Waggis, Marianne und Michel
Servus,
in Cernay (Haut-Rhin). Dort wird mehr Waggis gesprochen als im
Bas-Rhin.
Die Grenze ist weiter nördlich, sie verläuft nicht mit der Départementsgrenze, sondern etwa auf der Höhe des Hagenauer Waldes: Das Unterelsässische nördlich vom Wald ist Fränkisch, das südlich vom Wald (auch in Strasbourg) und das Oberelsässische ist Alemannisch. Ganz analog zu der Sprachgrenze auf der deutschen Seite.
Wenn man die entsprechenden deutschen Dialekte versteht, kann man beide Formen des Elsässischen recht gut verstehen; umgekehrt ist es etwas schwieriger.
Meine Frau hingegen (spricht nur Deutsch), wenn die
Schwester Waggis spricht, kein Wort.
Wenn sie aus dem Rheinland ist, ist das kein Wunder. Wahrscheinlich würde sie in Reichshoffen oder Cleebourg besser zurecht kommen, weil das Fränkische dort dem Niederfränkischen aus dem Rheinland eher ähnlich ist.
„Deine Frau ist D/F Staatsangehörige, sie ist in F und hat die
Landessprache zu verstehen“ Punkt.
Die „unteilbare Nation“ ist eine der erfolgreichsten Legenden des XVIII.-XX. Jahrhunderts. Ich widerspreche Dir da nicht, was die Ideologie der Schullehrer betrifft. Aber die real existierenden Franzosen sind erst seit sehr kurzem einheitlich frankophon. Ich kannte z.B. eine junge Kollegin aus der Gegend von Lestrem mit dem urfranzösischen Namen Dekroog, deren vier Großeltern mit Mühe Französisch lesen konnten (um die arrêts préfectoraux zu verstehen), aber kaum ein paar Worte sprechen konnten. Aber Franzosen, im Garn gefärbt, waren sie dennoch. Eine andere Kollegin, aus der Gegend von Lorient stammend, konnte sich als kleines Kind kaum mit ihrer Oma verständigen, weil diese nur Gallo sprach - Ähnliches gilt für einige Basken, einige Katalanen etc.: Die eine unteilbare Sprache der einen unteilbaren Nation ist eine Erfindung, es gibt sie nicht. Umso weniger in Alsace/Lorraine, wo man in den vergangenen paar hundert Jahren so oft von einem der beiden großen Nachbarn befreit worden ist, daß man eigentlich bloß noch in Ruhe gelassen werden möchte.
Elsässer werden in ganz Frankreich für deutsche Korrespondenz eingesetzt, weil sie, soweit sie muttersprachlich einen der deutschen Dialekte Alemannisch oder Fränkisch sprechen, sehr leicht Deutsch lernen können. Daß es auch Elsässer gibt, die ohne jedes Schuldeutsch eine Art Deutsch verwenden, sieht man manchmal an für sie typischen Übersetzungsfehlern.
Es ist so dass, wie es geschrieben wurde, die Franzosen
nicht alle eine Aversion zum Deutschen haben und ob
mit Recht oder nicht es zu akzeptieren ist.
Hier darf man zwei Aspekte trennen. Einer ist ein historischer, und der ist gottseidank vorbei. In dieses Kapitel fällt etwa der alte Bauer aus der Gegend von Laon, wo mein älterer Bruder 1974ff. Ersatzdienst geleistet hat, der meinem Bruder ganz schlicht nicht glaubte, als er sagte, daß er Deutscher ist. Die Antwort war „Glaub mir, ich kenne die Deutschen, ich habe sie erlebt. Du bist Ausländer, Du hast einen Akzent - meinetwegen Kanadier oder Norweger oder Holländer, aber ein Deutscher bist Du nicht - die sind anders!“
Der andere, im Elsass, ist nicht so sehr vom Désastre und den Jahren der Okkupation geprägt. Immerhin wurden ja die meisten oeuvres der Maginot-Linie erst nach dem Waffenstillstand unbesiegt und sozusagen mit wehender Trikolore übergeben, die Demütigung war nicht so sehr groß; das Mißtrauen gegenüber flatternden dreifarbigen Fahnen, egal in welchen Farben, ist dort schon viel älter: Seit Louis XIV. sind die Elsässer so oft von einem der beiden großen Nachbarn befreit worden, daß sie heute bloß noch in Ruhe gelassen und vor keinen fremden Karren mehr gespannt werden wollen. Und da wird dann eben auch das Auftreten der Wochenendsgäste aus Frankfurt als arrogant wahrgenommen, wenn die bloß wegen der ähnlichen Sprache glauben, die Elsässer wären eine Art Deutsche.
Hier zur Illustration ein Abschnitt aus dem Plädoyer des Verteidigers in einem „Malgré-Nous“-Prozess, geschrieben von Henri de Turenne in „Les deux Mathildes“:
_- Faut-il rappeler à ce tribunal que la plupart de nos parents ont changé de nationalité quatre fois? Mon grand-père, français, a été fait prisonnier par les Prussiens en 1870. Mon père, allemand, fut déporté en Prusse-Orientale en 1914 pour sentiments profrançais. Moi, français, j’ai été fait prisonnier par les Allemands en 1940, et maître Kempf de la Tour, allemand malgré lui, a été fait prisonnier par les Russes en 1943! Il semble décidément, messieurs, que le seul uniforme qui convienne aux Alsaciens, ce soit celui de prisonnier!
-
Faut-il rappeler à ce tribunal que l’Alsace a payé au cours de la dernière guerre un tribut sept fois plus lourd que le reste de la France? 43 000 morts, 27 000 civils exilés de force en Allemagne ou en Pologne; près de 20 000 déportés dans les camps de la mort; qui porte la responsabilité de tant de malheurs? Nous-mêmes? Ou les gouvernements, les généraux, dont une fois de plus, comme en 1870, l’incompétence et l’irresponsabilité nous ont livrés à l’Allemagne?
-
Vous semblez bien pressé de trouver des coupables, monsieur le président! Où étiez-vous donc, vous, tandis que les „Malgré nous“ mouraient par milliers en Russie, et que les Résistants connaissaient la torture et la déporation? Chacun peut le savoir! Vous étiez à Narbonne, monsieur le président Durand d’Arville, et vous prêtiez serment au maréchal Pétain!
– Évacuation de la salle! (…)"_
Soviel zu dem kleinen zähen Volk zwischen zwei Nationen.
Schöne Grüße
MM