Lieber Heiner,
vielen Dank für die interessante Frage.
Grammatikalisch am wenigsten anfechtbar wäre m.E. die Form Futur II Konjunktiv, also „Am 25.08. würde E.H. 100 Jahre alt geworden sein“. Aber so spricht ja keiner.
Ich gehe mal davon aus, dass die betreffende Person zum Zeitpunkt der Rede schon nicht mehr unter den Lebenden weilt. Ansonsten wäre das Problem relativ einfach zu lösen. Denn dann heiße die korrekte Formulierung: „Am 25.08. wird E.H. 100 Jahre alt (werden)“ Wobei das 2. „Werden“ auch weggelassen werden kann, da dies redundant ist. Zwar kann zu dem Zeitpunkt genaugenommen niemand wissen, ob E.H. seinen 100. Geburtstag noch erleben wird. Aber es ist ja die Aufgabe eines Redners, allgemein positive Stimmung zu verbreiten. Aber wie würdest dich wohl fühlen, well du als klappriger Greis im Publikum säßest, und der Redner würde (sachlich und grammatikalisch völlig korrekt) verkünden: „Am 25.08. könnte Heiner XY 100 Jahre alt werden.“
))
Da E.H. jedoch offenbar bereits vor dem Zeitpunkt der Rede verstorben ist, ist davon auszugehen dass er seinen Geburtstag nicht mehr im Diesseits und daher nicht im Indikativ feiern wird. Insofern kann der Redner von vornherein nur noch den Konjunktiv benutzen.
Er hat also nur noch die Entscheidung zwischen „würde“ und „wäre“.
Und da würde ich mit den Begriffen „Potenzialis“ und „Irrealis“ operieren wollen. Wobei Potenzialis anzeigt, dass noch eine realistische Möglichkeit besteht. Etwa in dem Satz: „Wenn du mir Geld gäbest, würde ich uns noch Bier holen“. Dagegen Irrealis: „Wenn du mir Geld gegeben hättest, hätte ich uns noch Bier geholt!“ (Nachdem der Dorfkiosk vor 10 Minuten dicht gemacht hat und die Aussicht auf Bier somit irreal ist).
Wenn aber besagter E.H. bereits vor dem Zeitpunkt der Rede verstorben ist, dann ist die Aussicht darauf, dass er im August 100 Jahre alt werden kann, ebenfalls irreal, auch wenn der August noch in der Zukunft liegt. Jedenfalls vom allgemeinen Sprachgebrauch gesehen. Gut möglich, dass es wirklich einige Freaks gibt, die sich zu Sätzen hinreißen lassen wie „Goethe wird im kommenden August 263 Jahre alt (werden)“. Denen würde aber jeder spontan den Vogel zeigen wollen, weil wir uns angewöhnt haben, am Todesdatum mit dem Weiterzählen aufzuhören. Was ja auch vernünftig ist. Sonst könnten wir ja getrost sagen, xy wird 16 Jahre alt und yz wird 523 Jahre alt, und zwischen beiden gäbe es keienn Unterschied. Auch wen yz bereits vor 450 Jahren nach einem erfüllten Dasein auf Erden im Kreise seiner Kinderreichen Familie friedlich sein Leben ausgehauchht hat.
Abgesehen davon müssen aber selbst solche Goethe-Freaks auf den Indikativ zurückgreifen (=>Realis). Dass Falco real noch am Leben sein soll, davon habe ich ja schon gehört. Aber Goethe …?!?
Was den Potenzialis und den Irrealis auszeichnet, das ist die Tatsache, dass beide im Gegesatz zum Realis an Bedingungen geknüpft sind. Vgl. mein Beispiel mit dem Bier. Aktion: Kumpel holt noch Bier. Bedingung im Potenzialis: Ich lege das Geld aus. Bedingung im Irrealis: Der Kiosk hat noch geöffnet.
Überprüfe anhand dessen jetzt bitte mal beide Versionen selbst an deinem Beispiel. Wie würdest du die beiden Sätze beenden, voausgesetzt E.H. ist bereits verstorben.
„E.H. wäre bald 100 Jahre alt geworden, wenn …“
oder
„E.H. würde bald 100 Jahre alt werden, wenn …“
H.-G.