Warum 'Inzest' in Hamlet?

Hallo!

In dem Shakespeare Stück „Hamlet“ spricht selbiger von inzestuöser Beziehung zwischen seinem Onkel Claudius (der Bruder seines ermordeten Vaters) und seiner leiblichen Mutter.
Mir ist nicht klar, weshalb. Hamlets Mutter und Claudius sind nicht blutsverwandt.
Weiß jemand etwas darüber und kann mir das erklären?

Grüße

Jenna

Moin,

der Begriff „Inzest“ wird heute noch je nach Land und Kultur unterschiedlich interpretiert, und er wurde es auch im Lauf der Jahrhunderte.
Im englischen wikipedia-Artikel über Inzest findest Du eine Tabelle aus dem Jahr 1594 über inzestuöse Beziehungen, und dort steht der Satz „A man may not merrie his brothers wife“.
Das war die Zeit Shakespeares und es dürfte keine Rolle gespielt haben, ob ein Mann die Frau seines Bruders heiraten wollte, oder ob die beiden lediglich ihrem sexuellen Vergnügen nachkamen.
http://en.wikipedia.org/wiki/File:W.Clerke_table.PNG

Grüße
Pit

Danke für deine Erklärung und den Link dazu! Werde dort gleich nachlesen!!

LG
Jenna

Hallo, Jenna
kirchenrechtlich galt nicht nur Blutsverwandtschaft, sondern auch Verschwägerung, Adoptivverwandtschaft und die Patenschaft als Ehehindernis; ein Verstoß gegen diese Bestimmungen als Inzest. Zeitweise bis zum 14. Verwandtschaftsgrad (nach der sog. ‚römischen Komputation‘), seit 1216 (Innozenz III.) bis zum 4. Grad inclusive. In der Praxis konnten diese Ehehindernisse - wenn der Verwandschafts- oder Verschwägerungsgrad nicht zu nahe war - durch kirchlichen Dispens umgangen werden.

Ein zeitnahes Beispiel: die wichtigste Strategie, die Heinrich VIII. bei seiner Ehescheidung von Katharina von Aragon verfolgte, war die Argumentation, diese Ehe (mit seiner Ex-Schwägerin) sei von Anbeginn an ungültig da rechtswidrig gewesen. Dummerweise war sie aber mit päpstlichem Dispens geschlossen worden …

Man kann in diesem Sachverhalt bei Hamlet durchaus einen Bezug auf Heinrichs erste Ehe sehen - nur deren Ungültigkeit machte ja Elisabeth II. zu einem legitimen Kind Heinrichs (aus 2. Ehe) und damit auch zur rechtmäßigen Königin.

Eine ‚Verengung‘ des Verwandschaftsbegriffes auf die Blutsverwandtschaft setzt erst um Mitte des 18. jahrhunderts ein.

Freundliche Grüße,
Ralf