Verschwindet das Präteritum

Hallo,

da ich seit einiger Zeit eine neue Fremdsprache lerne, habe ich angefangen, mehr darauf zu achten, wie Zeitformen in der Umgangssprache genutzt werden.

Mir kommt es so vor, als ob das Perfekt, immer mehr häufiger den Platz des Präteritums einnimmt.

So kenne ich niemanden der sagt „ich gestern ein Schnitzel“.
Praktisch jeder scheint zu sagen „ich habe gestern ein Schnitzel gegessen“.

Ist Euch ähnliches aufgefallen?

Gruß,
Steve

Moin,

das Präteritum war m.E. noch nie in der neueren Zeit in der „Sprechsprache“ verbreitet. In der Schriftsprache ist es vorherrschend.
Aber nur meine Beobachtung.

Soon

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Ja, irgendwann mal vor 40 Jahren - als ich Anfing, mir massenweise Bücher auszuleihen. Das Perfekt war immer schon das Präteritum der Alltagssprache - zumindest im Deutschen. In anderen Sprachen sieht das anders aus, aber im Deutschen wurde die Vergangenheit in der gesprochenen Sprache quasi immer schon mit dem Perfekt ausgedrückt.

In der Schriftsprache hingegen ist das Präteritum noch gut verbreitet und droht auch nicht, dem Aussterben anheim zu fallen.

Gruß
C,

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Hi,

Das Präteritum lebt nördlich des weisswurstäquators sehr wohl. Als ich Weihnachten bei meinen Eltern war, lebte es noch. Wir sprachen immer Präteritum und sprechen es immer noch. Fahr mal nach Niedersachsen oder Schleswig Holstein oder in die neuen Bundesländer.

Die Franzi

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Der Präteritumschwund ist in der Sprachforschung ja gut bekannt.
(Oder wie es mein Lieblingslinguist, Sedlaczek, ausgedrückt hat: „Das Präteritum geht in Frühpension“.)

Dieser Schwund betrifft natürlich v.a. die südlichen Bereiche des deutschen Sprachgebiets (da findet er schon seit vielen Jahrhunderten statt und hat bereits große präteritumfreie Gebiete geschaffen), breitet sich aber (dank Massenmedien und gestiegener Mobilität) nach Norden aus.

Gruß
F.

Mir ist das auch schonmal aufgefallen! Im Englischen und auch in anderen Sprachen verwendet man das ja doch noch sehr oft, im deutschen eigentlich gar nicht. Zumindest nicht, wenn man spricht. Klingt auch teilweise einfach unnatürlich, ich mache das eigentlich wirklich nie und spreche fast immer im Perfekt. Ähnliches gilt ja aber auch für das Futurum, man sagt ja auch eher „Morgen treffe ich meine Freunde“ und nicht „Morgen werde ich meine Freunde treffen!“.

Also die Schüler meiner Brennpunktschule haben extreme Schwierigkeiten mit dem Präteritum und müssen es wie Fremsprachvokabeln lernen. Seltsam fand ich vor einigen Jahren, dass ein junger Mann, der das Abitur erfolgreich gemeistert hatte, als Nachhilfekraft in meiner Klasse den Kindern nicht die richtige Form der Verben nennen konnte.

Im Gegensatz dazu ist das Präteritum innerhalb meiner Familie selbstverständlicher Teil mündlicher Kommunikation. “Gestern kam eine sehr aufgeregte Mutter zu mir“ ist bei uns Alltagsdeutsch.

Ja, zumindest in der gesprochenen Sprache, wie hier mehrfach schon erwähnt. Und zwar seit ca. Mitte des vorigen Jhdts. Und dies auch nicht überall im Lande.

Das ist umso erstaunlicher, als es die mit dem Hilfsverb haben gebildete Präsens-Form „Perfekt“ in den germanischen Sprachen ursprünglich gar nicht gab (ebensowenig wie das lateinische „perfectum“, von dem der Terminus stammt). Die mit dem Hilfsverb „sein“ gebildete Form hat derweil eine ganz andere Bedeutung und Geschichte.

Wie es sich mit der Entwicklungsgeschichte des Präteritums und Perfekts im Deutschen verhält, und wie es zum heutigen Übergewicht des haben-Perfekts im Standarddeutsch kam, dazu gibt es einen aufschlussreichen Vortrag von Daniel Scholten („Belles Lettres“) → „Präteritum oder Perfekt?“.

Wer sich dazu die Zeit nehmen mag: Es lohnt sich!

Gruß
Metapher

Servus,

ist - ohne weiteren Zusammenhang - die richtige Form von den beiden: Eine einmalige, abgeschlossene Handlung in der Vergangenheit.

Nicht abgeschlossen wäre die Handlung, wenn da z,B. stünde oder gesagt würde:

als es mir wie Schuppen von den Augen fiel, dass die positiven Auswirkungen einer Reduzierung meines Fleischkonsums auf die Hälfte bereits durch die Geburt nur eines einzigen neuen Erdenbürgers völlig zunichte gemacht würden.

Da wird nämlich nach dem Geistesblitz mit hoffentlich umso besserem Appetit weitergegessen, die Handlung ist nicht abgeschlossen.

Schöne Grüße

MM

Man wird auch Sprachen finden, in denen die Entwicklung gerade umgekehrt ist, d.h. das Präteritum das Perfekt verdrängt.
Wenn man den Indefinido als Präteritum versteht, dann findet das gegenwärtig z.B. in Teilen des lateinamerikanischen Spanisch statt.

Ich habe ja mal von der These gehört (ohne dass ich über deren Richtigkeit wirklich befinden könnte), dass das Deutsche v.a. dort das Präteritum zu Gunsten des Perfekt abgebaut hat, wo es in starkem Kontakt mit anderen Sprachen stand: in der Schweiz. im Jiddischen, im Pennsylvaniadeutsch usw…
Könnte deine „Erstaunlichkeit“ die Erklärung dafür sein?

Gruß
F.

war vor dem Hintergrund gemeint, daß das zusammengestzte „haben“-Perfekt eine relativ späte Erfindung in den germanischen Sprachen war.

Wenn man Daniel Scholten folgt, hat es ja gar nicht abgebaut. Im Gegenteil: Was die ältere Geschichte betrifft: Es blieb als bevorzugte Form erhalten in Gegenden, die der Neuerung von Anfang an weniger folgten. Und dies ebenso in der jüngeren Geschichte des XX. Jhdts., als sich das Perfekt durch die Medienwirkung ausgebreitete.

Gruß
Metapher