Vernunft und Menschlichkeit

Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen, sagte Wittgenstein und er bezog es hauptsächlich auf die Ethik. David Hume meinte:„Es ist nicht vernunftswidrig, die Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer am Finger vorzuziehen“ Daraus schliesse ich dass Vernunft nicht menschlich sein kann bzw. dass Vernunft überhaupt nichts mit Humanismus, Moral, Ethiklehre etc. zu tun hat? Das verunsichert mich, wie zum Henker entstand all das, wonach wir uns seit Jahrhunderten richten?

euer Philosophielaie

Hallo,

Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen,
sagte Wittgenstein und er bezog es hauptsächlich auf die Ethik.

das stimmt, aber es ist nicht sicher, dass diese Aussage richtig ist.

David Hume meinte:„Es ist nicht vernunftswidrig, die
Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer am Finger
vorzuziehen“

Auch diese Aussage ist angreifbar, und ihr sind auch Konzepte entgegengesetzt worden, z. B. von Kant. Die Vernunftwidrigkeit der Selbstvernichtung ergibt sich dort letzlich aus dem pragmatischen Widerspruch des Begriffs (wenn man es ganz kurz auf einen Nenner bringen will, was man eigentlich nicht kann).

Daraus schliesse ich dass Vernunft nicht
menschlich sein kann bzw. dass Vernunft überhaupt nichts mit
Humanismus, Moral, Ethiklehre etc. zu tun hat? Das
verunsichert mich,

Der Schluss ist verfrüht, weil du nur eine einzige Sichtweise, die dich überzeugt, zugrundelegst.

wie zum Henker entstand all das, wonach wir
uns seit Jahrhunderten richten?

Die Frage der Entstehung darf man nicht mit der der Geltung verwechseln.

Gruß

Bona

Worüber man nicht reden kann, darüber muss man schweigen,
sagte Wittgenstein und er bezog es hauptsächlich auf die
Ethik. David Hume meinte:„Es ist nicht vernunftswidrig, die
Zerstörung der ganzen Welt einem Kratzer am Finger
vorzuziehen“ Daraus schliesse ich dass Vernunft nicht
menschlich sein kann bzw. dass Vernunft überhaupt nichts mit
Humanismus, Moral, Ethiklehre etc. zu tun hat? Das
verunsichert mich, wie zum Henker entstand all das, wonach wir
uns seit Jahrhunderten richten?

Gerade die Aussage von Hume kann man meines Erachtens nur richtig deuten, wenn man seine „Treatise“ kennt und weiß, wie er Vernunft und Emotionen/Empfindungen im Bezug auf Moralische Urteilsfindung/Ethik bewertet. Sowas kommt immer auf den Zusammenhang an. Hier mal ein kleiner Auszug aus ner Hausarbeit über Hume, um das zu konkretisieren:

_Vernunft sei nichts anderes als „[…] die Erkenntnis von Wahrheit und Irrtum […]“ (TM, S. 198). Affekte und Handlungen aber sind nicht Gegenstand von Verifizierung und Falsifizierung, sie stehen für sich allein ohne Verweis auf andere Affekte und Handlungen, können daher nicht verglichen werden und somit der Vernunft weder ent- noch widersprechen. Diese Überlegungen führen Hume zu zweierlei Erkenntnis: zum einen liegen Wert und Unwert unserer Handlungen nicht in Übereinstimmung oder Nicht-Übereinstimmung mit der Vernunft. Zum anderen zeigen sie erneut, dass die Vernunft nicht die Quelle des sittlich Guten oder Bösen sein kann,

[…] da sie durch ihren Widerspruch oder durch ihre Zustimmung niemals
unmittelbar eine Handlung verhindern oder hervorrufen kann; während unser
Bewußtsein des sittlich Guten und des sittlich Bösen diese Wirkung hat […].
(TM, S. 199)_

Und wie Bona schon sagte: dies ist nur EINE Theorie unter vielen, die auch nur im Zusammenhang mit Humes Theorie über den Verstand und die Affekte wirklich in sich geschlossen ist. Es ist schwierig, aus einer einzigen Aussage gleich eine ganze Weltbildumkehrung ableiten zu wollen.
Ob du nun den Verstand, die Emotionen oder nen bloßen „Pragmatismus“ (i.S.d. Utilitarismus, den ich bis heute noch mit der uns angeborenen Egozentrik in Verbindung bringe:wink:, und ja: ich weiß, dass der philosophische Pragmatismus was anderes meint, daher steht der bei mir in „…“) als Quelle der Ethik sehen magst, ist letztlich Ansichtssache. All diese Theorien versuchen das „Phänomen der Ethik“ zu erklären und haben alle ihre gewisse Berechtigung.
Gruß, Dine

schliesse ich dass Vernunft nicht
menschlich sein kann bzw. dass Vernunft überhaupt nichts mit
Humanismus, Moral, Ethiklehre etc. zu tun hat?

Hallo,

nimm Dir die Zeit und lies mal
Spaemann, Robert: Glück und Wohlwollen. Versuch über Ethik.
Stuttgart (Klett-Cotta).

Ich meine, da könntest Du die Antwort auf Deine Frage finden.

Gruß
H.

Newbie antwortet…
Hi Laie,
hier auch ein Laie, und nur deshalb, weil ich 2 Threads weiter unten ne Frage gestellt habe und über Deine gestolpert bin.

Hume spricht m.E. von dem Individuum, dass nur auf seinen Vorteil bedacht ist. Jeder würde einen Iraner (Australier, Marsmensch) opfern, um sein Überleben zu sichern, warum auch nicht? Nicht übereinstimmen kann ich mit der Einschätzung die Menschheit zu opfern, um mein Überleben zu sichern. (Oder die Welt zu zerstören, um Schaden von mir abzuwenden). Zwar handelt jedes Wesen Ich-bezogen und kurzfristig (Ozonschicht, Treibhauseffekt, Kriege), aber gerade deshalb wurden doch Gesellschaften und Zivilisationen „erfunden“:
Humanismus, Ethik und Moral geben nur Sinn, wenn man viele Individuen auf einen engen Raum drängt. „Wo kein Kläger, da kein Richter“ gilt doch nur, wenn wirklich kein Kläger da ist. Sobald sich einer über mein Verhalten beschwert, urteilt die Gesellschaft, ob das gerechtfertigt ist, oder nicht. Nicht wegen irgendwelchen Philosphen, sondern aus Sachzwang entstand die heutige Gesellschaftsform: BGB, Moral, alles ist eine Folge nicht von theoretischen Überlegungen sondern von ganz pragmatischen Fragestellungen: „Was mache ich mit einem „A-sozialen“ (Dieb, Mörder, Betrüger etc.)“
Löse Dich von der Vorstellung, dass unsere Gesellschaft auf dem Reißbrett, in Köpfen, oder in Büchern „erstellt“ wurde. Sie ist gewachsen, über Jahrhunderte der langsamen Entwicklung, mit Jahrzehnten der Revolutionen, mit Jahren des Umbruchs, mit Tagen der einschneidenden Erlebnisse!
Zurück zur nicht-menschlichen Vernunft: Die Gesellschaft MUSS vernünftig werden, sonst ist sie zum Tode verurteilt. Ein Individuum ist (global gesehen) unvernünftig, da nur auf eigenen Vorteil bedacht (Steuerhinterziehung, Schwarzarbeit, Erschleichen von Leistungen), auf diese Weise würde aber auch keine Gesellschaft funktionieren. Wir brauchen Gerichte, Polizei, Bundestag um Normen und Regeln vorzugeben, an die sich ein Individuum niemals halten würde. Das zwingt die Gesellschaft „vernünftig“ zu werden, „nachhaltig“ zu denken und „uneigennützig“ zu handeln, alles Dinge, die ein Einzelner niemals freiwillig tun würde.
Lass diesen gesellschaftlichen Rahmen einige Jahrhunderte wirken, und es ist in den Köpfen der Einzelnen verankert (da sie so aufgewachsen sind). Schon hast du Humanismus (keine Sklaverei, Freiheit der Persönlichkeit), Ethik (Euthanasie, Diskriminierung) und Moral (Schutz des Eigentums, Gefängnis) in jeden Kopf gepflanzt, ohne zwingend voraussetzen zu müssen, dass jeder einzelne Kopf auch vernünftig ist!

gruß
jartUl

P.S: Probleme mit Paradoxa habe ich immer noch :wink:

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