Hallo!
Irgendwas erscheint nicht stimmig, denn weiter unten erwähnst Du:
Speckgürtel und Überangebot an Wohnraum geht nicht zusammen. Ein Überangebot an Wohnraum lasst auf Abwanderung schließen, i. d. R. aufgrund fehlender Arbeitsplätze.
U. a. in einigen Harz-Gemeinden, in Mecklenburg-Vorpommern, in Sachsen-Anhalt und Brandenburg gibt es viel ungenutzten Wohnraum. So gab es erst Anfang des Monats einen von interessierten Juristen initiierten und gescheiterten Volksentscheid gegen die Gerichtsstrukturreform, die Schließung von Gerichtsstandorten vorsieht. Die Reform wird durchgezogen und ist nötig, weil M-V mit Ausnahme weniger Orte flächendeckend Einwohner verliert - in den letzten 10 Jahren etwa 200.000 Menschen. Mittlerweile hat das riesige Land weniger Einwohner als der Stadtstaat Hamburg und der Trend ist ungebrochen. Die Idee, den Leerstand zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen, ist nicht neu. Aber: Die Ansiedlung von Flüchtlingen in solchen Gegenden kommt der Verurteilung zu dauerhafter Arbeitslosigkeit gleich.
Eigene Beobachtung: 2002 gab es im Nachbardorf eine Bank, einen Raiffeisenmarkt, einen Lebensmittelladen, 2 Restaurants, ein Café, einen Bäcker, einen Frisör und 2 Zigarettenautomaten. 2015 gibt es noch den Raiffeisenmarkt und der hat gerade seine Öffnungszeiten auf 3 Tage pro Woche reduziert. Alles andere verschwand im Laufe weniger Jahre, sogar die Zigarettenautomaten. Der gesamte öffentliche Nachverkehr bei uns im Dorf beschränkt sich auf einen Schulbus, der außerhalb der Schulferien einmal in der Früh und einmal am Nachmittag im Dorf hält. Natürlich gibt es auch noch einige Handwerker, die Kleinstbetriebe alleine oder mit ein, zwei Angestellten betreiben sowie landwirtschaftliche Betriebe, die mit wenigen Leuten etliche Quadratkilometer bewirtschaften. Die Mähdrescher fahren GPS-gesteuert, begleitet von unbemannten Zugmaschinen mit Anhängern. Kuhställe sind rechnergesteuert, während einige Hobbylandwirte jeweils einige Tiere seltener Rassen aus Spaß an der Freud halten.
Ein paar Kilometer weiter bietet sich ein ganz anderes Bild. Keine Mähdrescher, dafür Apfelplantagen so weit das Auge reicht. Die Ernte wird von Ernteautomaten erledigt. Die Größe der Bäume, ihre Abstände und der Abstand zwischen den Reihen ist genau passend für die Erntemaschinen angelegt.
Bis zur Wende wurden in der Milchviehhaltung, für den Ackerbau und auf den Obstplantagen massenhaft Menschen beschäftigt. In jedem noch so kleinen Dorf gab es Arbeitsplätze ohne Ende. Betriebswirtschafte Kriterien nach heutigen Vorstellungen spielten keine Rolle, es gab sie gar nicht. Nachdem das ruinöse Spiel mit der politischen Wende sein Ende fand, waren die Arbeitsplätze beinahe schlagartig weg. Gewerbestrukturen aus einem selbständigen Mittelstand wurden in den Jahrzehnten zuvor gezielt kaputt gemacht. Wollten die Menschen nicht dauerhaft arbeitslos bleiben, mussten sie gen Westen ziehen. Das taten sie denn auch und die Völkerwanderung - inzwischen Millionen Menschen - hält bis heute an. Zwar siedelte sich unter Mitnahme von Subventionen der eine oder andere Massenhersteller an, aber einen Ersatz für den Generationen dauernden Aufbau eines flächendeckenden Mittelstands können die vereinzelten Ansiedlungen nicht bieten. So stehen viele der nach der Wende in Goldgräberstimmung angelegten Gewerbeparks leer. In der erwähnten Gemeinde, wo sogar die Zigarettenautomaten abgebaut wurden, ist die einst für den Gewerbepark gebaute Kläranlage stillgelegt. Die Fläche des Gewerbeparks dient heute einer Solaranlage.
All das sollte man sich vor Augen führen, sobald jemand auf die Idee kommt, leere Steinhaufen und Betonkästen im Osten (oder in anderen strukturschwachen Gebieten) für den geeigneten Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen zu halten. Es sei denn, jemand ist scharf darauf, sich eine unbeherrschbare soziale Bombe vom Feinsten zu legen. Jeder einzelne Zuzug, mit dem nicht gleichzeitig die Schaffung dauerhafter Arbeitsplätze einher geht, verschärft das bereits bestehende Problem der Arbeitslosigkeit.
Ich schreibe so ausführlich, weil die von Dir geäußerte Idee auch zuweilen von Politikern geäußert wird. So kam Ähnliches vom Bürgermeister Goslars. In Goslar gibt es hohen Wohnungsleerstand. Kein Problem, dort Flüchtlinge unterzubringen. Aber dann hätte man lauter chancenlose Menschen in der Dauerarbeitslosigkeit und der Bürgermeister wird sich angesichts der dann auf die Kommune zukommenden Lasten herzlich bedanken. Die zusätzlichen Menschen werden den ohnehin überforderten Arbeitsmarkt der Region weiter belasten, werden das Lohnniveau und die Steuereinnahmen senken. Die Kommune muss sich um Gewerbeansiedlung kümmern (tunlichst ohne anderweitig Gewerbe abzuziehen). Parallel dazu kann/muss man sich um den Zuzug der für das Gewerbe benötigten Arbeitskräfte kümmern, soweit aus der ortsansässigen Bevölkerung mit vielen Arbeitslosen keine geeigneten Arbeitskräfte zu gewinnen sind.
Kommunen könnten günstige Flächen/Räume für Existenzgründer anbieten. Die Zuteilung könnte in Zusammenarbeit mit Handels- und Handwerkskammer sowie Banken mit entsprechender Kompetenz an bestimmte kaufmännische Mindeststandards, Qualifikationen und Geschäftsmodelle geknüpft sein. Man braucht viele wirtschaftliche Kristallisationspunkte und das eine oder andere Jahrzehnt Geduld, bis solche Bemühungen einen messbaren Erfolg bringen. Zuvor sollte man sich in Gewerbegebieten im Osten mit eigenen Augen angucken, wo etwas in geeigneten Bahnen lief und wo man Dünnbrettbohrern, Fördergeldabgreifern und Blendern aufsaß.
Manche Leute reden bei Zuwanderung von Chancen. Mag sich im Einzelfall tatsächlich positiv entwickeln. Verpflanzt man aber Menschen in Regionen ohne geeignete wirtschaftliche Infrastruktur, handelt man wie ein Gärtner, der am dauernd im Schatten liegenden Nordhang Wein gedeihen lassen will - aussichtslose Mühe.
Gruß
Wolfgang