Verhaltensbiologie von Tierverbänden

Hallo,

ich hoffe, meine Frage eindeutig formulieren zu können.
Was sind die größten Tierverbände (kann man das so nennen) zu Land, im Meer und in der Luft? Auch bei Insekten (keine Bienen) würde mich das interessieren.
Wie verhalten sich diese Verbände, sind sie immer im Verbund oder auch solitär zwischendurch? Wie ist die Rangordnung in solchen Verbänden?
Wie wird die Nahrung beschaffen, einzeln oder im Verbund? Wie ist das Sozialverhalten von großen Tiergruppen? Gibt es immer einen „Anführer“ oder mehrere? Sind die Aufgaben von Anfang an festgelegt (genetisch), gibt es überhaupt Aufgaben wie bei den Bienen bspw.?
Welcher Tierverbund ist der erfolgreichste und warum? Welchen Tierverbund könnte man am ehesten mit menschlichen Organisationsstrukturen vergleichen?

LG
Michael

Hallöchen

Was sind die größten Tierverbände (kann man das so nennen) zu
Land, im Meer und in der Luft?

Die größten Verbände sind eher anonyme Aggregationen, in denen sich die einzelnen Individuen untereinander nicht wirklich „kennen“.
Daher, wenn du jetzt auf die größten scharf bist, kann man nicht wirklich von Anführern, Aufgabenverteilung usw sprechen. An Land sind heutzutage (Insekten hier ausgeklammert) sicherlich die afrikanischen Herden von ziehenden Pflanzenfressern mit die beeindruckensten.
Im Wasser haben wohl die großen Heringsschwärme die Nase vorn, und in der Luft, wird es wohl einer der Zugvögelschwärm sein… der Star zB.

Auch bei Insekten (keine
Bienen) würde mich das interessieren.

Auch hier sind es in der tat die „anonymen“ Verbände, die alles toppen. Ameisenstaaten können einige zehntausend Tiere umfassen, Termitenstaaten sogar einige Millionen…aber mit den Massen und Massen an Wanderheuschrecken, die sich zusammenfinden können wenn sie in ihrer Schwarmphase sind, können beide Tierarten nicht mithalten - das sind Milliarden!

Wie verhalten sich diese Verbände, sind sie immer im Verbund
oder auch solitär zwischendurch?

das kommt eben drauf an… Schwarmfische leben oft ihr gesamtes Leben im Schwarm und kümmern regelerecht und sterben bald, wenn man ihnen die Möglichkeit dazu nimmt. Bei Vögeln kann es eben sein, dass sie sich nur außerhalb der Paarungs- und Fortpflanzungszeit zusammen finden, oder dass sie sich gerade zur Jungenaufzucht zusammenrotten…je nachdem. Kann man so pauschal nicht sagen.

Wie ist die Rangordnung in
solchen Verbänden?

Wie gesagt, da die größten Verbände oft anonym sind, gibts da auch keine wirkliche Rangordnung. In Herden, Rudeln, Rotten usw sieht das natürlich anders aus…da gibts oft ein bis wenige Leittiere, oder ein Geschlecht dominiert das andere und/oder es gibt noch ganz ausgeklügelte Dominanzhierarchien (zB Schimpansen) usw

Wie wird die Nahrung beschaffen, einzeln oder im Verbund?

Nahrung ist für große Schwärme ein wichtiges Thema. Tiere können eigentlich nur schwärmen, wenn die Nahrung auch massenhaft auftritt. Für Nahrungsspezialisten, die womöglich noch intensiv nach der Nahrung suchen müssen, wäre eine große anhäufung von artgenossen eine zu große Konkurrenz. Im Schwarm ist sich jeder selbst der nächste was das angeht…kann er aber auch sein, weil es wie gesagt in der Regel genug für alle gibt.

Wie
ist das Sozialverhalten von großen Tiergruppen? Gibt es immer
einen „Anführer“ oder mehrere? Sind die Aufgaben von Anfang an
festgelegt (genetisch), gibt es überhaupt Aufgaben wie bei den
Bienen bspw.?
Welcher Tierverbund ist der erfolgreichste und warum?

> ich muss jetzt leider erst mal schlafen, mich befällt gerade Müdigkeit… wenn dir später am tag noch keiner was schönes dazu erzählt hat, schreib ich später noch was dazu ^^

Welchen
Tierverbund könnte man am ehesten mit menschlichen
Organisationsstrukturen vergleichen?

Der Mensch pflegt ja eine ziemlich einzigartige Organisationstruktur heutzutage. Er lebt in (mehr oder weniger) monogamen Paarbziehungen (ich schließe hier jetzt einfach mal die Vielehen zB mit ein), die sich ihrerseits wieder in ein großangelegtes, komplexes soziales Gefüge eingliedern. Sowas gibts im Säugerreich meines Wissens nicht noch einmal. Entweder leben die Tiere zB halbwegs monogam (zB Gibbons), und dann aber abgesehen vom eigenen Nachwuchs von anderen Artgenossen eher isoliert. Oder sie leben zB in ein- oder gemischgeschlechtlichen Herden, wo keine festen Paarbindungen existieren. Oder sie leben einzelgängerisch und treffen sich nur zur Paarung. Oder sie bilden kurzzeitig Harems… oder oder oder. Aber paarbildende Säuger innerhalb eines großen dauerhaften Sozialkomplexes gibt es meines Wissens nach außer beim Menschen so nicht (wobei das ja auch beim Menschen nicht die einzige Organisationsform, und wohl auch stark kulturell geprägt ist). Am ehesten könnte man die menschliche Sozialform wohl noch mit einigen Vogelarten vergleichen. Viele Seevögel leben zB in festen Paaren, brüten aber in großen Kolonien (natürlich zeitlich begrenzt). Oder Aras sind auch ein bekanntes Beispiel dafür, dass sie feste Paare bilden. Aber die machen es genau umgekehrt, und suchen sich zur Fortpflanzung ein ruhiges Plätzchen zu zweit und verbringen die restliche Zeit in größeren Gruppen.

Lieben gruß
Aj

Hallo,

herzlichen Dank für Deine ausführliche Antwort! Wenn Du noch möchtest, kannst Du ja diese eine Frage noch beantworten.

LG
Michael

Huhu!

So, jetzt hab ich nochmal Muse für ne ergänzende Antwort :wink:

Wie
ist das Sozialverhalten von großen Tiergruppen? Gibt es immer
einen „Anführer“ oder mehrere?

Also wie gesagt, in den größten Verbänden gibt es keine Anführer, hatte ich ja schon ausgeführt. Deswegen mach ich es mal eine Nummer kleiner um hier darauf einzugehen.
Je nach Tierart gibt es ganz verschiedene Organisationsformen.

Ein paar Beispiele:
Löwen: Das typische Patriachat… ein Rudel von um die 20 Tiere (mal mehr, mal weniger) wird von einem oder wenigen (oft miteinander verwandten) Männchen dominiert. Sollte ja bekannt sein. Interessant ist dazu vielleicht noch anzumerken, dass die Weibchen sich aber nicht alles komplett teilnahmslos gefallen lassen. Es ist ja üblich, dass bei einer Machtübernahme durch ein fremdes Männchen, die vorhandenen Jungtiere oft getötet werden, um dafür zu sorgen, dass die Damen bald wieder empfängnisbereit sind. Ich habe mal eine Doku über ein Löwenrudel gesehen, wo der Rudelchef von zwei Brüdern vertrieben wurde. Sofort ist eines der Weibchen mit allen Jungen (fremden und eigenen)losgezogen und hat das Rudel verlassen. Die Weibchen des Rudels haben aber keinesfalls sofort die neuen Chefs akzeptiert sondern sich stark geziert und sie mehrere Tage nicht akzeptiert. Das war mir neu, ich dachte dass die Damen das übliche Vorgehen in diesem Fall mehr oder minder stoisch ertragen.
Auch gibt es Löwen, die nicht im allgemein bekannten Rudel miteinander leben. Jedenfalls nicht im engsten Sinne. Und sie verhalten sich generell etwas anders als ihre Verwandten in den Savannen. Die Rudel splitten sich und die Tiere ziehen zum Teil nur zu zweit oder dritt durch die Wüste und treffen nur alle paar tage aufeinander. Dort werden jungtiere auch nicht getötet (Googletip: Wüstenlöwen, es gibt auch eine schöne Doku drüber, vielleicht läuft die bald ja mal wieder)

Hyäne: Typisches Matriachat, also ein Weibchen hat das sagen. In Hyänenrudeln gehts recht heiß her…da gibts immer Trubel. Da wird mit harter Hand ausgefochten, wer das sagen hat. Aber im Unterschied zu zB Wildhunden oder Wölfen (Alphapaar, nur dieses pflanzt sich fort), kann sich nicht nur das ranghöchste Weibchen fortpflanzen, sondern auch andere. Übrigens können Hyänenrudel bis zu dreistellige Dimensionen annehmen, sind also für Raubtierrudel recht groß.

Wildkaninchen: Diese leben in Kolonien, die aus ungefähr einem Dutzend erwachsenen Tieren besteht und ihren zahlreichen Jungtieren. Die Rangordnung wird zwischen den Geschlechtern streng abgegrenzt. Die Männchen haben ein Leittier, und die Wiebchen haben ein eigenes Leittier. Wildkaninchen sind extrem terrtorial und verteitigen ihr Revier aggressiv gegen fremde Tiere.

Hirsch: Außerhalb der Brunft leben die Weibchen und Männchen in voneinander getrennten Rudeln. Bei den Männchen wird die soziale Stellung regelmäßig ausgekämpft, also mehr oder weniger, was man erwarten würde. Diese Rudel sind allerdings nicht stabil…immer wieder wandern Tiere ab und stoßen dazu, die Rangvorherrschaft bleibt nicht ewig bei nur einem Hirsch.
Die Hirschkühe und Jungtiere (Kahlwild genannt, weil kein Geweih) leben in einem eigenen Rudel. Es gibt auch hier ein Leittier welches die Wanderrichtung bestimmt zB…aber das wird nicht ausgekämpft oder ähnliches…das ist eher eine passive Leitung. Die übernimmt in der Regel ein älteres Tier, dem die anderen freiwillig folgen. Diese Stellung bekommt das Leittier eher aufgrund seines aufmerksamen, umsichtigen Verhaltens erteilt. Ich habe bisher nur Rudel von bis zu 45 Tieren gesehen (im "Wildtierland in Meckpomm, wo ihnen die Möglichkeit gegebn wird, wiede rim offenland zu leben), sie sollen aber wohl auch bis in die hunderte Tiere umfassen können. (wikitip: Rothirsch)

Zu guterletzt will ich noch kurz das Sozialverhalten von Pavianen anreißen, speziell den Steppenpavian.
Sie haben eine ganz strikte Rangfolge, die bei den Weibchen, die stabil in der Gruppe verbleiben, auch vererbt wird (also ein weibliches Jungtier des ranghöchsten Weibchens steht in höherer Position als das rangniedrigste adulte Weibchen). Die Männchen wandern bei Geschlechtsreife aus ihrer Geburtsgruppe ab und in eine andere Gruppe ein. Dort müssen sie auf der Rangfolgestufe ganz unten anfangen. Zwar sind männliche und weibliche Rangfolgen voneinander getrennt, aber die Männchen gehen teils trotzdem sehr gerissen vor und verbunden sich mit den Damen. Junge Männchen, die irgendwo neu ankommen, versuchen oft mit Gewalt in der Stufenleiter nach oben zu steigen. Sie beginnen in einer Randgruppe (im wahrsten Sinne, zuwandere müssen sich zunächst auch räumlich mit Positionen am Rand einer Gruppe begnügen), aber mit genügen Aggressionspotential haben sie sich unter Umständen schnell eine Vorherrschaft erkämpft. Aber das bringt ihnen herzlich wenig, bei den Männchen weit oben zu stehen, wenn die Damen sie dann nicht ranlassen o-o Die Damen stehen nämlich eher auf den fürsorglicheren Typ, wo auch die Jungtiere gut aufgehoben sind. Und so verweigern sie sich dem Männerchef, dem zum Teil nichts anderes übrig bleibt, als sich eine neue Gruppe zu suchen, um überhaupt nochmal eine Chance zu haben.
Und es wurde tatsächlich beobachtet, dass sie ihre taktik in der neuen Gruppe ändern. Sie arbeiten sich nicht durch Gewalt nach oben, sondern versuchen sich mehr oder weniger bei den damen „einzuschleimen“. Sie beschäftigen sich intensiv mit der Fellpflege der Damen, hüten schonmal das ein oder andere Junge und steigen so in ihrer Gunst nach oben. Und die Weibchen revanchieren sich, nehmen ihn wohlwollen auf und verteidigen denn Herren schon mal. Und vor allem, sie lassen ihn zum Zuge kommen. Indirekt erziehen sie somit ihre wilden Buben zu anständigem Benehmen :wink:

Da fällt mir ein, einen hab ich noch. Schon mal was von Nackmullen gehört? ^^Sehr bemerkenswertes Sozialverhalten, das einzigartig unter den Säugern ist. Sie leben in einem eusozialen, inzüchtigen Staat mit einer Königin, die einzige die sich fortpflanzt. Alle anderen Tiere sind Arbeiter. Die anderen Weibchen werden durch Hormone, die die Königinn absondert an der Fortpflanzung gehindert (daher: stirbt die Königin, ist praktisch ejde Arbeiterin potentiell ihre NAchfolgerin, denn dann sind alle theoretisch fortpflanzungsfähig. Aber nur eine erkämpft sich dann den Status der Koniginn und übernimmt den alten Platz… und verpaart sich dann quasi mit ihren Brüdern. ein Austausch zwischen kolonien findet nicht statt). So ein Staat umfasst in der Regel etwa 100 Tiere… unter Umständen kann er aber auch 3mal so groß sein.

Sind die Aufgaben von Anfang an
festgelegt (genetisch), gibt es überhaupt Aufgaben wie bei den
Bienen bspw.?

Also bei den Nacktmullen gibt es wie gesagt tatsächlich Arbeiter, die alle anfallenden Aufgaben übernehmen. Das heißt sie sammeln Nahrung, ziehen die Jungtiere Groß, bauen die Gangsysteme aus (diese Tiere leben unterirdisch). Einige ausgewählte Männchen stehen der Königin als Harem an der Seite und dürfen sich mit ihr verpaaren.
Beim Löwenrudel ist es klar, dass eben die Weibchen jagen gehen. In vielen Fällen herrscht aber Arbeitsteilung. Bei den afrikanischen Wildhunden versorgen alle die Jungen des Alphapaares, alle jagen.
Bei Erdmännchen gibt es immer ein oder zwei Wächter, die nach Feinden ausschau halten, wärend, die anderen nach Nahrung suchen. Außerdem gibt es einen Kindergarten, wo ein Alttier die Jungen des Familienverbandes hütet. Diese Aufgabenverteilung wechselt aber in regelmäßigen Abständen, so dass jeder für sich zur Nahrungssuche kommt. Bei den staatenbildenen Insekten gibt es auch Aufgaben, die aber strikt getrennt sind. So gibt es bei Termiten zB Soldaten, die Königinn, Arbeiterinnen, fortpflanzungsfähige geflügelte Tiere…
bei Bienen wird zB über das Futter bestimmt, was aus einer Larve mal wird. Bekommt sie viel vom sogenannten gelee royal, entsteht aus einem befruchtete Ei eine Königin, sonst eine Arbeiterin… entwickelt sich ein unbefruchtetes Ei, so entsteht eine Drohne, also ein Männchen.

Welcher Tierverbund ist der erfolgreichste und warum?

Diese Frage kann ich dir leider nicht beantworten. Auf ihre Art sind sie alle erfolgreich und überleben in ihrer Nische.

lieben gruß
aj

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Hallo atrox,

recht vielen Dank, für Deine Mühe!

LG
Michael