Vom Auslegen und Verstehen der Bibel

Hallöchen,

Könnte mir jemand die folgenden
Stichworte erklären, und evtl. einen Bibeltext, der sich darauf bezieht, nennen?

  1. Sitz im Leben
  2. Synopse
  3. Synoptiker
  4. feministische Bibelauslegeung
  5. Bergpredikt

Könnte mir zudem jemand zwei der folgenden historisch- kritischen Auslegungen der Bibel beschreiben und ( zumindest ein) Beispiele dazu nennen?

  1. Formgeschichte
  2. Traditionsgeschichte
  3. Überlieferungsgeschichte
  4. Zeitgeschichte
  5. Wirkungsgeschichte

Ich wäre sehr, sehr dankbar, wenn mir jemand weiter helfen könnte!!

Mit freundlichen Grüßen, Estrella

Moin, moin Estrella,

ok, dann fangen wir mal an:

  1. Sitz im Leben

Dieser Begriff stammt aus der Formgeschichte: jede einzelne Form hat ihren Ort:
die Predigt in der Gemeinde oder in der Mission
das Paradigma ebenfalls in der Verkündigung
Beispiele für das Paradigma: Mk 2, 1ff
Mk 2, 18ff
Mk 2, 23ff
Mk 3, 1ff
Mk 3, 31 ff
Mk 10, 13ff
Mk 12, 13ff
Mk 14, 3ff
Alle nach Dibelius, Die Formgeschichte des Evangeliums
Das ist eines - allerdings des älteren - Standardwerke zur Formgeschichte.

  1. Synopse

Eine S. ist einfach eine Zusammenschau

  1. Synoptiker

Die ersten drei Evangelisten - Matth, Mk, Lk - werden die synoptiker genannt, weil man ihre Evangelien in drei Spalten nebeneinander drucken kann, in einer Synopse also. Mt und Lk haben nämlich den Mk als Vorlage benutzt, so daß praktisch das gesamt Mk in den beiden anderen enthalten ist.

  1. feministische Bibelauslegeung

Mit dem Feminismus kam auch die Idee, daß Frauen die Bibel anders lesen als Männer. Sie achten auf andere Dinge, verbinden andere Inhalte und Konnotationen mit den gleichen Worten etc.; daraus folgt die Notwendigkeit, die Bibel aners alös mit den Augen der Männer zu lesen.
Namen dazu: Elisabeth Moltmann-Wendel, Dorothee Sölle, Luise Schottroff

  1. Bergpredigt

Die Bergpredigt ist eine von Mt zusammengestellte Sammlung von Worten Jesu. Sie steht in Mt 5-7 und heißt Bergpredigt, weil Matthäus Jesus sie auf einem Berg halten läßt. Das parallele Stück dazu bei Lukas 6, 20-49 heißt Feldrede, weil dort Jesus diese Predigt auf einem Felde hält.

  1. Formgeschichte

Ein paar Beispiele zu Paradigmen habe ich Dir schon genannt. Dann gibt es noch z.B.:
Die Novelle - Mk 1, 40-45; Mk 4, 35-41; Mk 6, 35-44;
Es sind dies in sich geschlossene Einzelgeschichten

Die Legende: Die Geburtsgeschichten nach Mt und Lk, sowie die Geschichte vom 12jährigen Jesus im Tempel sind solche Legenden.

Dann gibt es noch die Paränese, die Analogie, das Streitgespräch usw.
Jede dieser Formen gab es schon, beovor die Evangelien geschrieben wurden. Die Evangelisten haben sie aufgegriffen. Die Formgeschichte hat nun herausgearbeitet, welche Bestandteile zu jeder dieser Formen gehören. Hat eine Geschichte in einem Evangelium aber mehr als diese Form benötigt, darf man daraus schließen, daß das Überschießende vom Evangelisten hinzugefügt wurde.

  1. Traditionsgeschichte

Dier Traditionsgeschichte verfolgt z.B. das Auftreten und Auftauchen und die Verwendung von alttestementlichen Zitaten im Neuen Testament.
Also: wo werden die Gottesknechtslieder aus Jesaja 40-55 im NT zitiert oder verwendet.

  1. Überlieferungsgeschichte

Hier handelt es sich eher um die Frage, wie eine Schrift überliefert wurde: ob in eigenen Handschriften, ob nur in Zitaten bei anderen Schriftstellern. Haben die einzelnen Handschriften Gemeinsamkeiten, stimmen sie immer und überall überein; wo sind die Unterschiede? Lassen sich aus diesen Unterschieden irgendwelche Schlüsse ziehen: auf den Abschreiber, den Ort oder die Zeit der Entstehung?

  1. Zeitgeschichte

Das ist die Geschichte rund um das, was z.B. im NT berichtet wird: römisches Reich, politische Verhältnisse, Judentum: Pharisäer, Sadduzäer, Essener, Zeloten. Dies nur als ganz kleine Auswahl.

  1. Wirkungsgeschichte

Wie hat das gewirkt, was das erzählt wurde? Auf wen hat es gewirkt? Warum?

Nimm die Bergpredigt: die hat den christlichen Pazifismus entscheidend geprägt. Und wenn Du nun anfämgst, ein Buch dazu zu lesen, dann findest Du Ginweise auf andere Bücher; in diesen anderen Büchern wird wieder von anderen Theologen, Politikern, Märtyrern erzählt. So kannst Du im Lauf der Zeit und der Lektüre dieses ganze Geflecht von Bergpredigt und christlichem Pazifismus erkennen, beschreiben und aufdröseln. Das ist Wirkungsgeschichte.

Das war ganz kurz. Es gibt aber jede Menge Bücher dazu, auch einfacher verständliche.

Gruß - Rolf

Feministische Bibelauslegung
Hallo,

eine Literaturempfehlung:
ISBN: 3-579-00391-7 Buch anschauen

Sehr lesenswert!

Gruß

Bona

Hallöchen,

Hi, es wurde ja schon viel erklärt, aber vielleicht schreib ich es einfach nochmal in anderen Worten:

  1. Sitz im Leben

Das meint, den soziokulturellen Ort, an dem eine Bibelstelle beheimatet war. Also z.B. wurde sie in Gottesdiensten verlesen etc.

  1. Synopse

Ist ein Buch, in dem Texte der 3 ersten Evangelien nebeneinandergestellt werden. Viele Texte gibt es bei Mt, Mk und Lk mit kleineren Abänderunge. Also quasi so, als hätte der eine vom anderen abgeschrieben, oder sie aus einer gemeinsamen Quelle abgeschrieben. Stellt man alle 3 texte nebeneinander, dann kann man sie miteinander vergleichen.

  1. Formgeschichte

Die Formgeschichte untersucht, welche geprägten Formeln in Texten vorkommen und wo sie ihre Heimat haben.
Wenn du dir zum Beispiel Anrufbeantwortertexte anhörst, dann haben viele ähnliche sprachliche Formulierungen, also z.B. „Sprechen sie nach dem Piepston“ etc. Habe fast alle.
So gibts das in der Bibel auch. Manche Formen, Redewendungen und Wörter koommen immer wieder vor. Daraus kann man dann ermitteln, welche Gattung eine Textstelle hatte. Also z.B.: eine Gerichtsrede hat ganz andere typische Merkmale, als ein Reisebericht. Kennt man die Gattung, kann man auf den oben schon angesprochenen „Sitz im Leben“ zurückschließen.

  1. Traditionsgeschichte

Textstellen haben manchmal verwante Themen, also zum Beispiel wollen viele Textstellen besonderst den Sitz Gottes im Jerusalemer Tempel verordnen, andere wiederum gar nicht.
Wenn ich nun weiß, meine Bibelstelle will z.B. mir unbedingt klar machen, dass Ausländer schlecht und böse sind, dann kann ich in die Zeitgeschichte schauen und spekulieren, wann es denn den Menschen wichtig war ihre eigene Kultur vor alle anderen zu stellen. So kann ich dann z.B. das ungefähre Datum einer Bibelstelle herausfinden.

  1. Überlieferungsgeschichte

Die Überliefrungsgeschichte fragt, ob der vorliegende Text aus mündlichen Überlieferungen stammt. Sie fragt also nach eine nicht schriftlichen Vorform.
Märchen sind ein gutes Beispiel, denn die wurden ja auch erst mündlich weitererzählt. Da kann es schon mal sein, dass die mündliche Überlieferung nen bischen der Situation angepasst wurde und dann hat man plötzlich in 2 verscheidenen Regionen 2 ganz ähnliche und dennoch unterschiedliche Märchen.

In der Bibel ist das auch so. Manchmal findet man biblische Texte in ähnlicher Weise in ganz anderen Kulturen wieder. Daraus kann man spekulieren, dass sie wahrscheinlich mündliche weitergegeben wurden.

Zeitgeschichte und Wirkungsgeschichte kenne ich so nicht.

Wichtig ist, dass die ganzen Schritte immer aufeinander aufbauen und somit ist es auch nen bischen schwierig sie hier isoliert zu erklären…

MfG

Chris