aion, olam und „Ewigkeit“
Hallo,
zu dem neutestamentlichen Begriff aion, bzw adjektivisch aionios, ist in diesem Brett schon viel diskutiert worden. Auch du selbst hattest ja mal eine Frage zu dem griech. Ausdruck zoe aionios gestellt, der im Deutschen fast immer mit „ewiges Leben“ wiedergegeben wird (und als solcher auch in den deutschsprachigen christlichen Dogmatiken präsent ist).
Zu dem Ausdruck aion und aionios und seinen höchst vielfältigen und verwickelten Bedeutungsvarianten (und damit verbundenen Übersetzungsproblemen) gibt es
→ hier
einen umfangreichen Artikel (mit anschließender Diskussion) aus diesem Brett (das ja früher einmal „Religionswissenschaft“ hieß und einen ganz anderen Selbstanspruch hatte als jetzt).
Aber zunächst einmal zu deinem Zitat „von Ewigkeit zu Ewigkeit“: Der griech. Ausdruck
ἀπὸ τοῦ αἰῶνος ἕως τοῦ αἰῶνος = „von (dem) Aion bis zu (dem) Aion“
kommt in dieser Form im Neuen Testament nicht vor. Dagegen aber in außerchristlicher Literatur, z.B. Marc Aurel „εζ αἰῶνος ἕις αἰῶνα“ und in den Oracula Sibyllina. Aber in der sehr prägnanten Form
πρὸ παντὸς τοῦ αἰῶνος καὶ νῦν καὶ εἰς πάντας τοὺς αἰῶνας = „vor dem/diesem ganzen Aion und jetzt und bis in alle Aionen“
findet er sich am Ende des Judas-Briefes Jud. 25.
Dagegen ist der Ausdruck
εις (τους) αιωνας των αιωνων = „(bis) in (die) Aionen der Aionen“ sehr häufig im NT anzutreffen. In der paulinischen Literatur, im Hebräer-Brief und vor allem in der Apokalypse. Ich habe in den Zitaten hier absichtlich immer αιων mit „Aion“ wiedergegeben, statt mit dem fast immer dafür verwendeten deutschen Wort „Ewigkeit“, um das Übersetzungsproblm erstmal draußen vor zu lassen.
In den meisten Fällen werden aber alle diese oben erwähnten Stellen im NT statt der korrekten Übersetzung mit „vpn Ewigkeit zu Ewigkeit“ wiedergegeben. Dagegen haben die frühen lateinischen Übersetzungen des NT jeweils „per saecula saeculorum“, was zumindest grammatisch ein wenig korrekter ist.
Der oben schon genannte griechische Ausdruck
ἀπὸ τοῦ αἰῶνος ἕως τοῦ αἰῶνος („von Aion bis zu den Aionen“ oder „bis in die Aionen“)
findet sich dagegen recht häufig in der LXX (Septuaginta, die erste griechische Übersetzung des AT im 2. Jhdt v. Chr.). Er gibt grammatisch korrekt das hebräische Original wieder. Z.B. in Psalm 90.2:
hebr:
ומעולם עד־עולם אתה אל
griech:
ἀπὸ τοῦ αἰῶνος ἕως τοῦ αἰῶνος σὺ εἶ
„von Aion zu Aion bist du, Gott.“
Die Frage bleibt aber nun, was mit Aion in dem zeitgenössischen Griechisch (die Koine) nun gemeint war. In den meisten wissenschaftlichen Abhandlungen über diese Frage (nicht nur die zahllosen Geschreibsel im Internet, Wikipedia incl.), was im Tanach mit „olam“, in der Septuaginta mit aion, im NT mit dem - vorzüglich in der johanneischen Literatur zu findenden - Ausdruck „zoe aionios“ („aionisches Leben“) und zoe eis ton aiona (Leben in das Aion (hienein)* gemeint ist, und ob und wann und in welchem Sinne das jeweils mit „Ewigkeit“, „ewig“ wiedergegeben werden kann, wird übersehen, daß auch das deutsche „ewig“ verschiedene Konnotationen hat. Nämlich:
Die Bedeutung „anfanglose Zeit“, „endelose Zeit“ taucht für das hebräische „olam“ erst in der apokalyptischen jüdischen Literatur (z.B. im äthiopischen Henoch, äth. Hen.) der zwei Jhdte v. Chr. auf. Und zwar geht dies auf den Einfluß der früheren persischen (achämenidischen) bzw. zeitgenössischen parthischen (arsakidischen) Literatur des sog. „Zervanismus“ zurück (einem Nebenzweig des Zarathustrismus). Dort ist unter anderen Ausdrücken die „akeren zruuan“ = „unenstandene/ungeschaffene Zeit“ ein zentraler Begriff, dem dort bereits auch die Bedeutung „aus der Zeit herausgenommen“, „zeitlos“ zukommt. In keiner anderen Philosophie/Kultur/Religion dieser Zeit findet sich das so.
Die Bedeutung „endlos ausgedehnte Zeit“ ist aus der griechischen Klassik bzw frühen Hellenismus herübergekommen, vornehmlich aus Platons „Tímaios“, und zwar in Anlehnung an das griech. „aídios“, dem meist eine Synonymität mit „unsterblich“ (ambrotos) zukommt, wenn dort von den Göttern die Rede ist.
Die Bedeutung „zeitlos/überzeitlich“, wie gesagt zuerst bereits im parthischen Zervanismus konsolidiert, wird in der christlichen Philosophie der Spätantike erst mit Augustinus, Boethius und Basilius, und später im Frühmittelalter bei Eriugena ausgebildet. Bei Meister Eckhart hat diese Begrifflichkeit mit seinem „ewic nu“ einen begriffshistorischen Höhepunkt (Z.B. „Gott schafft die Welt in einem ewigen Jetzt“). Auf ihn geht, wie viele andere Übertragungen griechischer und lateinischer Begriffe ins Deutsche, auch die Wortbildung „ewicheit“ zurück. mit eben dieser Bedeutung von „Zeitlosigkeit“.
Das hebräische „olam“ hatte dagegen ursprünglich (d.h. in den älteren Schriften des Tanach) mit Zeitbegriffen gar nichts zu tun. Und das griechische Aion war in den meisten Mythologien und philosophischen Kontexten das „Zeitalter“ (dem lateinischen „saeculum“ entsprechend), oder die „Lebenszeit“, eine Kultur-Epoche.
In der Zeit des NT kursierten aber zahlreiche Mythologien bzgl. „aion“, unter anderem auch solche, die eine Vielzahl von Aionen (im Sinne von aufeinanderfolgenden „Welten“, „Weltaltern“) annnahmen. Und dies spiegelt sich in manchen entsprechenden Wortgebräuchen auch des NT wieder: Das jetztige, hiesige Weltalter wird mit der Wiederkunft Christi (die im 1. Jhdt von vielen noch während der Lebenszeit der Zeitgenossen vermutet wurde) in ein neues Aion übergehen. Bei den Synoptikern (im Ggs. zum Joh.-Ev.) ist Aion fast immer in diesem Sinne gebraucht. Es gibt das „jetztige“ und das „kommende“ Aion. Dabei wird statt griech. „aion“ meist das griech. „kosmos“ verwendet. Und „kosmos“, also die physische und soziale Lebenswelt, ist oft auch die Bedeutung des hebräischen „olam“ im AT.
Soweit mal fürs Erste ein Überblick über die Begriffsprobleme in dem besagten Zusammenhang.
Gruß
Metapher