Warum gibt es von Friedrich Hölderlin nur ein einziges Porträt?

Es gibt nur eine bekannte bildliche Darstellung von Friedrich Hölderlin, und zwar das Pastellporträt von Franz Karl Hiemer aus dem Jahr 1792. Hölderlin hatte aber selbst zu den Zeiten, als er bereits psychisch erkrankt in Tübingen lebte, einige Bewunderer. Es wundert mich, dass es keine weiteren bildlichen Zeugnisse von ihm gibt. Hatte man damals kein Interesse daran, ihn öfter zu porträtieren? Seine Zeitgenossen Goethe und Schiller wurden viel viel öfter dargestellt. Als Hölderlin 1843 starb, gab es die Daguerreotypie seit etwa vier Jahren. Schon in dieser recht frühen Zeit der Fotografie wurden Menschen auf Platte gebannt. Warum nutzte man nicht wenigstens dies bei Hölderlin aus, wenn man ihn schon nicht malen wollte?

Ich kann deine (wohl auch für Experten schwer zu beantwortende) Frage nicht wirklich beantworten, aber vielleicht kann ich immerhin ein paar Gedanken dazu geben.

Ich finde das nicht so extrem verblüffend.
M.W. gibt es z.B. vom Zeitgenossen Kleist auch nur ein einziges zu Lebzeiten entstandenes kleines Bildchen, das Kleist auch noch selbst anfertigen ließ.
(evtl. gabs noch ein paar, die nicht erhalten geblieben sind, bin aber nicht sicher)

Diese beiden, insbesondere Goethe, sind natürlich schon von einer ganz andere Größenordnung.
Sowohl in der Rezeption der Werke zu ihren Lebzeiten als auch v.a. eben in der Stellung im öffentlichen Leben.

Hölderlin war fast zu jeder Zeit seines Erwachsenenlebens weitgehend ein gesellschaftlicher Außenseiter, sein Leben war schon vor seiner psychiatrischen Be-/Misshandlung recht unstet gewesen, und die finanziellen Mittel waren stets begrenzt.

Er war nicht adelig und zu keiner Zeit wirklich „bürgerlich“ (wenn auch aus Oberschichtsverhältnissen stammend, aber doch eher prekären Verhältnissen ausgesetzt).
Am ehesten noch war er das wohl tatsächlich zur Studentenzeit, d.h. zur Zeit, in der dieses Bildnis entstanden ist.

Kurzum: Hölderlin ist damals nicht der Typ Mensch gewesen, der allzu sehr portraitiert worden ist.

Und später dann, in den Jahren der Unterbringung, hat Hölderlin ja doch recht isoliert gelebt.
Natürlich hatte er gerade am Ende seines Leben einige Bewunderer. Warum von denen keiner mehr Wert auf ein Bildnis gelegt hat, ist natürlich schwer zu ergründen. Vielleicht auch deshalb, weil er zu dem Zeitpunkt schon lange Zeit mehr idealisierter Mythos denn lebender Mensch war.
Aber auf diese letzte, sehr pauschale Formel von mir würde sich ein Hölderlin-Kenner vermutlich nicht einlassen.

Aber bis sie sich etwas breiter für Portraitaufnahmen durchgesetzt hat, hats offenbar bis Mitte der 40er Jahre gedauert: Schopenhauer (1845), Lincoln (1846), Schelling (1848)

Gruß
F.

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Vielen Dank für Deine umfassende Antwort, selbst wenn sie die Frage nicht löst, aber ich habe mich sehr darüber gefreut! :slight_smile: Ein Freund von mir hatte mal zu Schulzeiten einen Deutschlehrer, der bei uns regional als großer Hölderlin-Fan und Forscher bekannt war. Leider verstarb er viel zu früh, sonst hätte ich ihn fragen können.

Es gibt diverse Zeichnungen von Hölderlin aus der Turmzeit, alle entnommen: „Hölderlin. Der Pflegsohn. Texte und Dokumente 1806 - 1843“ Hrsg. Gregor Wittkop

Falls Du weitere Fragen zu Hölderlin hast, immer her damit :slight_smile:

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Ich habe eine!
Wie siehst du das Verhältnis zwischen Hölderlins Werk und seiner psychischen Erkrankung? Ab der Mitte seines Lebens hat er nichts Bedeutendes mehr geschrieben? Und gibt es vorher Anzeichen für die psychischen Probleme in seiner Lyrik?
Karl

Bin nicht so oft hier, daher die verzögerte Antwort.

Eins vorweg: Fragen zu Hölderlins „Wahnsinn“ und seine Zeit im Turmzimmer werden ausgezeichnet in der Aufsatzsammlung „Hölderlin und die Psychiatrie“, Hrsg. Gonther / Schlimme, Bd 25 der Hölderlingesellschaft, Psychiatrieverlag 2013, beantwortet. Wenn Du bereits mit der Rezeptionsgeschichte von Hölderlins zweiter Lebenshälfte vertraut bist (Bertaux et al) und Dich vertieft mit dem Thema befassen willst, empfehle ich die Anschaffung unbedingt.

Hölderlin hat in den Jahren nach 1807 weiterhin geschrieben, sein Stil hat sich radikal verändert und es ist leider nicht alles aus diesen Jahren erhalten geblieben. Sein 'Spät’werk ab der Turmzimmerzeit ist zudem meist nur in wenigen Beispielen in den Ausgaben seines Gesamtwerks erhalten, und wurde von der Literaturwissenschaft generell als banal und irrelevant abgetan - zumindest im Vergleich zu seinen früheren Dichtungen.

Es ist im Nachhinein sehr sehr schwierig die psychische Erkrankung einer historischen Persönlichkeit zu diagnostizieren, das ist in Hölderlins Fall nicht anders. Er wurde zwar zu seiner Zeit relativ fortschrittlich untersucht und behandelt (relativ!), dennoch waren die medizinischen Erkenntnisse der Zeit und die entsprechenden Diagnosen ganz andere als heute. Der oben genannte Band beleuchtet sowohl die Rezeption Hölderlins im Lauf der Deutungsgeschichte seines „Wahnsinns“ als auch aktuelle Untersuchungen.

Insofern ist es schwer zu sagen, ob es vorher in seiner Lyrik Anzeichen gab.

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