind Abwehrmaßnahmen zwingend erforderlich.
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anders als bei den Nazis will bei uns das Volk die für den Aufbau des Sozialismus notwendigen Einschränkungen; „Opfer müssen gebracht werden“
Diese Grundsätze verbunden mit einer ständig stärker werdenden Abgrenzung gegenüber dem „Westen“ führten bei der älteren Generation, die die Naziherrschaft noch erlebt hatte, bis in die Fünfziger Jahre hinein zu dem Gefühl es sei hinsichtlich der Restriktionen besser als bei den Nazis, und für die „im Sozialismus“ aufgewachsenen jüngeren Menschen gab es mangels Vergleichbarkeit lange Zeit überhaupt kein Gefühl der Unterdrückung und Repression.
Auch heute noch wird man von ehemaligen DDR-Bewohnern manchmal hören: "Na klar, hatten wir gewisse Probleme, aber der Zusammenhalt war größer, die soziale Sicherheit war besser usw.
Dafür haben viele den Druck, die Zensur und dergleichen in Kauf genommen.
Vielleicht hilft das ein bißchen.
Gruß
kmb
kann ich leider nicht beantworten.