Verlaufsform auf deutsch: 'ich bin am Lesen'

Hallo zusammen!
Ich habe im Urlaub „Newtons Schatten“ von Philip Kerr gelesen, wobei mir folgendes aufgestoßen ist:
„Wollt Ihr Dame spielen, Miss Barton?“
„Nein danke, Sir, ich bin am Lesen.“
Letztere Formulierung kenne ich zwar als Umgangssprache (v.a. im Ruhrgebiet?), war aber sehr erstaunt, das in einem Buch zu finden. Hat das tatsächlich Einzug ins Schriftdeutsche erhalten, oder ist dem Übersetzer ein Fauxpas unterlaufen?
Freue mich auf eure Meinungen,
Grüße,
Oliver

Hallo Oli,

obwohl ich inzwischen alles im „Schriftdeutsch“ für möglich halte, gehe ich hier von einer absichtlichen Übersetzung aus:

  1. als Versuch, die continous-Form („I’m reading“) adäquat zu übertragen, oder
  2. als Möglichkeit, ein Unterschichtenmädel(? - kenne den Roman nicht) zu beschreiben.

Gruß,

Andreas

Hallo Oliver!

Ich habe im Urlaub „Newtons Schatten“ von Philip Kerr gelesen,
wobei mir folgendes aufgestoßen ist:
„Wollt Ihr Dame spielen, Miss Barton?“
„Nein danke, Sir, ich bin am Lesen.“
Letztere Formulierung kenne ich zwar als Umgangssprache (v.a.
im Ruhrgebiet?), war aber sehr erstaunt, das in einem Buch zu
finden. Hat das tatsächlich Einzug ins Schriftdeutsche
erhalten, oder ist dem Übersetzer ein Fauxpas unterlaufen?

Das kommt doch ganz darauf an, was für eine Atmosphäre der Übersetzer glaubt, mit seiner Übersetzung wiedergeben zu müssen. Auf keinen Fall kann es dabei um Schriftdeutsch gehen, denn es handelt sich ja –auch wenn schriftlich in einem Buch abgedruckt– um eine Antwort, die Miss Barton in mündlicher Form gibt.

Ich bin am Lesen, Ich bin beim Lesen, Ich les grad was. Das wären wohl je nach Region alles vernünftige Übersetzungen von etwas mündlich Geäußertem.

Gruß nicht aus dem Ruhrgebiet, sondern aus dem Rheinland,

Gernot

PS: Bin grad gleichzeitig die Kuh am Schwanz am Stall am raus am Ziehen und am Schlepptop an der Tastatur am Tippen!

Hallo Oli,

Ich bin der Meinung, dass „ich bin am Lesen“ absolut korrektes Hochdeutsch ist.

Die Mutter war am Kochen, als Anni schreiend heimkam. (wirkt durativ)

Was ist daran auszusetzen?

Die Mutter kochte, als Anni schreiend heimkam (wirkt punktuell)

Freundliche Grüsse einer Schweizerin in Paraguay
Vreni

PS Es gibt auch Schweizer, die Deutsch können, hähähä!!!

Hallo Vreni

Ich bin der Meinung, dass „ich bin am Lesen“ absolut korrektes Hochdeutsch ist.

Das ist Deine Meinung, sie ist aber nicht Richtig!

Die Mutter war am Kochen, als Anni schreiend heimkam. (wirkt durativ)
Was ist daran auszusetzen?

Es ist nicht korrekt. Die Mutter kann am Herd stehen und kochen oder beim Kochen sein, „am Kochen sein“ ist die Rheinische Verlaufsform.(Der Bauer ist die Kuh am Melken.)

Die Mutter kochte, als Anni schreiend heimkam (wirkt punktuell)

Dann kannst Du ja auch schreiben:
Die Mutter war beim Kochen…

Viele Grüße aus Berlin
Chrischi

PS Es gibt auch Schweizer, die Deutsch können, hähähä!!!

Ach so.

Moin, Vreni,

Ich bin der Meinung, dass „ich bin am Lesen“ absolut korrektes
Hochdeutsch ist.

nein, das wird nur im Ruhrgebiet und im Rheinland so gesagt. Kommt übrigens aus Polen („Marek, lern mich deutsch!“)

Was ist daran auszusetzen?

Wenn man denn der Substantivitis verfallen ist, dann heißt es beim Kochen.

Die Mutter kochte, als Anni schreiend heimkam (wirkt
punktuell)

Da könnten wir jetzt länger drüber quatschen, wie ein duratives Kochen mit einem punktuellen Heimkommen zusammenpasst :smile:

PS Es gibt auch Schweizer, die Deutsch können, hähähä!!!

Na ja. Wozu übrigens?

Gruß Ralf

Hallo!
Vielen Dank für eure Antworten!
Dann liege ich also nicht so ganz falsch, daß das niemals Schriftdeutsch sein kann. Dann bleibt nur ein Fehler des Übersetzers, da diese Figur der britischen Oberschicht angehört und sich sonst sehr gewählt ausdrückt. Daher will das so garnicht passen.
Auch sonst ist die Sprache der direkten Rede die des 17. Jahrhunderts (in dem der Roman spielt)- also z.B. „Euch“ statt „Sie“ in der Anrede - und dieses „ich bin am Lesen“ fällt als einziger Satz im ganzen Buch aus der Rolle.
Danke nochmal und gute Nacht!
Oliver

Hallo,

„am Kochen sein“ ist die
Rheinische Verlaufsform.

siehe auch Wie die Sprache am Rhein am Verlaufen ist

http://www.kolumnen.de/sick-251007.html

Gruß
Kreszenz

1 Like

Moin, Vreni,

Ich bin der Meinung, dass „ich bin am Lesen“ absolut korrektes
Hochdeutsch ist.

nein, das wird nur im Ruhrgebiet und im Rheinland so gesagt.
Kommt übrigens aus Polen („Marek, lern mich deutsch!“)

Das ist nicht ernst gemeint, oder? Also, dass das aus dem Polnischen käme und nur im Ruhrgebiet Verwendung fände. Inzwischen benutzt man es fast im gesamten deutschen Sprachraum.

Was ist daran auszusetzen?

Wenn man denn der Substantivitis verfallen ist, dann heißt es
beim Kochen.

Du hast die Frage nicht beantwortet. Mich würde deine Antwort auch interessieren.

Meine Meinung: Es ist noch kein Standardhochdeutsch, aber es ist auf dem besten Wege, dazu zu werden. Wird noch einige Zeit dauern, aber diese Form scheint sich allgemeiner Beliebtheit zu erfreuen. Ich wüsste auch nicht, was es dagegen einzuwenden gäbe, außer die üblichen konservativen Gründe. Die Form ist alles andere als „undeutsch“ (falls das jemand behaupten sollte).

Gruß,

  • André

Moin, André,

Die Form ist alles andere als „undeutsch“

was treibt Dich dazu, dieses Unwort aus dem braunen Sumpf zu verwenden, und sei es in Tüttelchen? Wasch Dir den Mund mit Seife aus!

Zur Verbreitung der Rheinischen Verlaufsform: Wenn Du Zahlen darüber hast, dann leg sie vor. Ansonsten halte ich mich an meine Erfahrung - ich habe Dir 40 Jahre und vermutlich 12 Wohnorte quer durch die alten Bundesländer voraus.

Gruß Ralf

Hallo, allerseits !
Ein besonderes Hallo an Ralf!

Ich bin die Maggie und neu hier.
Ralf: Wie würdest Du selbst Deine untenstehende Frage beantworten? - Und wieso?

(Falls das nicht hierher gehört, bitte Antwort an mich mailen. Danke!)

PS Es gibt auch Schweizer, die Deutsch können, hähähä!!!

Na ja. Wozu übrigens?

Gruß Ralf

Moin, Maggie,

Ich bin die Maggie und neu hier.

herzlich willkommen.

Ralf: Wie würdest Du selbst Deine untenstehende Frage
beantworten?

Kann ich nicht, bin kein Schweizer.

Gruß Ralf

Zur Verbreitung der Rheinischen Verlaufsform: Wenn Du Zahlen
darüber hast, dann leg sie vor. Ansonsten halte ich mich an
meine Erfahrung - ich habe Dir 40 Jahre und vermutlich 12
Wohnorte quer durch die alten Bundesländer voraus.

So? Gut, dann ist wohl einfach deine Datenlage veraltet (ich tippe auf 40 Jahre), wie du’s beschreibst, ist’s längst schon nicht mehr. Hier in Sachsen ist die Verlaufsform sich nämlich schon am Verbreiten, wenn auch noch nicht extrem häufig hauptsächlich nur bei infinitiven Verben.

Wikipedia hat recht mit dem Satz „Diese Form wird in ihrem Entstehungsgebiet nicht nur von klassischen Dialektsprechern verwendet, sondern ist auch in der am Standarddeutschen orientierten Umgangssprache gängig.“, und nein, ich weiß nicht, woher das stammt, falls jetzt das alte Wikipedia-kann-man-nicht-trauen-Argument kommt. Ich weiß nur aus meiner Erfahrung, dass es wahr ist.

Möglicherweise wird die Verlaufsform außerhalb vom Rheinland auch eher von jüngeren Sprechern verwendet.

Grüße,

  • André

Nachtrag
Ich hatte grad den Wikipedia-Artikel weitergelesen, da fand ich ein Zitat aus dem Duden:

Laut Duden wird sie inzwischen „teilweise schon als standardsprachlich angesehen“. (Duden Bd. 9, 6. Auflage 2007, S. 62)

Ich denke, das Problem wäre dann wohl geklärt. Heute ist nicht mehr vor 40 Jahren.

Gruß,

  • André
  1. Nachtrag
    Ah! Dass mir das erst jetzt einfällt…

Wenn Du Zahlen darüber hast, dann leg sie vor.

Hier, bitteschön:

http://www.philhist.uni-augsburg.de/de/lehrstuehle/g…

Gruß,

  • André

Das sind dann pro Ort durchschnittlich (!) 6 Antworten, wobei
wohl vermutet werden darf, dass in Donauwörth deutlich weniger
Passanten befragt wurden als in Duisburg. Hoch lebe die
Statistik!

Das mag sein, macht aber nichts, da die Grafik nicht nach Zahlen geht, sondern nach Städten. Wenn in Duisburg also 100% der vielleicht 8 Leute, die da antworteten, sagen: „Ja, das sagen wir schon immer“, kriegt Duisburg einen komplett roten Punkt. Wenn in Donauwörth oder Buxtehude nur 2 geantwortet haben, jeweils einmal „Ja, seit neuestem.“ und einmal „Nee, sagen wir hier nicht.“, dann kriegen diese Städte sowohl einen gelben als auch einen blauen Punkt. So habe ich das verstanden.
Wahrscheinlich, wenn in einer Stadt 80% „Ja“ sagen und einer „Nein“, wird für der Punkt für die Mehrheit vergeben, aber das kann man dort sicherlich auch nachlesen.

Insofern ist die Statistik wieder aussagefähig und zumindest größtenteils von statistischem Rauschen und Überrepresentationen gefeit.

An der Verteilung der Punkte kannst du jedenfalls sehr gut sehen, dass es nicht mehr nur auf NRW oder gar das Rheinland beschränkt ist.

Gruß,

  • André