Warum lernt man Fremsprachen nicht durch zuhören?

Hallo Wissende,

kleine Kinder lernen ja jede beliebige Sprache der Welt einfach dadurch, dass sie sie immer wieder hören.

Warum funktioniert das nicht mehr, wenn man erwachsen ist? Wäre doch irgendwie cool, wenn man jeden Tag mit der Bahn fährt, und nach ein ein paar Jahren kann man dann Türkisch und Russisch und Polnisch und Chinesisch und noch ein paar andere Sprachen :wink:

Aber irgendwie klappt das nicht. Ich kann die Sprachen vielleicht erkennen, und ich bekomme die Stimmung der entsprechenden Leute mit, aber das war dann auch schon alles.

Bitte macht mich mal schlau.

Schöne Grüße

Petra

Moin auch,

das funktioniert auch bei Erwachsenen mit ein wenig Nachhilfe. Du besorgst dir einen Grundwortschatz in türkisch, so dass du sagen kannst „Ich wollen gehen nach Bahnhof“ (auf türkisch natürlich). Dann ziehst du in die Türkei, in eine Gegend, in der die Leute nur türkisch sprechen. Und nach vielleicht einem Jahr sprichst du fließend, wenn auch nicht akzentfrei.

Ralph, selbst ausprobiert.

Hallo,

kleine Kinder lernen ja jede beliebige Sprache der Welt
einfach dadurch, dass sie sie immer wieder hören.

Kinder lernen nicht NUR durch hören, sondern auch durch selbst sprechen, ein Großteil prägt sich erst durch das selbst Sprechen ein.
Wer nie selbst spricht, wird trotzdem vieles verstehen, der Wortschatz und die Fähigkeit Sätze zu bilden wird aber begrenzt bleiben. Aus den Rückmeldungen (Sprache + Gestik + Gesichtsausdruck) zum selbst Gesagten kann man erst erfassen, ob man sich richtig ausgedrückt hat. Man lernt also das habe ich richtig gesagt oder jenes nicht.

Warum funktioniert das nicht mehr, wenn man erwachsen ist?

So ähnlich kann das auch mit Erwachsenen funktionieren, wenn sie einer Sprache ständig ausgesetzt sind und sie ständig benutzen. Richtig einprägen kann man sich das jedoch erst, wenn man selbst Gehörtes auch aktiv benutzt.

Es gibt dazu noch die Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Wortschatz - das trifft auch auf die Muttersprache zu.

Passiver Wortschatz ist jener, den wir selbst nicht benutzen können, aber verstehen und der ist viel umfangreicher als der Aktive.

Der aktive Wortschatz ist der Teil, den wir selbst jederzeit benutzen können und er ist kleiner als der Passive.

Durch Hören (passiv) und Sprechen (aktiv) können wir beide erweitern, ebenso durch Lesen.

Wer anfängt eine Sprache zu lernen kann immer mehr verstehen als sprechen. Das merkt man besonders deutlich, bei einer Unterhaltung. Man versteht das Meiste, gerät dann aber ins Stottern, wenn man selbst etwas sagen möchte. Wie ein Kind, muß man also auch viel sprechen, um weiter zu kommen.

Gruß,
p+p

Hallo,

ich würde Deine Aussage noch ein wenig erweitern: Denn meiner Meinung nach braucht auch ein Kind nicht nur das Hören und Sprechen, sondern auch irgendeine Form des Unterrichts, um ein gewisses Sprachniveau zu erreichen. Natürlich formuliert man in seiner Muttersprache (bzw. einer Sprache, die man im Kindesalter gelernt hat) in der Regel nach Gefühl und nicht nach irgendwelchen Grammatikregeln. Aber ich hatte schon mehr als einmal Kommilitonen in Sprachkursen, die die jeweilige Sprache schon im Kindesalter durch Hören/Sprechen gelernt hatten. Die konnten problemlos eine Alltagsunterhaltung führen, kamen aber dann schon öfters an den Punkt, dass ihnen entweder (wenn sie die Sprache ab einem bestimmten Alter nicht mehr täglich gesprochen haben) ein gewisses Sprachregister fehlte oder sie sich damit schwer taten, ob sie nun z.B. ein Adverb oder Adjektiv benutzen sollten. (Von den Rechtschreibfehlern wollen wir mal gar nicht reden…) Ergo: Eine gewisse gezielte sprachliche Unterweisung ist wichtig.

Und um auf das Erwachsenenszenario einzugehen (auch wenn wir das ja gerade erst mit Helenas Frage hatten): Ähnlich dem fiktiven Türkeibeispiel habe ich das selbst schon mit dem Arabischen erlebt. Ich hatte zwar auch gewisse Grundkenntnisse, habe aber den größten Teil vor Ort im Gespräch mit Menschen gelernt, die schlecht bis kein Englisch konnten. Und auch da hat sich eben das gezeigt, was ich oben im Fall der Kinder umrissen habe: Bis zu einem gewissen Grad funktioniert das; um die nächsten Arbeitsschritte zu besprechen oder übers Wetter zu sinnieren reicht das Hören/Sprechen in der Regel aus. Wenn man aber tiefgründigere Gespräche führen will, braucht man meist doch eine gewisse Anleitung/gezielte Unterstützung.

Gruß,
Stefan

Hallo,

Wer anfängt eine Sprache zu lernen kann immer mehr verstehen
als sprechen. Das merkt man besonders deutlich, bei einer
Unterhaltung. Man versteht das Meiste, gerät dann aber ins
Stottern, wenn man selbst etwas sagen möchte. Wie ein Kind,
muß man also auch viel sprechen, um weiter zu kommen.

Das sollte man meinen, ja, und es scheint auch auf viele zuzutreffen. Bei mir ist das aber anders. Mein gesprochenes Chinesisch ist ganz gut, recht schnell, Grammatik ganz passabel, Wortschatz ausreichend groß um über fast alles zu reden. Wenn auch nicht ganz fließend oder perfekt… für die Magisterabschlussprüfung reicht’s noch nicht.
Aber wenn ich mit Chinesen rede oder Chinesisch im Fernsehen oder auf der Straße oder im Unterricht höre, habe ich große Probleme. Ich versteh, so hab ich das Gefühl, höchstens 25 bis 50 %. Ich weiß nicht, warum das so ist. Mein Mitbewohner (aus Sri Lanka) versteht dagegen das meiste, kann dafür dann aber nicht so gut ausdrücken, was er will. Wenn wir da irgendwo mit Leuten reden, muss ich immer fragen: „What did she say?“, weil er’s versteht und ich nicht. Dafür antworte ich dann der Person. Schlimm. :wink:

Bei Thai genauso: hab ich vor 4 Monaten angefangen zu lernen, kann die Grammatik halbwegs und 500 Wörter. Ich kann sehr viel sagen, wenn auch langsam. Aber wenn meine Freunde was auf Thai sagen, krieg ich höchstens einzelne Wörter mit. Scheint bei mir wohl allgemein so ein Problem zu sein.

Bei Englisch hab ich das Problem nicht: ich verstehe nahezu 100 % (solange der Akzent/Dialekt für mich kein Problem ist), und kann auch alles sagen, was ich will. Fließend und zumindest nahezu korrekt. Hier ist mein Hörverständnis trotzdem leicht besser.
Bei Esperanto sieht’s ungefähr genauso aus.

Bei Französisch, hatte ich mal in der Schule, versteh ich tatsächlich sehr viel mehr als ich noch sprechen kann.

Hm, also das mit dem Verstehen > Sprechen stimmt nicht in jedem Fall.

Gruß,

  • André
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Hallo Andre und st-p,

ich stimme euch beiden zu. Veranlagung und Sprachbegabung sowie die Art wie wir Sprachen lernen, ist individuell letztlich sehr unterschiedlich. So habe ich bei mir festgestellt, daß Hören/Lesen und Schreiben für mich die beste Form ist, das Sprechen kam dann fast automatisch dazu, wohingegen Grammatik lernen über das Hören oder intuitiv geschieht. Grammatik „auswendig“ lernen hat mich eher verwirrt als geholfen. Meine Mutter beherrschte die Grammatik perfekt, aber selbst nach 30 Jahren im Land sprach sie nur gebrochen, mit sehr begrenztem Vokabular und grammatisch meist falsch.

Zwei Lehrerinnen half ich mal, diese Fremdsprache zu lernen und konnte jeweils auf grammatikalische Fehler hinweisen und die richtige Form nennen, ihnen aber nicht den grammatikalischen Grund erklären und den wollten sie natürlich ergründen. Sie suchten dann so lange bis sie herausgefunden hatten, warum das falsch sein sollte, und fanden jedes Mal heraus, daß mein Hinweis stimmte. Wieso das bei mir funktioniert weiß ich nicht…

Je nach Interessengebieten erweitert sich dann auch das Vokabular in diese Richtung, was dann mit Lesen und/oder Schreiben einhergeht, sowie natürlich, besonders bei Erwachsenen, die Schulung in der Sprache.

Was mich mal richtig überrascht hat war: als ich meine zweite Muttersprache mal 5 Jahre lang überhaupt nicht benutzt hatte, konnte ich zwar noch alles verstehen, sie aber überhaupt nicht mehr sprechen. Kam mir vor, wie ein Fisch, der nach Luft schnappt… Dann traf ich Freunde im Ausland und alles ging in der Zweitsprache ab, nach 6 Wochen war das gesamte Vokabular wieder griffbereit. Es sieht also so aus, daß man die einmal beherrschte Sprache auch nicht mehr vergißt, irgendwo bleibt sie in unserem Oberstübchen gespeichert und abrufbereit.

Mal abgesehen davon, daß Fremdsprachen im Beruf förderlich sind, fand ich es immer als sehr zuträglich mich im Ausland in der Landessprache ausdrücken zu können. So bekommt man sehr schnell Kontakt mit den Einheimischen, erfährt viel über ihre Denkweise, Kultur usw., ein sehr spannendes und interessantes Unterfangen.

Gruß,
p+p

Hi

Beim Chinesischen liegt das wohl einfach an der limitierten Zahl an Silben und den Tönen… ein Chinese hat das ganze Leben lang Zeit um zu lernen wann welche Silbe an welcher Stelle was bedeuten kann - und selbst DANN verstehen viele Chinesen, die den selben Dialekt sprechen, einander nicht immer und müssen auf den Händen rumkritzeln.

Für jemanden von „draußen“ ist es daher noch viel schwerer zu verstehen, welches „zhi“ an einer Stelle grade verwendet wird, v.a. wenn es gerade mal ein obskures Wort ist, das gemeint wird.
Ob auf Sri Lanka ähnliche Verhältnisse herrschen wie in China weiß ich nicht, vom Hindi aber weiß ich, dass obwohl es dort immerhin noch drei Deklinationen gibt (die auch verwendet werden) viele Wörter gleich klingen aber unterschiedliche Bedeutungen haben, z.B. kala (beide a lang) hat zig Bedeutungen die konkret oder abstrakt sein können, das war auch schon im Sanskrit so.

Ich denke dem Zuhörer wird da viel mehr Feingefühl in der Deutung abverlangt, die wir Europäer mit unseren durchdeklinierten, konjugierten, flexierten Sprachen nicht erlernt haben - unsere Sprachen präsentieren die Bedeutung ja eher auf dem „Teller“.

Mir ging es auch so, dass ich zwar die Grammatik verstanden habe, aber von meinen Lehrern so ziemlich NULL verstand. Alle Sätze über drei Silben waren bei mir völlig verloren. Erst nach meinem Aufenthalt in Shanghai bei dem ich den Kontakt mit Chinesen auch intensiv suchte, konnte ich Chinesisch besser verstehen und als ich dann zurück an die Uni kam, war ich ganz überrascht, dass ich bestimmt so 75% der Sätze einwandfrei _hören_ konnte.
Verstehen konnte ich sie dennoch nicht immer…

das war dann auch in den Klausuren so: Ich habe ein ziemlich gutes Tonhöhen-Gehör, und bei Diktaten kaum Fehler im Pinyin gemacht. Aber die Zeichen waren halt zwischendurch falsch, weil ich mir nicht immer einen Reim darauf machen konnte, welches Wort jetzt gemeint war. So habe ich Sätze hingeschrieben, die zwar die selben PinYin hatten (mit dem ein oder anderen Tonfehler), und auch in sich Sinn ergaben, aber nicht das waren, was diktiert worden war XD

lg
Kate

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Ein freundliches hallo in die Runde,

Kinder hören die Spache und erfahren aber aus den Handlungen der Sprechenden die Bedeutung der Worte. Dadurch, dass dies sich oft genug wiederholt, verstehen sie die Bedeutung. Hinzu kommt, dass es Menschen bis zum Alter von ca. 7 Jahren besonders leicht fällt, Sprachen zu lernen.

Auf einem ähnlichen Konzept basieren die Pakete zum Sprachen lernen von Assimil. Du hörst dir die Aufnahmen an, liest im Buch den Text nach und sprichst es nach - so wie Kinder hören und nachsprechen (an die Stelle des Zusammenhangs, den du durch die dich umgebenden Personen hast als Kind tritt das Buch). Nach ca. der Hälfte des Kurses bildest du eigene Sätze. Wichtig ist, dass es ausdrücklich untersagt ist, einzelne Vokabeln zu pauken, wie das in der Schule der Fall wäre.
Weißt du was? Es funktioniert. Ich habe mir so norwegisch beigebracht und das auch vor Ort erfolgreich anwenden können.

Wenn du also in der Straßenbahn nicht nur Gesprächsfetzen hören würdest, sondern auch die Bedeutung des Gesagten mitbekommen könntest, hättest du eine echte Chance, die Sprache lernen zu können.

Viele Grüße

Heike