Vom gar nicht fröhlichen Jagen

Ein einziger Schuss.

„Wer war das?“ Der Jagdherr war ärgerlich. Der kapitale Hirsch war allein für ihn bestimmt. Es sollte der krönende Abschluss der diesjährigen Jagd sein. Der größte und schönste Hirsch gebührte dem Jagdherrn. Das war schon immer so, und das wussten alle Gäste.

Aber diesmal war ihm jemand zuvorgekommen.

„Der Schuss kam von da“, erwiderte sein treuer Diener und Jagdhelfer, während er nach rechts deutete. Nach Plan kann da nur der Toni sein.

„Sieh nach, Bert. Und – du weißt, was zu tun ist, ein Denkzettel reicht, mehr nicht, ganz bestimmt nicht mehr, auch wenn dir danach ist“, sagte der Jagdherr sehr bestimmt.

„Sehr wohl, Euer Durchlaucht. Schon gemacht!“

Bert kletterte vom Ansitz herunter, die Flinte geschultert. Er musste sehr vorsichtig sein, niemand durfte ihn sehen. Im Zickzack schlich er sich, so rasch er konnte, ohne aufzufallen zum nächsten Ansitz, von wo der Schuss gekommen sein musste. Da sah er auch schon den Toni.

Dir wird dein Grinsen noch vergehen, dachte Bert. Er wartete noch, bis Toni unten angekommen war, legte an und schoss ihm ins Bein. „Was für ein Glück du hast, wenn es nach mir gegangen wäre, wäre er nicht so glimpflich davongekommen“, sagte Bert ganz leise und nur für sich.

Toni rief laut um Hilfe. Aber Bert versteckte sich hinter einem Baum und wartete eine ganze Weile, bis er mit viel Lärm auf Toni zulief. „Was hast du denn gemacht?“, fragte Bert.

„Hast du den Schuss nicht gehört? Jemand hat mir ins Bein geschossen!“, sagte Toni.

„Ja, ich habe hier einen Schuss gehört, aber es wird im Moment viel geschossen hier. Warte, lass mich mal sehen.“

Bert schlitzte Tonis Hose mit einem Messer auf untersuchte die Wunde, die stark blutete. „Ist schlimmer, als es aussieht. Vertrau mir, ich war Sanitätssoldat.“ Er nahm ein Dreiecktuch, das er für solche Fälle immer in seinem Rucksack bei sich trug, und verband die Wunde fest. „Bleib hier liegen, du kannst so nicht laufen. Ich hole ein paar Leute herbei. Dann blies er ein Notsignal mit seinem Jagdhorn. Es dauerte nicht lange, bis zwei Jagdgäste kamen. Der eine nahm Toni Huckepack und schleppte ihn zu einem Landrover, der in der Nähe geparkt war. „Wo soll es denn hingehen?“, fragte er Bert. „Wir fahren ins Schloss zum Leibarzt von Durchlaucht. Da kann versorgt werden.“

Der andere lief rasch zu Seiner Durchlaucht und erzählte ihm, was er gesehen und gehört hatte.

„Wir müssen sofort die Jagd beenden! Sag allein Bescheid!“

Und so geschah es.

Seine Durchlaucht hielt eine kurze Ansprache, in der er sein Bedauern über den schrecklichen Zwischenfall zum Ausdruck brachte. „Wir müssen uns jetzt trennen. Den üblichen Abschluss mit der Präsentation kann es nicht geben. Und – natürlich wird die Sache genau untersucht. Wenn es kein Unfall war, wird es ein Nachspiel geben.“

Seine Durchlaucht beauftragte Bert mit einer genauen Untersuchung. Bert führte in den nächsten zwei Wochen genaue Befragungen aller Jagdgäste durch und legte Seiner Durchlaucht den Abschlussbericht vor.

„Sehr gute Arbeit“, lobte Seine Durchlaucht den Diener.

Toni war die ganze Zeit über in Kammer im zweiten Obergeschoss des Schlosses. Die Tochter des Schlossherrn war eine gute Pflegerin und betreute ihn. Und nicht nur dies. Die beiden fanden Gefallen aneinander. Dies blieb Bert nicht verborgen. Er hatte auch ein Auge auf das bildschöne Edelfräulein geworfen. Und allmählich reifte in ihm der Drang, etwas zu Ende zu brinen, was er eigentlich schon längst hätte tun sollen. Es musste aussehen wie eine plötzliche Wundinfektion, die leider Gottes einen schlimmen Ausgang nahm. Tonis Wunde musste dazu erst stark verunreinigt werden. Dann mussten die Spuren beseitigt werden. Und das alles konnte nur des Nachts passieren.

So weit der Plan. Aber es kam doch ganz anders. Das Edelfräulein hatte in derselben Nacht ganz andere Absichten. Sie kam gerade noch rechtzeitig, um den völlig ahnungslosen Bert von hinten außer Gefecht zu setzen. Zu zweit stürzten sie ihn aus dem Fenster, was er nicht überlebte.

Und schon nach einem dreiviertel Jahr genas das schöne Fräulein eines prächtigen Knaben. Eine Eheschließung mit dem Vater wäre standeswidrig gewesen, das kam für Seine Durchlaucht nicht in Frage. Und so musste das Fräulein mit ihrem Kind eine Weile in ein benachbartes Kloster, um die Schande zu büßen.

Sie lernte entsagen, auch von der Familie. Sie führte einige Jahre ein Leben in Armut, bis sie dann doch mit Toni zusammenfand. Geächtet flohen sie fort und übernahmen eine kleine Köhlerei, in der sie für immer glücklich zusammenlebten.

2 Like