Verständnis des Wortes "Würde"

Hallo,

eine gute Bekannte mit Migrationshintergrund fragte mich unlängst nach der Bedeutung des Satzes „die Würde des Menschen ist unantastbar“ (die Lady lebt schon lange in Deutschland, beherrscht unsere Sprache in Wort und Schrift seht gut). Ab und zu gibt es sprachliche Verwirrungen und dann helfe ich, so gut ich kann.
Es stellte sich schnell heraus, dass das Problem das Wort „Würde“ ist. Sie verbindet das Wort „Würde“ mit Würde eine Amtes etc… Trotz aller Mühe meinerseits konnte ich diese Barriere nicht beseitigen.
Wie kann ich die Bedeutung des §1 unseres Grundgesetzes am besten erklären?
Vielen Dank im voraus.

Gruß

E.T.

probiere es mit dem Bezug auf Respekt vor der Existenz und dem Leben einer Person.
Vielleicht klappt es damit.
Gruß

Hier: https://www.lecturio.de/magazin/art-1-i-gg-schutz-der-menschenwuerde/ unter 2. „Sachlicher Schutzbereich“ gibt es eine sehr prägnante, kurze juristische Darstellung der juristischen Begriffsdefinition der Menschenwürde, mit Hinweis auf das so genannte „Mephisto-Urteil“, BVerfGE 30, 173/214, welches sich intensiv mit Abwägungen zum Thema Menschenwürde beschäftigt.

Das ist ja auch richtig, und das ist auch die Verwendung dieses Begriffs von jeher gewesen. Sie bezog sich auf soziale bzw, amtliche Rangordnungen innerhalb der Gesellschaft. Aber seit ca. 18./19. Jhdt hat sich die Bedeutung erweitert: „Menschenwürde“ bezieht sich nun auch auf jedes menschliche Individuum.

„Würde“ hängt eng mit dem etymologisch verwandten „Wert“ zusammen. Es ist ein Grundrecht eines jeden menschlichen Wesens, das in unserer Verfassung verankert ist in der Formulierung „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (GG Art. 1). Was damit juristisch gemeint ist, wird in dem von @Wiz angegebenen Link ja schon sehr gut erklärt. Es ist damit gsesagt, dass dieses Grundrecht von nichts und niemandem in Frage gestellt werden kann, sogar von dem Einzelnen Menschen selbst nicht. Allein durch seine physische Existenz kommt ihm dieses Recht zu.

Die Frage ist dann allerdings, was genau mit diesem Begriff gemeint ist. Wegen der Nähe zum Begriff „Wert“ läßt als nächstliegendes Synonym zu „Würde“ die „Wertschätzung“ erscheinen. Das Gegenteil wäre z.B. „Demütigung“, „Erniedrigung“. Und damit zeigt sich, dass es hier um weitaus mehr geht als z.B. um ein „Recht auf Leben“, und überhaupt auch um mehr als „Menschenrechte“. Es geht um den wechselseitigen Umgang zwischen Menschen, der eine Grundbedingung erfüllen soll, nicht nur eines Rechtes, sondern auch einer Pflicht: Jeder soll mit jedem „menschenwürdig“ umgehen - und daher völlig unabhängig von seiner Person, von seiner sozialen Herkunft, von seiner Verfassung, von seinen Eigenschaften, auch von seinem Verhalten und seinen Ansichten. Daher mindestens auch von Herkunft, Geschlecht, Hautfarbe, Religion usw. Daraus wird schon ersichtlich, wie daraus weitere näher bestimmte Gesetzesregelungen folgern: Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichberechtigung der Geschlechter, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Asylrecht, Ablehnung der Todesstrafe usw. D.h. Überall, wo diese Dinge nicht gegeben sind, wird die Menschwürde verletzt.

Die Schwierigkeit mit diesem Begriff (insbesondere auch mit der „Unantastbarkeit“) ist, dass er nicht begründet werden kann: Man kann nicht angeben, warum jedem Menschen diese Menschwürde anerkannt werden muß. Es gibt keine mit der menschlichen Natur verbundene Notwendigkeit, keine Logik, kein Naturgesetz, aus der dann folgen würde, dass jedem allein durh seine leibliche Existenz dieses Grundrecht zukommt. Wenn das so wäre, hätte es nicht im deutschen Grundgesetz erst schriftlich formuliert werden müssen. Und nicht in jeder staatlichen Verfassung ist die „Würde des Menschen“ ja ausdrücklich formuliert.

D.h. sie kann auch in Frage getellt werden. Man sieht die Folgen weltweit und seit eh und je. Dazu muß man nicht nur den ehemaligen chilenischen Diktator Pinochet zitieren („Was gehen mich eure Menschenrechte an!?“).

Seit der Zeit der europäischen Aufklärung gab es immer wieder Versuche, das Recht auf Menschenwürde als „Naturrecht“ ähnlich einem Naturgesetz zu erklären. Aber diese Versuche gelingen nicht. Ein Naturgesetz kann man nicht leugnen, ein Naturrecht aber sehr wohl - einfach indem man sich nicht nach ihm richtet. Und deshalb ist es von großer Bedeutung, dass es als nicht hintergehbares staatliches Gesetz formuliert wurde.

Gruß
Metapher

es gibt verschiedene ansätze (der link meiner zitate steht unten), z.b. woher der begriff sprachlich vermutlich kommt

Im Deutschen Wörterbuch von Jakob Grimm (1785 – 1863) und Wilhelm Grimm (1786 – 1859) … kann man lesen: „Würde ist die Bezeichnung für Rang, Amt, hohe Stellung und Funktion. Ahd. wirdi (Wert), lat. dignitas.“
beachtenswert hier „wirdi“ <==> wert <==> würde.

deckt sich inhaltlich doch schon mit

dann immanuel kant, den begriff wert verwendend:

„Im Reiche der Zwecke hat alles entweder einen Preis oder eine Würde. Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes, als Äquivalent gesetzt werden, was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent gestattet, das hat einen inneren Wert, eine Würde“ (aus Grundlegung der Metaphysik der Sitten).

oder das BVerfG, ebenfalls wert benennend:

„Die Menschenwürde ist ein Wert, der dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, unabhängig von seinen Eigenschaften, seinem körperlichen oder geistigen Zustand, seinen Leistungen oder seinem sozialen Status.“

ich will nicht weiter fremdes gut/fremde gedanken zitieren, hier mein link:
http://research.uni-leipzig.de/fernstud/Zeitzeugen/zz1078.htm

interessant die letzten absätze, die kritischen.

pasquino

könnte es die fähigkeit zur moral sein, die dem wesen der würde/dem wert zugrunde liegt?
und die unantastbarkeit dieser fähigkeit und der (individuellen) moral?

würde ist sicherlich kein (grund)recht.
würde ist dem menschen immanent - sonst wäre der begriff und das, was damit gemeint und beschrieben wird, nicht existent.

pasquino

Da solltest du mal Luann Van Houten fragen:

„woher wissen wir …“

Hi pasquino,

btw.: Der von dir verlinkte Vortrag fasst die Problemetik prima zusammen.

Ja, könnte. So zumindest die Argumente seit der Aufklärung, die sich auf ein „Naturrecht“ berufen. Basierend auf der Voraussetzung, daß die Fähigkeit zur „Vernunft“ und zu „moralischem Urteil“ dem Menschen a priori inhärent sei - und damit sozusagen den Begriff „Mensch“ vice versa definieren, So ja auch dann vor allem Schiller, Herder usw. Die Kritik muß dann da ansetzen, daß diese Bestimmung zirkulär ist: Was bewiesen werden soll, ist schon vorausgesetzt im Beweisverfahren.

Außerdem sind da noch die begrifflichen Voraussetzungen: „Vernunft/Verstand“ und „moralisches Bewußtsein“ sind spezifische Begriffe der westeuropäischen Philosophiegeschichte - Sokrates-Platon-Aristoteles, die Stoa, und dann zwischen Scholastik und Deutschem Idealismus. Wir können heute nicht mehr daran festhalten, daß diese auch global für alle Kulturen Geltungsanspruch haben. Der Geltungsanspruch kann nämlich bezweifelt werden - er ist eine Behauptung, die aber nicht beweisbar ist. Denn daß z.B. Menschen - horribile dictu - nicht gefoltert werden dürfen, daß Männer und Frauen gleichberechtigt sind, daß Menschen, die nicht der eigenen Religion angehören, getötet werden dürfen/müssen, daß auch Foeten, Demente (die des moralischen Urteils nicht fähig sind) gleiches Recht auf Leben und Würde haben … das ist eben eine Behauptung. Oder besser gesagt: Es kann unwiderlegbar behauptet werden, daß es eine (bloße) Behauptung sei.

Klar. Unter uns, die wir in derselben Begriffsgeschichte leben (auch , wenn wir uns dessen nicht bewußt sind) und die Grundlagen des vernünftigen und moralischen Urteilens gelernt haben. Aber diese Auffassung („dem menschen immanen“) basiert auf der von Sokrates/Platon behandelten Frage, woher wir eigentlich unsere (abstrakten) Begriffe haben (Moral, Gerechtigkeit usw). Denn die empirischen Befunde zeigen eine Uneindeutigkeit der Wortgebräuche, obwohl jeder zu wissen glaubt, was es ist. Die Antwort war (grob zusammengefasst): Aus dem Reich der Ideen, an dem jeder denkende Mensch (auch schon pränatal) „teilhat“ (→ „Methexis“), die später von der christlichen Philosophie (etwas abgewandelt) assimiliert wurde.

So bleibt nur die Lösung, es als Gesetz unabdingbar zu machen. Und es gilt dann aber leider auch nur für die, für die das Gesetz jeweils obligatorisch ist.

Gruß
Metapher

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