Warum ist Hessen evangelisch?

Ich habe eine Freundin, die aus Wiesbaden stammt, eine echte Hessin also.
Als ich mit ihr vor kurzem mal in ihrer alten Heimat zu Besuch war, stellte ich im Stadtbild dort fest, dass es so gut keine katholischen Kirchen in Wiesbaden gibt. Auf meine Frage, warum das so ist, sagte sie:„Na, ist doch klar: Ganz Hessen ist evangelisch (sie übrigens auch)!
Es gibt bei uns auch kein Allerheiligen, in Rheinland-Pfalz schon. Deswegen kommen die Mainzer doch am 1.11. in Heerscharen nach Wiesbaden, um hier einzukaufen!“

Nun war mein religiöses Welt- und Geschichtsbild einigermaßen erschüttert, denn ich wusste:

  1. Die Reformation hat sich doch hauptsächlich in Norddeutschland abgespielt. Das heißt, die norddeutschen Bundesländer sind heute alle evangelisch.

  2. Die übrigen Länder - je südlicher und damit näher an Rom heranliegend - sind doch katholisch geblieben!

Meine Frage nun: Warum ist Hessen als einziges südliches deutsches Bundesland evangelisch geworden?

Auf Eure Antworten freut sich aus dem gallischen Dorf

Euer Asterix

P.S.: Frohe Ostern an alle Forumsteilnehmer hier!

Hallo Asterix ([Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Hallo,

Und diese Religionsgeographie ist erst durch Industrialisierung und
Vertreibung durcheinander gebracht worden.

Ja schon, aber nicht überall. In der Gegend um Cloppenburg, besonders um Vechta, ist alles in bester katholischer Ordnung: ständige Wahlsiege der CDU (im Gegensatz zum weitesten Umland), hohe Geburtenrate, und in den Vorgärten stehen Kreuze, Marienbilder etc…

Grüße vom Osterhasen
Pit

Tach Asterix,

Andreas hat das Entscheidende schon gesagt; ich will es nur noch ein wenig konkretisieren.
Auf dem Reichstag von Augsburg 1555 wurde den Lutheranern das gleiche Recht wie den Katholiken zugestanden und jeder Landesherr durfte über die Konfession seiner Untertanen bestimmen: sie hatten in den Regel die Konfession anzunehmen, die der Landesherr hatte. Das führte zu so schrecklichen Erfahrungen wie in der Obergrafschaft Lingen, die hin und her wechselte:
1541-47 lutherisch, 1548-97 katholisch, 1597-1605 reformiert, 1605-33 katholisch, 1633-72 reformiert, 1672-74 katholisch, 1674-1702 reformiert. 1702 fällt es an Preußen und damit hat das böse Spiel ein Ende.
Die preußischen Kurfürsten waren übrigens die ersten, die darauf verzichteten, ihr persönliches Bekenntnis den Landeskindern zur Pflicht zu machen: Johann Sigismund trat Weihnachten 1613 zum reformierten Bekenntnis über, verfaßte zur Begründung dieses Schritts die Confessio Sigismundi, erlaubte aber seinen Landeskindern audrücklich, beim Luthertum zu verbleiben. (Es liegt auf der Hand, daß alles andere zu unglaublichen Schwierigkeiten geführt hätte; gleichwohl ist er für alle folgenden Kurfürsten ein Beispiel an Toleranz geblieben.)

Gruß - Rolf

Hallo,

also ganz Hessin ist nicht evangelisch - im Eichsfeld und in der Rhön verharren immer noch ganze Gebiete im katholischen Glauben.
Grundsätzlich war es nach der Reformation so, daß manche Landesherren die Religion wechselten und andere nicht. Der wechsel war da durchaus auch lohnend - das Eigentum der aufgelösten Klöster fiel dabei in der Regel an den Landesherren. Zudem wurde der dadurch auch Kirchenchef - der evangelische Landesvater war oberster herr der evangelischen Landeskirche. Das ist z.B. in England ja heute noch so.
Und dabei hatten sich die Fürsten auf irgendeinem reichstag dahingehend geeinigt, daß der Fürst generell über den Glauben der Untertanen entscheiden konnte - war der Fürst katholisch, war das ganze Land katholisch und umgekehrt.
Ganz eingehalten wurde das allerdings nie - gelegendlich wurden die abweichenden Glaubensrechte von Herrscher und Volk sogar vertraglich festgeschrieben. So in Erfurt, daß trotz Zugehörigkeit zum katholischen Erzbistum Mainz mehrheitlich evangelisch blieb - da gab es Festlegungen, wie viele evangelische Kirchen der Bevölkerung zustanden.

Allerdings waren die Landesgrenzen damals nicht mit den heutigen Grenzen identisch - nach dem 30jährigen Krieg bestand Deutschland aus immerhin 300 verschiedenen eigenständigen Ländchen, so das da gelegendlich sehr verworrene Genzziehungen und Religionsgrenzen bestanden.
Im 18. Jahrhundert setzte sich dann zunehmend die Religieonsfreiheit durch, beginnend in Preußen aber auch in Sachsen (August der Starke trat zum katholischen Glauben über, ohne dies indes von seinen Bürgern zu verlangen, so daß Sachsen evangelisch blieb).
Und damit begann dann eine Zeit, in der die Ländergrenzen nicht mehr mit den religionsgrenzen überinstimmen mußten, wenn sich die Ländergrenzen aus irgendeinem Grund änderten.

Gernot Geyer

Hallo Asterix.
Vielleicht nicht ganz ernst gemeint, aber mit echtem historischen Hintergrund:
Laß dir mal von deiner Freundin die Comics von „Karl der Spätlesereiter“ besorgen. Die gibt es meines Wissens nur im Rheingau und der direkten Umgebung (also auch in Wiesbaden). Dort wird auf amüsante Weise von Apitz und Kunkel aus Walluf die Geschichte des Rheingaus beschrieben. U.a. auch, daß die Römer es auch aufgrund des sogenannten Gebücks (eine spezielle Heckenform) in Hessen nicht allzu weit über den Rhein geschafft haben. Teile dieses Gebücks findet man überall in den Höhenlagen des Rheingaus noch heute. Z.B in Ebental und Weissenturm (bei Rüdesheim) und Marienthal (bei Geisenheim). Die Bewohner des Rheingau haben sich so gegen diverse „Einwanderer“ gewehrt und das kann durchaus ein Grund dafür sein, daß der untere Teil des Rheingaus katholisch ist und die Höhenlagen erst ab der Gebückgrenze fast ausschließlich evangelisch sind.
Als ich in den Rheingau zog, kam mir das nämlich komisch vor, daß man es schafft mit einer simplen Hecke eine Armee von Römern abzuhalten. Daraufhin habe ich mich ein wenig schlau gemacht und bin dabei über den Spätlesereiter gestolpert.
Vielleicht kann dir aber jemand im Geschichte- Brett mehr über das Thema erzählen.
LG Anja