Wäre oder würde

Liebe Experten!

Mir kommt dieser Satz sehr eigenartig vor, da er ein Ereignis in der Zukunft als vergangen beschreibt:
„Am 25. August 2012 wäre E. H. 100 Jahre alt geworden.“
Müsste es nicht richtiger heißen:
„Am 25. August 2012 würde E. H. 100 Jahre alt werden.“
Dieser Satz wurde ja vor dem 25. August 2012 geschrieben.

Vielen Dank!
Heiner

Hallo Heiner,

Der von dir vorgeschlagene Satz ist in sofern richtig, wenn man das Ereignis in der Zukunft nicht als vergangen beschreiben möchte.
Wenn doch, fehlt in deinem Konjunktiv II-Satz noch die abgeschlossene Zukunft (Futur II).
Beides zusammen müsste dann so heißen:

„Am 25. August 2012 würde E. H. 100 Jahre alt geworden sein.“

Bildung: Konjunktiv II des Hilfsverbs ‚werden‘ + Infinitiv Perfekt

Klingt natürlich alles mehr schlecht als recht…

LG,
mifune

Hallo,
das sehe ich auch so!
Viele Grüße
Ines


Ines Balcik | Lektorin, Autorin
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Lieber Heiner, ich stimme zu: richtigER - aber die andere Version nicht grad falsch; wenn man das als undatierte - zeitlose - Feststellung betrachtet, halte ich „wäre“ für zulässig , besser unter Weglassung von „geworden“. (Eher eine Frage der Sinnhaftigkeit als der Grammatik.) Freundliche Grüße hk

Lieber Heiner,

vielen Dank für die interessante Frage.

Grammatikalisch am wenigsten anfechtbar wäre m.E. die Form Futur II Konjunktiv, also „Am 25.08. würde E.H. 100 Jahre alt geworden sein“. Aber so spricht ja keiner.

Ich gehe mal davon aus, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt der Rede schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ansonsten wäre das Problem relativ einfach zu lösen. Denn dann heiße die korrekte Formulierung: „Am 25.08. wird E.H. 100 Jahre alt (werden)“ Wobei das 2. „Werden“ auch weggelassen werden kann, da dies redundant ist. Zwar kann zu dem Zeitpunkt genaugenommen niemand wissen, ob E.H. seinen 100. Geburtstag noch erleben wird. Aber es ist ja die Aufgabe eines Redners, allgemein positive Stimmung zu verbreiten. Aber wie würdest dich wohl fühlen, well du als klappriger Greis im Publikum säßest, und der Redner würde (sachlich und grammatikalisch völlig korrekt) verkünden: „Am 25.08. könnte Heiner XY 100 Jahre alt werden.“ :wink:))

Da E.H. jedoch offenbar bereits vor dem Zeitpunkt der Rede verstorben ist, ist davon auszugehen dass er seinen Geburtstag nicht mehr im Diesseits und daher nicht im Indikativ feiern wird. Insofern kann der Redner von vornherein nur noch den Konjunktiv benutzen.

Er hat also nur noch die Entscheidung zwischen „würde“ und „wäre“.

Und da würde ich mit den Begriffen „Potenzialis“ und „Irrealis“ operieren wollen. Wobei Potenzialis anzeigt, dass noch eine realistische Möglichkeit besteht. Etwa in dem Satz: „Wenn du mir Geld gäbest, würde ich uns noch Bier holen“. Dagegen Irrealis: „Wenn du mir Geld gegeben hättest, hätte ich uns noch Bier geholt!“ (Nachdem der Dorfkiosk vor 10 Minuten dicht gemacht hat und die Aussicht auf Bier somit irreal ist).

Wenn aber besagter E.H. bereits vor dem Zeitpunkt der Rede verstorben ist, dann ist die Aussicht darauf, dass er im August 100 Jahre alt werden kann, ebenfalls irreal, auch wenn der August noch in der Zukunft liegt. Jedenfalls vom allgemeinen Sprachgebrauch gesehen. Gut möglich, dass es wirklich einige Freaks gibt, die sich zu Sätzen hinreißen lassen wie „Goethe wird im kommenden August 263 Jahre alt (werden)“. Denen würde aber jeder spontan den Vogel zeigen wollen, weil wir uns angewöhnt haben, am Todesdatum mit dem Weiterzählen aufzuhören. Was ja auch vernünftig ist. Sonst könnten wir ja getrost sagen, xy wird 16 Jahre alt und yz wird 523 Jahre alt, und zwischen beiden gäbe es keienn Unterschied. Auch wen yz bereits vor 450 Jahren nach einem erfüllten Dasein auf Erden im Kreise seiner Kinderreichen Familie friedlich sein Leben ausgehauchht hat.

Abgesehen davon müssen aber selbst solche Goethe-Freaks auf den Indikativ zurückgreifen (=>Realis). Dass Falco real noch am Leben sein soll, davon habe ich ja schon gehört. Aber Goethe …?!?

Was den Potenzialis und den Irrealis auszeichnet, das ist die Tatsache, dass beide im Gegesatz zum Realis an Bedingungen geknüpft sind. Vgl. mein Beispiel mit dem Bier. Aktion: Kumpel holt noch Bier. Bedingung im Potenzialis: Ich lege das Geld aus. Bedingung im Irrealis: Der Kiosk hat noch geöffnet.

Überprüfe anhand dessen jetzt bitte mal beide Versionen selbst an deinem Beispiel. Wie würdest du die beiden Sätze beenden, voausgesetzt E.H. ist bereits verstorben.

„E.H. wäre bald 100 Jahre alt geworden, wenn …“

oder

„E.H. würde bald 100 Jahre alt werden, wenn …“

H.-G.

Lieber Horst-Guenter,

theoretisch hast Du sicher recht. Aber diese Formulierung in der ersten Form geistert gerade in den Fernsehprogrammen herum, deshalb wollte ich das mal wissen.

Meiner Meinung nach fehlt auch der Nebensatz, den man aber in so einem Falle meistens gerne weglässt. Das hat sich inzwischen als Standard etabliert. Man setzt voraus, dass bei dieser Formulierung jeder weiß, dass die angesprochene Person nicht mehr am Leben ist.

Man könnte die Varianten auch so formulieren, um es klarer darzustellen:
„Gestern wäre E. H. 100 Jahre alt geworden.“
„Morgen wäre E. H. 100 Jahre alt geworden.“
Wobei man die zweite Variante sicher als falsch ansehen würde. Und genau das meine ich …

Richtig wäre doch sicherlich:
„Morgen würde E. H. 100 Jahre alt werden.“

Viele Grüße
Heiner

Hallo,
wenn die Person nicht mehr am Leben ist, dann ist „wäre geworden“ schon richtig.
Gruß Bärbel

„Morgen würde E. H. 100 Jahre alt werden.“

nämlich WENN …?

(wie gesagt, vorausgesetzt E.H. ist verstorben)

Ich will hier aber nicht den Deutschlehrer spielen.
Soll heißen: Wenn du mich von deiner Version überzeugen kannst, gebe ich auch gern zu, dass ich im Umrecht bin.

Hallo Heiner,
das siehst du vollkommen richtig. Der erste Satz ist erst nach dem 25. August 2012 sinnvoll.
Gruß
waldgyst

Dann formulieren wir das mal so:
„… wo er vorvorgestern starb. Morgen würde E. H. 100 Jahre alt werden.“

Wie ich schon sagte, lässt man den Nebensatz (wenn …) inzwischen allgemein weg, weil man voraussetzt, dass jeder weiß, dass die Person nicht mehr lebt.

Das gilt auch einzig und allein in diesem Falle des Geburtstages einer nicht mehr lebenden Person, ansonsten ist der erklärende Nebensatz zwingend notwendig. Da gebe ich Dir völlig Recht.

Viele Grüße
Heiner

Hallo,

ich glaube, dein Diemma zu verstehen.

Die Crux besteht in dem Paradoxon, dass ein Ereignis, das in der Zukunft liegt (der Geburtstag nämlich), mit einer Tempusform beschrieben wird, welche normalerweise für die Vergangenheit zuständig ist. Denn die Version mit „gestern“ ist ja unstrittig.

Das funktioniert aber nur im Konjunktiv. Nimmt man den Konjunktiv raus, so erhält man den Satz „Morgen ist R.H. 100 Jahre alt geworden“, welcher ja völliger Nonsens ist.

Dennoch erscheint mir die Formulierung mit „wäre“ nicht falsch. Ich würde sie sogar eher verwenden als die Formulierung mit „würde“, die mir jedoch nach längerem Nachdenken zumindest sachlich nicht falsch erscheint.

Die einzige Erklärung, die ich geben könnte, wäre eben die mit Irrealis und Potenzialis, die ich bereits angeführt habe. Es ist eben irreal, dass ein bereits Verstorbener 100 Jahre alt wird, jedenfalls nach dem üblichen Sprachgebrauch. Darum „wäre“.

Diese Kategorien habe ich noch in der Schule gelernt, obwohl ich weiß, dass sie unter Sprachwissenschaftlern umstritten sind.

Vielleicht findest du hier noch eine bessere Antwort auf deine Frage:

http://www.belleslettres.eu/artikel/konjunktiv.php

http://www.belleslettres.eu/artikel/optativ-potentia…

Mit freundlichen Grüßen

Horst-Günter

Hallo Heiner,

ist beides richtig.
Variante 1, wenn E.H. zum gegenwärtigen Zeitpunkt, da Du den Satz
schreibst, schon verstorben ist.
Variante 2 ist richtig, wenn er jetzt noch lebt.
Kommt drauf an, was Du ausdrücken willst, wäre auch richtig:
„Am 25. August 2012 wird E. H. 100 Jahre alt.“

Z.B. „Am 25. August 2012 würde E. H. 100 Jahre alt werden.“ ("… aber
er hat eine so schwere Krankheit, daß er nur noch 10 Tage zu leben hat …"
Makaber, ja?

Also: Alles möglich, abhängig von dem, was Du sagen willst.

Liebe Grüße
Andreas

Hallo, Heiner,

ich habe deine Sätze ergänzt , um die Assoziationen zu verdeutlichen, die bei mir geweckt werden.

  1. Wenn E. H. zum Sprechzeitpunkt lebt, rate ich zum Futur I Indikativ: „Am 25. August 2012 wird E. H. 100 Jahre alt werden, wenn er weiter so vor Gesundheit strotzt.“

  2. Wenn E. H. zum Sprechzeitpunkt nicht mehr lebt, ist der Konjunktivus Irrealis angebracht, weil ausgeschlossen ist, dass E. H. hundert Jahre alt werden wird:
    „Am 25. August 2012 wäre E. H. 100 Jahre alt geworden, aber leider verstarb er schon als Dreißigjähriger.“

  3. Sollte E. H. noch leben, erschiene mir dein zweiter Satz zwar möglich, aber unheilverkündend:
    „Am 25. August 2012 würde E. H. 100 Jahre alt werden, wenn sein Tod nicht schon beschlossene Sache wäre.“


Mit freundlichem Gruß
Ulf Plewa