Stress bei Mastschweinen
Servus,
in mehr oder weniger bedeutendem Ausmaß gibts diesen Effekt immer. Beide Ausprägungen PSE (zu viel Milchsäure im Schlachtkörper, wie bei Muskelkater) und DFD (zu wenig Milchsäure im Schlachtkörper), die bei Schweinefleisch ein Problem darstellte, weil das Fleisch kaum noch genießbar war (hat auch mit dem Abhängen zu tun, das im Gegensatz zu Rind bei Schwein nicht mit dem Fleisch, sondern erst mit der Worschd - je nach Typ - passieren sollte, dann „Reifen“ heißt und ein bissel anders funktioniert), waren hauptsächlich eine Folge der Zucht. Die von Handel und Verbrauchern ab den 1960er Jahren gewünschten mageren, fleischreichen Schweine und auch Rassen, die einseitig auf sehr hohe Tageszunahmen gezüchtet werden, sind viel stärker stressanfällig als die alten Rassen wie das Deutsche Edelschwein oder das seit einiger Zeit als Rasse für „Premium“-Qualität wieder populäre Schwäbisch-Hällische Landschwein, die beide kein besonders mageres Fleisch bringen und daher für das „tägliche Schnitzel“ ungeeignet sind, seit die Leute, die es auf dem Teller haben, Angst vor Fett haben.
Heute spielt DFD-Fleisch bei Hähnchen und Puten noch eine Rolle, bei Schwein kaum mehr; PSE ist bei Schweinen immer noch zu finden, das ist z.B. das Gulasch, das sich nicht anbraten lässt, weil es sofort im eigenen Wasser schwimmt, sobald es in den heißen Topf kommt. PSE lässt sich an der bleichen Färbung auch roh ziemlich leicht erkennen, DFD nicht so auf einen Blick.
Eine relativ einfache Methode, die Disposition für Stressanfälligkeit zu vermindern, ist die Aufstellung von „Gebrauchskreuzungen“ zur Mast: Ferkel von Eltern aus zwei Reinzuchtlinien, die sich relativ stark unterscheiden, z.B. Mutter Deutsche Landrasse, Vater Piétrain, sind in der Regel viel vitaler, robuster und weniger stressanfällig als Nachkommen von Reinzuchtlinien (die Reinzucht ist dabei für die Erzeugung der Elternlinien trotzdem wichtig, weil es diesen Effekt nur bei der ersten, eben der Gebrauchskreuzung gibt; es würde nichts bringen, sozusagen beliebig querbeet zu verpaaren).
Wenn sich der Transport nicht grad bei Hochsommerwetter über viele hundert Kilometer Autobahn hinzieht, ist die Fahrt selber nicht so ein großes Problem, eher das Verladen. Da kann man durch geeignete Gestaltung der Wege von den Boxen zum LKW, Gestaltung der Rampen und ruhiges Arbeiten sehr viel erreichen - die Wutz, die auf dem Hof gemetzget wird und dabei in heller Aufregung zuerst dreimal ums Haus gejagt wird, bevor man sie im Griff hat, erlebt vor ihrem Tod hie und da größere Abenteuer als im großen Maßstab gehaltenes Schlachtvieh, wenns auf den LKW Richtung Schwarzwald oder Parma verladen wird.
Von einem nur noch mit viel gutem Willen und aus Höflichkeit gegenüber den Gastgebern essbaren Hähnchen erzählt mein Bruder, zu dessen Ehren bei der Verwandtschaft in der dominikanischen Republik ein Giggel geschlachtet wurde. Da dortselbst die Klappe am Hühnerstall unbekannt ist, die bei uns im traditionellen Hühnerstall nicht bloß z.B. vor Mardern schützt, sondern es auch möglich macht, an der Klappe Obacht zu geben, bis das ausersehene Opfer herauskommt, und es dann mit einem schnellen Griff beim Schlawittchen zu kriegen, wurde das Tier in großer Aktion von mehreren Leuten längere Zeit mit Steinschleudern im Hof herum gejagt, bis es einer mit einem Treffer am Kopf niederstrecken konnte. Auf dem Teller hatte es dann etwa die Farbe eines Fasans mit ein paar tausend Flugstunden und die Bißfestigkeit von Pemmikan.
- Da gibts zum Thema Transport noch eine hübsche Sache am Rande: Im 19. Jahrhundert galt in Paris das „Boeuf de Hohenlohe“ als Nonplusultra beim Rindernen, dem heimischen Charolais und Limousin noch überlegen. Die Herden wurden vor dem Bau der nötigen Eisenbahnlinien aus dem Erzeugungsgebiet im Fußmarsch nach Paris getrieben. Ob die berühmte Qualität damit zusammenhing, daß die Tiere vor dem Schlachten auf etwa 650 km Fußmarsch ordentlich durchtrainiert waren, so daß sich kaum Schwierigkeiten mit dem Glykogenabbau im Muskelfleisch ergeben haben sollten, weiß ich nicht - es wäre aber einleuchtend. Heute scheint mir dieser Effekt wesentlich für die hohe Qualität von Rind aus reiner Weidemast zu sein, obwohl das Futter bei dieser Mastform natürlich auch eine Rolle spielt.
Nungut - ich hoffe, all dieser Verzäll aus der Welt der Aasesser ist Dir nicht zu nahe gegangen…
Schöne Grüße
MM