Verständnisproblem: Le Horla (1. Version)

Hallo!

Ich habe zu der Erzählung von Maupassant „Le Horla“ ein Verständnisproblem (Es handelt sich um die première version von 1886, nicht die Tagebuchversion).
Warum erkennt der Binnenerzähler nicht sein Spiegelbild, als das Wesen zwischen ihm und dem Spiegel steht? Ich habe seine Schilderungen so verstanden, dass das unsichtbare Wesen natürlich durchscheinend ist. Und wenn es zwischen ihm und dem Spiegel steht, wieso kann der Erzähler sich dann nicht sehen?

Grüße

Laura

Hallo Laura!

Tja, das ist schwierig. Auch weil es LITERATUR ist und keine naturwissenschaftliche Abhandlung. Noch dazu PHANTASTISCHE Literatur, also mit Phänomenen, die sich nicht unbedingt logisch erklären lassen (müssen).
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, welche Version ich kenne, weil ich das Buch, in dem diese Geschichte abgedruckt ist, nicht selbst besitze. Im Film (sehr tolle Verfilmung!) erinnere ich mich relativ gut an diese Szene. Ich denke aber, dass es auch gar nicht darauf ankommt, welche Version man kennt.
Es ist ein besonderer Schrecken, wenn man merkt, dass da plötzlich ein unbekanntes Wesen bei einem ist. Zunächst merkt er es ja nur am weggetrunkenen Wasser, glaube ich. Und wenn man einen Verdacht hat, dann ich so eine Szene, in der sich das Spiegelbild plötzlich verwischt, einfach nur eine Gruselsequenz.
Farblos-glibberige Quallen sieht man schlecht im Wasser, aber durchschauen kann man nicht! Nebel ist direkt vor der eigenen Nase nichts Schlimmes, aber auf die Weite gesehen dann doch mit dem Auge nicht zu durchdringen!
Ich würde sagen, der Horla ist im Prinzip transparent, besitzt aber eine „Masse“ oder „Dichte“, die gewisse verzerrende Effekte haben kann, wenn er direkt vor einem steht beziehungsweise vorbeihuscht.

Viele Grüße
Stoy de Vlinder

Hallo Stoy,

Ich würde sagen, der Horla ist im Prinzip transparent, besitzt
aber eine „Masse“ oder „Dichte“, die gewisse verzerrende
Effekte haben kann, wenn er direkt vor einem steht
beziehungsweise vorbeihuscht.

Sehr gut beobachtet. *chen dafür.

Ich meine nämlich, mich zu erinnern, dass eben genau dies auch geschrieben wird. Jedenfalls in der Fassung, die ich hier irgendwo rumliegen habe.

Ergänzend dazu wiederum kann dieses halb verdeckte und irgendwie verzerrte Spiegelbild als eine Metapher auf das im wahrsten Wortsinne ver-rückte Selbst des Erzählers verstanden werden, er selbst also wird Zeuge seiner eigenen schleichenden Depersonalisierung.

Meine Version spielt in der Rahmenhandlung auch ganz folgerichtig in einer Irrenanstalt, wo der behandelnde Arzt seinen Kollegen eben jenen Erzähler als hoffnungslosen Fall vorstellt.

Beste Grüße

Annie

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Hi Stoy,

und vielleicht hat der Erzähler den Horla vorher nicht bemerkt, weil der Raum düster war. Irgendwann stellt er glaube ich mehrer Kerzen auf. Allerdings sieht er das Wesen auch draußen bei Tageslicht nicht.

Zuvor dachte ich, es ist ein Wesen, dass sich der Umgebung äußerlich anpasst und somit nicht durchscheinend ist. Aber das steht nirgends in der Geschichte.

Danke für die Anregung!

Gruß

Laura