Mich würde interessieren, wie Außenstehende folgende Situation bzw. das Verhalten des Arztes einschätzen:
Pat leidet seit ihrer Jugend (Alkoholikerkind, sexueller Missbrauch, zwei Selbstmordversuche als Teenager) an Depressionen mit gelegentlichen kurzen manischen Episoden. Nach gescheiterten Psychotherapie-Versuchen im jungen Erwachsenenalter verläuft ihr Leben lange Zeit mehr oder weniger „normal“. Mit 40 rutscht sie nach dem Ende einer Beziehung wieder in eine depressive Phase. Diese äußert sich nicht mit den klassischen Symptomen, die man mit Depressionen verbindet, wie Traurigkeit etc., sondern im Wesentlichen mit massiven Konzentrationsstörungen und gleichzeitiger Antriebslähmung; Pat sitzt oft viele Stunden am Tag mehr oder weniger reglos da, während sich in ihrem Kopf die Gedanken überschlagen. Telefonieren ist Pat völlig unmöglich, und gelegentlich kommen Panikattacken hinzu, wenn sie außerhalb des Hauses unterwegs ist. Meist kann sie sich aber in der Öffentlichkeit „zusammenreißen“ und vergleichsweise selbstbewusst auftreten, weshalb Außenstehende nicht vermuten, dass sie psychische Probleme hat.
Pat gelingt es, eine Behandlung bei Dr. Psych zu beginnen. Dieser nimmt sich von Beginn an recht wenig Zeit für Pat und probiert zunächst verschiedene Medikamente - zeitweise vier veschiedene gleichzeitig - aus. Trotzdem geht es Pat nicht besser, ganz im Gegenteil - je nach Medikamentenmischung kommen nun zu den eigentlichen Symptomen mehr oder weniger heftige Nebenwirkungen hinzu. Mehrere Blutuntersuchungen eines unabhängigen Labors ergeben, dass der Körper von Pat Psychopharmaka zu schnell verstoffwechselt. Als Pat daraufhin die medikamentöse Behandlung in Absprache mit Dr. Psych abbricht, fällt sie aber in ein tiefes Loch und zu den eigentlichen Symptomen kommen unkontrollierbares Weinen und Suizidgedanken hinzu. Deshalb begibt sie sich nach einer mehrmonatigen Pause wieder in Behandlung bei Dr. Psych.
Weitere Hintergrundinformation: Pat ist alleinerziehend und verfügt am Wohnort von ihrer ebenfalls alleinerziehenden Schwester abgesehen über keinerlei soziales Netzwerk. Sie ist freiberuflich tätig und erhält ergänzende Leistungen vom Jobcenter.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist bzw. war sie seit etwa einem Jahr wieder in Behandlung und krank geschrieben. Pat unternimmt zwar alles, um ihre freiberufliche Tätigkeit aufrecht zu erhalten, ist aber stark eingeschränkt und benötigt die Krankschreibung, um dem Jobcenter gegenüber nachweisen zu können, warum ihre Einkünfte zurückgegangen sind; sie erhält aber keinerlei Krankengeld oder sonstige Vergünstigungen. Dies hat Pat auch Dr. Psych mehrmals erläutert.
Allerdings fällt die „Behandlung“ seit der Wiederaufnahme noch kürzer aus als zuvor: Der monatliche Termin dauert jeweils keine fünf Minuten; Dr. Psych fragt nur kurz, wie es geht, und stellt dann ein neues Rezept und eine Verlängerung der Krankschreibung aus. Zumindest war dies so bis zu einem Termin vor ein paar Monaten. Beim Termin zuvor hatte Pat noch erwähnt, dass sie mit ihrer Schwester eine Wochenendreise machen würde, die ihr diese zum Geburtstag geschenkt hatte; Dr. Psych sagte dazu nichts. Als Pat dann aber davon sprach, diese Wochenendreise gemacht zu haben (bei der sie absolut nichts selbst machen musste außer ein- und wieder auszusteigen), verlor Dr. Psych die Fassung und wurde laut: Wer eine Reise machen könne, sei auch nicht krank. Und überhaupt würde Pat nur nicht arbeiten wollen, sie könne doch zumindest irgendwo putzen, und die Medikamente nehme sie auch nicht. Trotz Pats Bitte, ihr jetzt und sofort Blut abzunehmen, um es auf das Medikament hin zu untersuchen, tat dies Dr. Psych nicht; alle persönlichen Details bezüglich Familie und Berufstätigkeit, die Pat ihm in den vergangenen Jahren erzählt hatte, schien er nicht mehr zu wissen. Erst als Pat in Tränen ausbrach, willigte er ein, die Behandlung und die Krankschreibung fortzusetzen - mit der Begründung, er habe ja jetzt gesehen, dass sie „authentisch weinen“ kann.
Bei den folgenden Terminen meinte er dann aber stets, die Krankenkasse würde ihm Druck machen und es müsse jetzt etwas geschehen, es könne nicht sein, dass sich Pats Zustand einfach nicht verbessere; an der eigenen Behandlung änderte er jedoch nichts. Da eine stationäre Therapie wegen der fehlenden Betreuung für die Kinder nicht in Frage kommt, schlug er eine Mutter-Kind-Kur vor, leistete aber keinerlei Hilfestellung. Pat, die von der Recherche eigentlich völlig überfordert ist, forderte bei der Rentenversicherung und der Krankenkasse die entsprechenden Unterlagen an, hatte diese aber nicht rechtzeitig zum nächsten Termin - heute - erhalten. Dr. Psych meinte daraufhin, sie solle noch vor seinem Urlaub damit vorbeikommen; ausgerechnet während des von ihm genannten knappen Zeitfensters kann Pat nicht, da sie in dieser Zeit ihre Nichte betreut (es sind Sommerferien und ihre Schwester hat keine andere Betreuungsmöglichkeit). Er akzeptiert nicht, dass sie ihm die Unterlagen zusendet, sobald sie selbst sie erhalten hat, und auch einen Termin nach seinem zweiwöchigen Urlaub will er nicht - entweder kommt sie noch vorher oder das ist der Beweis, dass sie gar nicht krank ist. Vor der Sprechstundenhilfe sagt er zu Pat, dass er glaube, dass sie gesund genug zum Arbeiten sei. Und als Pat erwidert, dass sie doch arbeite, aber eben nur eingeschränkt dazu in der Lage sei, sagt er: „Na, dann brauchen Sie mich auch nicht!“ und lässt die weinende Pat bei der Sprechstundenhilfe stehen.
Dass das Arzt-Patient-Verhältnis zerrüttet ist, steht außer Frage - aber ist das Verhalten des Arztes insgesamt in Ordnung oder doch eher unprofessionell? Pat ist völlig verunsichert und zweifelt an ihrer eigenen Wahrnehmung bezüglich des Krankheitswertes ihrer Konzentrationsstörungen und der Antriebslähmung (die sie aber de facto nicht nur bei ihrer Berufstätigkeit, sondern auch im übrigen Alltag stark einschränken). Und an wen kann sich Pat (vorzugsweise online) wenden, um a) ohne monatelange Wartezeit einen neuen Psychiater zu finden und b) um sich gegebenfalls über den Arzt zu beschweren?
Vielen Dank fürs Lesen dieses langen Textes!