Zurzeit stehen überall diese ätzenden Wahlplakate mit den
Visagen der Politiker, die den Wahlkreis gewinnen wollen (via
Erststimme).
In der Tat. Und in diesem Wahlkampf haben die Parteien sogar fast vollständig davon abgesehen, den Wähler auf ihren Plakaten mit sachlichen Inhalten irgendwelcher Art zu belästigen. Offenbar haben die Parteien aus den Ergebnissen der Pisa-Studie zumindest insoweit ihre Schlussfolgerungen gezogen, als sie annehmen, der Wähler könne komplexere Informationen als ein zweitklassiges Fotos des örtlichen Hinterbänklers ohnehin nicht verarbeiten.
Schon aus diesem Grunde sollte man eigentlich niemanden wählen, der nur dadurch Position bezieht, dass er dem Wähler sein Paßbild unter die Nase hält. Da das aber bedauerlicherweise (fast) alle so machen, dürfte dieser Weg nicht gangbar sein …
Da hab ich mich gefragt, ob die wirklich (m)einen Wahlkreis
vertreten.
Mal ehrlich: Habt ihr das Gefühl, dass euer Vetreter im
Bundestag für euren Wahlkreis seine Stimme erhebt?
Dass das nicht so ist, liegt zum einen daran, dass die „Volksvertreter“ keine Vertreter im bürgerlich-rechtlichen Sinne sind, die einen Auftraggeber hätten, der ihnen einen genau definierten Auftrag erteilt, den sie in den Grenzen und nach Maßgabe von dessen Anweisungen auszuführen hätten. Ist er einmal gewählt, ist der Abgeordnete (eigentlich) in seinen Entscheidungen völlig frei und nur noch seinem Gewissen verpflichtet (sog. freies Mandat). Die dem Grunde nach vernünftige Idee dahinter ist die, dass aus Praktikabilitätsgründen an die Stelle der Willensbildung des Gesamtvolkes zu jeder Sachfrage die freie Willensbildung eines überschaubaren Gremiums dazu bestellter Repräsentanten (sozusagen eines verkleinerten Abbildes des Gesamtvolkes) tritt. Insofern ist die „Volksvertretung“ von der Idee her keine Stellvertretung im engen Sinne, sondern eher eine symbolische Repräsentation.
Der andere Grund ist, dass diejenigen Interessen, die als Interessen gerade eines bestimmten Wahlkreises zu erkennen sind, meist lokaler Natur sind (Erhaltung des Stadttheaters, Bau einer Ortsumgehung, usw.). Und die werden nicht auf Bundesebene verhandelt. Die Dinge dagegen, die auf Bundesebene diskutiert werden (Arbeitsmarktpolitik, Steuerrecht, usw.), betreffen mehr oder weniger alle Wahlkreise gleichermaßen. Nimmt der Abgeordnete also beispielsweise an einer Debatte über Arbeitsmarktpolitik teil, so mag sich zwar sein Heimatwahlkreis darin nicht persönlich angesprochen fühlen; dennoch nimmt der Abgeordnete dadurch letztlich auch dessen Interessen wahr, da Arbeitsmarktpolitik alle gleichermaßen betrifft.
Die sind doch sowieso so gut wie nie zu sehen bzw. zu hören
(im Bundestag und im TV).
Es genügt im Prinzip, wenn er im jeweils richtigen Moment sich im Stillen eine Überzeugung gebildet hat und die Hand hebt (oder eben nicht hebt).
Und wenn es zu wichtigen Abstimmungen im Bundestag kommt,
herrscht ‚Fraktionszwang‘. Letzteres halte ich im Übrigen für
eine Bevormundung des Abgeordnete, da er eigentlich ins
Parlament gewählt wurde, um seine Meinung zu vertreten (oder
eben die seines Wahlkreises), nicht aber in erster Linie die
seiner Partei.
Echter Fraktionszwang, der rechtliche Sanktionen vorsieht, falls der Abgeordnete nicht im Sinne der Partei abstimmt, ist nicht nur eine Bevormundung, sondern in der Regel auch verfassungswidrig, da mit dem freien Mandat unvereinbar. Der Abgeordnete könnte sich dagegen erfolgreich wehren. Aber auch ohne rechtlichen Zwang haben die Parteien „Incentives“ etabliert, die dafür sorgen, dass „ihre“ Abgeordneten „auf Linie“ bleiben. Bis zu einem gewissen Grad ist das auch durchaus sinnvoll. Denn die Parteien könnten ihre Funktion, die Meinungen und Positionen der gesellschaftlichen Interessengruppen aufzunehmen und ins Parlament zu transportieren und dort geltend zu machen, nicht mehr erfüllen, wenn nicht eine gewisse Einheitlichkeit in ihrem Stimmverhalten gewährleistet ist.
Dennoch würde ich mir wünschen, dass der ein oder andere Abgeordnete seinen Kadavergehorsam und seine Angst um sein Pöstken als Schatzmeister der Ortsgruppe Unterstraubing, um seine Position 134 auf der Landesliste oder um seine Abgeordnetenbezüge zugunsten einer etwas autonomeren Meinungsbildung nach hinten stellen könnte. Aber die meisten Menschen sind dazu wohl leider nicht gebaut …