Ob „voll“ mit Dativ richtig oder falsch lässt sich in diesem Fall nicht eindeutig entscheiden. Man könnte sagen: „Beziehungsstatus: Es ist kompliziert“
Kurz gefasst: Bei „voll“ mit Dativ ist das Adjektiv „voll“ auf dem sprachgeschichtlichen Entwicklungsweg eine Präposition zu werden. Und Präpositionen stehen im Deutschen (wie überhaupt in allen indogermanischen Sprachen) „eigentlich“ nur mit Dativ oder Akkusativ. So jedenfalls Daniel Scholten in „Belles Lettres“ z.B. in → hier. zeigt er, wie es dabei überhaupt zu Genitiv-Konstruktionen kommt.
Es gibt nun Adjektive, die den Genitiv regieren und zu denen gehört auch „voll“:
In Voll Wein, voller Wein, voll Weines oder voll mit Wein? geht es um das nachstellbare Adjektiv „voll“, das , wenn nachgestellt, durch ein Adverbial ergänzt wird, das dann im Genitiv steht „ein Glas voll Weines“, „eine Schale voll Trauben“.
Bei „ein Glas voll Weines“ ist also „voll“ Attribut (attributives Adjektiv) zu „Glas“, und „Weines“ ist adverbialer Genitiv zu „voll“. (Auch dort nebenbei eine interessante Analyse, wie es zu der Form „voller“ - „Glas voller Wein“ - kommt.)
Wenn „voll“ aber mit einem präpositionalen Adverbial ergänzt wird, dann mit einer Dativ-Präposition „von“ oder „mit“ (ab Minute 12:20).
Ab Min 14:20 geht es dann um die Form „Glas voll Wein“, „Schale voll Trauben“. Hier ist „voll“ nicht mehr Attribut bzw. attributives Adjektiv zu „Glas“, ergänzt mit einem Genitiv-Adverbial, sondern es ist irgendwas zwischen Adverb und Präposition. Und „voll Wein“ wird zu einem päpositionalen Attribut. Er, Scholten, diskutiert hier nicht, ob das richtig oder falsch ist, sondern beschreibt bzw. analysiert einfah die Entwicklung des Sprachgebrauchs. Hier bewirkt der Sprachgebrauch eine grammatische Uminterpretation - genauso wie vorher die grammatische Umdeutung des genitivischen „voller“.
Leider nimmt er hier mit „Schale voll Trauben“ ein Beispiel, bei dem man gar nicht zwischen Genitiv und Dativ unterscheiden kann. Besser wäer gewesen „Schale voll Früchte(n)“, Da wäre eindeutig zu unterscheiden zwischen „Schale voll Früchte“ (also Genitiv) und „Schale voll Früchten“ (also Dativ), oder „Garten voll Bäume“ (Genitiv) vs. „Garten voll Bäumen“ (Dativ). In den Dativformen ist also das Adjektiv „voll“ tatsächlich zu einer Präposition geworden. Also aus einem Genitiv-Adverbial („Früchte“) zum Adjektiv „voll“ wird ein Attribut „voll Früchten“ zum Substantiv „Glas“.
Krasser erkennbar wird das Ganze, wenn zu dem Substantiv der Ergänzung ein attributives Adjektiv hinzukommt:
„Glas voll roten Weines“ (Adverbial zu „voll“)
→ „Glas voll rotem Wein“ (Präpositionalattribut zu „Glas“)
„Schale voll süßer Früchte“ (Adverbial zu „voll“)
→ „Glas voll süßen Früchten“ (Präpositionalattribut zu „Glas“).
Gruß
Metapher