Vorsokratik

Tach,
ich bräuchte dringend einige Informationen über die Vorsokratik!
Besonders würde mich interessieren, was die wesentlichen Merkmale der Zeit sind (d.h. durch was sie gekennzeichnet ist)!

Außerdem würde mich eure Meinung über die Unterschiede der Zeit- und Raumvorstellung des griechischen Mytoses zu unsere heutigen Vorstellungen interessieren!

Hoffe auf viele Antworten! Danke!!!

einige Informationen über die
Vorsokratik!

Sehr geehrter Herr Güstrow,

ich sehe mich außer Stande, auf einigen Seiten „einige Informationen über die Vorsokratik“ niederzuschreiben, mit denen ich zufrieden wäre, da das Thema einfach zu umfangreich ist.

Wichtigstes Merkmal der Vorsokratiker ist, dass sie sich vom Mythos abwendeten und von der Vernunft überprüfbare und überprüfte Erkenntnisse suchten über das „was die Welt, im innersten zusammenhält“.

Dabei wollten sie ein Urprinzip, aus dem alles entstanden ist und nach Gesetzen alles am Laufen bleibt, finden.
Diesem Prinzip gab man mehrere Namen: Wasser, Feuer, Geist, „das Unbegrenzte“, Äther und noch einige andere.
Manche von diesen Namen klingen eher „materiell“, andere mehr „abstrakt, ideell“. Sie sind aber stets beides.

Einen wirklich informativen und nicht allzu ausführlichen Einstieg in die Vorsokratik bietet
"Die Vorsokratiker, Ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Nestle
VMA-Verlag Wiesbaden.
Meine Ausgabe ist so alt, dass sie keine ISBN enthält. Sie müssten also sehen, ob es eine neuere Ausgabe gibt.

Wollen Sie mehr und Genaueres wissen, empfiehlt sich die Lektüre von:
Wolfgang Schadewaldt, Die Anfänge der Philosophie bei den Griechen, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, ISBN 3-518-07818-6 Buch anschauen
Das sind aber mehr als 500 Seiten.

Mit freundlichen Grüßen
Fritz Ruppricht

Wichtigstes Merkmal der Vorsokratiker ist, dass sie sich vom
Mythos abwendeten und von der Vernunft überprüfbare und
überprüfte Erkenntnisse suchten über das „was die Welt, im
innersten zusammenhält“.

Es ging weniger um ein „Abwenden“ vom Mythos und um das „Suchen“ nach Überprüfbarem, als vielmehr darum, den mythischen Welterklärungen, die sich von ihrer Natur her einem Beweis oder einer Überprüfung generell entziehen, ein überprüfbares und beweisbares Wissen über die Welt entgegenzustellen. Zu diesem Zweck mußten aber ersteinmal VERFAHREN des Begründens und Beweisens (das sind zugleich Verfahren auch des Widerlegens!) entwickelt werden. Auch (Schöpfungs-)Mythen versuchten zu erklären, WARUM die Welt („kosmos“) ist und WARUM sie SO ist, wie sie ist. Aber diese Erklärungen bestanden in eine Abfolge von immer wieder neuen Bildern, nicht in einer logischen und (empirisch) überprüfbaren Folgerichtigkeit.
Die in vorsokratischer Zeit versuchten BeweisVERFAHREN bestanden dann darin, ein „Prinzip“ („arche“, was zugleich auch „Anfang“ heißt) zu postulieren, das selbst einen Beweis nicht nötig hat, aus dem aber dann reproduzierbar (!) das (sinnlich wahrnehmbare) Vorhandene „abgeleitet“ werden konnte. Diese „Rückführung“ AUF einen „Grund“. und umgekehrt: die „(Wieder-)Herleitung“ AUS einem Grund kann man als die Anfänge von Be-GründungsVERFAHREN ansehen.

Dabei wollten sie ein Urprinzip, aus dem alles entstanden ist
und nach Gesetzen alles am Laufen bleibt, finden.
Diesem Prinzip gab man mehrere Namen: Wasser, Feuer, Geist,
„das Unbegrenzte“, Äther und noch einige andere.
Manche von diesen Namen klingen eher „materiell“, andere mehr
„abstrakt, ideell“. Sie sind aber stets beides.

Völlig richtig! Es waren zwr „sinnliche“ NAMEN für Prinzipien („archai“), aber es waren trotzdem Begriffe, die man später als „abstrakt“ bezeichnen würde (den Ausdruck „abstrakt“ gab es noch nicht). Ein erstes tatsächlich abstraktes Prinzip ist wohl das „apeiron“ (das Unbegrenzte) des Anaximander. Dagegen SCHIEN das Wasser des Thales oder die vier „Elemente“ („Feuer“, „Wasser“, „Luft“, „Erde“) des Empedokles noch „sinnlich“ zu sein. Die letzteren sollten durch attraktive („Liebe“) und repulsive („Haß“) Bewegungen für die reichere Struktur der sinnlichen Realität verantwortlich sein.

Bei manchen gab es sowohl pseudosinnliche als auch abstrakte Überlegungen: so Heraklit mit dem „Feuer“, der aber auch Überlegungen über den „logos“ (Vernunft) machte, sowie über das „Sein“ („Sein und Nichtsein ist dasselbe“…). Wichtig vor allem Parmenides mit seinen Ausführungen über das „Sein“ („Nichtsein“ sei ein sinnloser Begriff…) und Anaxagoras über die Vernunft („nus“).

Nicht zuletzt muß natürlich die Entwicklungsgeschichte des abstrakten Atomismus erwähnt werden (Anaxagoras, Leukipp, Demokrit)

Der Äther („aither“) spielte zunächst noch eine mythische Rolle (Hesiod), er wird erst bei Aristoteles zum philosophischen Terminus. Auch der Begriff „Geist“ („pneuma“) wird erst in der Stoa zum philosophischen Terminus.

Gruß M.G.

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Werter Herr Dr.Gies, werter Herr Ruppricht.

Ihre beiden Interpretationen der Vorsokratiker
müssen auf DEN Nietzsche, der DIE TRAGÖDIE…
schrieb und dort die Differenz des Denkens
vor und nach Sokrates ernst nahm, wie ein so-
kratischer Alptraum wirken.

Es ist vergleichbar mit dem DDR-polit-Slang,
der einen Song der Beatles zu deuten sucht.

Gibt es Auswege?

x-nada

Könnten Sie Ihren Standpunkt etwas ausführlicher darlegen. Mit dem bisher Gesagten weiß ich noch nichts anzufangen.

Wenn ich etwas von oder bei Nietzsche gelernt habe, dann dies, dass es DEN Nietzsche nicht gibt. Und DER Nietzsche, der die Geburt der Tragödie geschrieben hat, hat später in seiner mittleren Zeit ganz anders über Sokrates und die Griechen geschrieben. Und der späte Nietzsche noch einmal anders.

Auswege gibt es mehr als man gemeinhin denkt.

Interpretieren Sie mal „Revolution“ von den Beatles, das geht mit jedem Politslang.

Beste Grüße
Fritz Ruppricht

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ja, aber…

Gibt es Auswege?

Werter x-nada,

auch ich kann nicht so recht erkennen, worauf Sie hinauswollen. Sehr wohl ahne ich aber eine interessante Fragestellung in Ihrer Bemerkung.

Die Ausführungen von Herrn Ruppricht und mir waren doch wohl eher eine Kurz-Darstellung von dem, was in der vorsokratischen Zeit sich ereignete… mit der wir dem urspünglichen Wunsch der ersten Mail zu entsprechen versuchten. Das, was wir schrieben ist philosophiegeschichtlich überhaupt nicht strittig und eher Bericht als Interpretation. Daß jede Epoche eine vorgängige Geschichte anders liest, das ist natürlich klar…

Derweil ist es immer ein Charakteristikum der Geschichte von philosophie gewesen, daß die folgenden Denker die Vorgänger kritisch hinterfragten und sie vor einem anderen Interpretationsbackground lasen, als diese ihn hatten. Dies ist bei Platon und vor allem bei Aristoteles so geschehen. Der letztere hat auch damit angefangen, überhaupt erteinmal die Leistung der Vorgänger darzustellen, bevor er mit Vorschlägen rausrückte, es anders zu machen. Dadurch ist überhaupt zum erstenmal eine Verfahren kritischen Interpretierens dokumentiert worden.

Dagegen läßt sich die bloße Erwähnung, daß es atomistische Ideen gab, oder daß der Begriff der „arche“ eine wichtige Rolle zu spielen begann, und daß verschiedene „archai“ versucht wurden, und daß man auf dem Weg war, Methoden für die Gewinnung REPRODUZIERBAREN Wissens zu entwickeln, etc etc wohl kaum als „Interpretation“ verstehen.

Nietzsche (in allen Phasen seiner Arbeit) ist eine spezifische kritische Auseinandersetzung mit der griechischen Antike, auch mit spezifischen Interessen (um diese geht es Ihnen ja wahrscheinlich auch), damit macht er natürlich auch Interpretation.

Vielleicht haben Sie ja Lust, Ihre Gedanken und Bedenken hier genauer auszuführen? Besonders würde mich interessieren, was Sie mit der Frage „gibt es Auswege?“ intendieren…

Gruß M.G.

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Hallo,
das Thema ist natürlich komplex. Ich habe mich darüber bei
Luciano de Crescenzo informiert, zwei Bände Taschenbuch, informativ
und unterhaltsam. uba

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Hallo,

es ist zwar ziemlich spät, ich bin aber erst seit kurzem dabei.

Es gibt im Reclam-Verlag eine zweisprachige Ausgabe (griechisch-deutsch) der Vorsokratiker.

Die Vorsokratiker I (RUB 7965) und II (RUB 7966).

Gute Auswahl mit guten Erläuterungen.
Behandelt werden Thales, Anaximander, Anaximenes, Pythagoras, Xenophanes, Heraklit und Parmenides (1. Band);
Zenon, Empedokles, Anaxagoras, Leukipp und Demokrit (2. Band).

Preis: 4 Reclam-Sterne (3 oder 4 DM pro Stern), insgesamt also keine 30 DM. Lohnt sich!

Grüße

Thomas Miller

Leider fehlen insbesondere die Sophisten.