Warum überließ Attalos III. den Römern sein Reich

Hallo,

ich beschäftige mich gerade intensiv mit dem niedergang des pergamesischen reiches um 133-130 v.chr. und kann auf meine frage keine antwort finden, diverse aufsätze und monographien sind bearbeitet.

warum setzte der letzte könig pergamons, attalos der III., rom als seinen erben ein und nicht seinen halbbruder aristonikos?
da das testament geheim war, konnte es ihm keinen schutz bieten (diesen fall gab es bei anderen herrschern).
auch die angst, dass sein reich nach seinem tod auseinanderbrechen würde, ist bei einer vererbung an seinen bruder eher unbegründet.

warum also vererbt er es an rom?

für hilfe wäre ich äußerst dankbar.

lg,
d

Hi droogie,

da das testament geheim war, konnte es ihm keinen schutz bieten (diesen fall gab es bei anderen herrschern).

Den „Schutz“ bzw. die Duldung durch die Römer hatte er schon zu Lebzeiten. Das Sagen hatten auch da schon die Römer. Für einen Feldzug brauchte er z.B. die Genehmigung durch den Senat. (Ich schau nachher mal nach ner Quelle welcher Feldzug das war.)

auch die angst, dass sein reich nach seinem tod auseinanderbrechen würde, ist bei einer vererbung an seinen bruder eher unbegründet.

In englischsprachigen Quellen wird meist vermutet, daß er seinen Bruder als Rivalen sah und aus persönlichen Gründen nicht wollte, daß der König wird.

In den meisten deutschsprachigen Quellen wird spekuliert, daß er Vermeiden wollte, daß ein Bürgerkrieg um seine Nachfolge ausbricht wenn er seinen Bruder zum König macht, da dessen Thronanspruch nicht so gut ist wie der eines Sohnes, bzw. die Ansprüche anderer Adliger gleich viel besser „aussehen“.
Der Gedankengang dahinter dürfte dann gewesen sein, daß Rom so stark war, daß kein Thronaspirant hoffen durfte eine nennenswerte Gefolgschaft für einen Aufstand zusammen zu bekommen.
Wenn das sein Kalkül war dann hat er sich böse verrechnet, da der Aufstand gegen die Römer alles überstieg was sich Provinzadlige gegenseitig hätten antun können.

Das ist jetzt alles Spekulation aber da die Quellenlage ziemlich dürftig ist wird eine definitive Antwort wohl schwer zu kriegen sein.

Was vor 2000 Jahren im Kopf von Attalos vorging wird heute nicht mehr so leicht aufzuklären sein.

Gruß
Nick H

Ich glaube , dass die Sache hier falsch angegangen wird. Was ist denn bei einer VERERBUNG anders als bei Duldung, Schutz oder Eroberung? Besteht vielleicht die Möglichkeit, und da müsstest du dann andere Beispiele finden, dass die Bewohner bei einer Vererbung das römische Bürgerrecht bekamen oder waren sie steuerlich bevorteilt, stellten sie vielleicht Poltiker in Rom? Ich habe mich nicht sehr intensiv mit der römischen Geschichte beschäftigt… aber ich meine, dass es einen Versuch wert wäre, von dieser Seite zu forschen. Ansonsten wäre es nett, hier auch mal dein Erkenntnisse dazu zu schreiben.
TSchüss Micha

Hi, Micha!

Ich glaube , dass die Sache hier falsch angegangen wird.

Das halt ich für fraglich.

[…] da
müsstest du dann andere Beispiele finden, dass die Bewohner
bei einer Vererbung das römische Bürgerrecht bekamen oder
waren sie steuerlich bevorteilt, stellten sie vielleicht
Poltiker in Rom?

Im Gegenteil. Ein paar Jahre später waren sie die „provincia Asia“, bekamen das römische Steuersystem (mit der Privatisierung der Steuereintreibung!) übergestülpt und wurden beispiellos ausgebeutet. Mit den asiatischen Kriegen - den letzten Versuchen, die Herrschaft Roms in Kleinasien abzuwenden - hatte sich dann die römische Republik jahrzehntelang rumzuschlagen.
Wenn man den Zusammenhang zwischen der römischen Innenpolitik und diesen Kriegen näher kennenlernen will, sollte man Ciceros Rede „de imperio Cn. Pompei“ lesen. Da führt er aus, dass das ganze römische Wirtschafts- und Finanzwesen ohne die Steuereinkünfte aus „Asia“ zusammenbrechen würde.
Aber schon früher, zur Zeit der Gracchen, zeigte sich, wie das laufen würde: Tiberius (also der Ältere) Gracchus konnte sein Siedlungsprogramm („Ackergesetze“) nurfinanzieren, weil er auf die Einkünfte der Erbschaft von Attalos zugriff.
Gruß!
Hannes

Hallo,
zunächst - nach meiner Kenntnis ist die Quellenlage in diesem Fall so mangelhaft, dass eine Antwort auf die Frage nicht möglich ist. Natürlich kann man über Attalos’ Gründe und Motive spekulieren. Was das für einen Sinn haben soll und wie weit das noch etwas mit Geschichtswissenschaft zu tun hat, ist eine andere Frage. Jedenfalls sollten auch solche Spekulationen nicht im Widerspruch zu den gesicherten Fakten stehen. Die muss man dazu zunächst einmal in hinreichendem Maße kennen.

Nimm es mir nicht übel - aber bei Dir ist das ganz offensichtlich nicht der Fall, wie diese völlig abwegige Vermutung

Besteht vielleicht die Möglichkeit, und da müsstest du dann andere Beispiele finden, dass die Bewohner bei einer Vererbung das römische Bürgerrecht bekamen oder waren sie steuerlich bevorteilt, stellten sie vielleicht Poltiker in Rom?

zeigt.

ich meine, dass es einen Versuch wert wäre, von dieser Seite zu forschen.

Nein, ist es nicht. Das wäre pure Zeitverschwendung. Durch das Testament wurde der pergamenische Staat zur römischen Provinz Asia. Nun muss man einfach wissen, dass zur Zeit der Republik eine Provinz staatsrechtlich etwas ganz anderes war als im modernen Verständnis. Eine Provinz war Ausland, aber ohne eigene Staatlichkeit. Selbstverständlich hatten die Provinzialen als ‚Ausländer‘ kein Bürgerrecht (allenfalls Einzelpersonen als persönliche besondere Auszeichnung). Sie waren rechtlose Untertanen, Objekte der Ausbeutung. Sie dienten vor allem der persönlichen Bereicherung römischer Promagistrate und Publikanen (Steuerpächter). Die Provinzialen hatten lediglich eine schmale Chance, sich gegen diese Ausplünderungen zu wehren, wenn sie einen römischen Patron fanden, der sie gnädig als Klienten annahm und einen Prozess gegen die Ausbeuter anstrengte - in aller Regel nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um damit die eigene politische Kariere voranzutreiben. Cicero gegen Verres ist da der Modellfall.

In der Geschichtsschreibung ist die ‚pergamenische Erbschaft‘ zugunsten der römischen Innenpolitik äußerst stiefmütterlich behandelt worden. Aber diese innenpolitischen Vorgänge werfen auch ein deutliches Licht darauf, wie die römische politische Klasse mit der neuen Provinz Asia umsprang. So versuchte Tiberius Gracchus, den ‚ererbten‘ pergamenischen Staatsschatz zur Finazierung seiner Agrarreform zu verwenden - was selbstverständlich ausschließlich römischen Bürgern zugute gekommen wäre, nicht den Bewohnern der Provinz Asia. Das Projekt scheiterte nicht an Skrupeln gegenüber den Provinzialen, sondern am kompromisslosen Willen der Optimaten, die Agrarreform zu sabotieren. Gaius Gracchus wiederum setzte ein paar Jahre später durch, dass die Steuereinziehung der Provinz Asia durch die Zensoren vergeben wurde. Praktisch bedeutete dies, dass Provinziale als Steuerpächter (die gab es immer noch in Sizilien) ausgebootet waren und dieses lukrative Geschäft nun nur noch von römischen Finanziers aus dem Ritterstand betrieben wurde. Was auch der Sinn der Maßnahme war - Gaius Gracchus wollte sich damit (und mit der Gerichtsreform) die innenpolitische Unterstützung dieser Klasse erkaufen. Natürlich wieder auf Kosten der asiatischen Provinzialen.

Ein Grund für die spärliche Kommentierung zeitnaher Quellen des uns heute so ungewöhnlich scheinenden Vorgangs, dass ein Souverän seinen Staat einem anderen Staat vererbt, ist der, dass sich konkret an den politischen Verhältnissen eigentlich nur wenig änderte. Die Souveränität Pergamons war keinen Pfifferling mehr wert; Attalos III. war zwar dem Namen nach König, de facto aber nicht mehr als ein dem römischen Senat verantwortlicher und von ihm abhängiger Provinzstatthalter auf Lebenszeit. Diese Konstellation hatte sich seit der Zerschlagung des makedonischen Reiches nach der Schlacht von Pydna folgerichtig entwickelt. Rom war zunächst noch nicht Willens, selbst an die Stelle des vernichteten makedonischen Reiches zu treten, war jedoch gleichzeitig sorgfältig darauf bedacht, dass keine andere lokale Macht das so entstandene Machtvakuum ausnutzte und sich zu einem neuen Rivalen entwickeln konnte. Kandidaten waren da natürlich in erster Linie die traditionellen regionalen Verbündeten und bisherigen Juniorpartner - vor allem Pergamon und Rhodos (die von der Niederlage des Seleukiden Antiochos III. gegen Rom 188 noch kräftig profitiert hatten) . Gegen König Eumenes von Pergamon wurde unmittelbar nach der Schlacht von Pydna eine offenbar ungerechtfertigte Kampagne wegen Verrat gestartet. Nur um den Preis persönlicher Demütigungen und geschickter Diplomatie konnte Eumenes den Krieg mit Rom abwenden - Politiker, die in der Region gleich richtig aufräumen wollten, gab es in Rom genug. Rhodos hatte einen törichten Versuch unternommen, im Krieg zwischen Rom und Makedonien, der den eigenen Handel extrem schädigte, einen Frieden zu vermitteln was ihm ebenfalls den Verdacht des Verrtes bescherte. Auch Rhodos schrammte nur knapp und um den Preis einer Demütigung (und der Unabhängigkeit Kariens und Lykiens, seines Anteils an der ‚Beute‘ von 188) an einem Folgekrieg mit Rom vorbei - was aber nicht verhinderte, dass es in der Folge konsequent von Rom wirtschaftlich ruiniert wurde (z.B. durch die Einrichtung des Freihafens und Sklavenhandelszentrums Delos). Und das waren die ‚Freunde‘ und ‚Verbündeten‘, die da so behandelt wurden - man kann sich vorstellen, wie es den Feinden Roms erging …

Man muss sich klar machen, dass das römische Verständnis von Souveränitat sehr differenziert und abgestuft war. An friedlichen staatsrechtlichen Beziehungen gab es da zunächst die ‚amicitia‘ (‚Freundschaft‘), die die Souveränität des Partners unangetastet ließ. Bei Bündnispartnern war dies schon wieder anders - gleichberechtigte Bündnisse kannte man nicht, Verbündete (wie Pergamon einer war) waren in ihrer Souveränität schon deutlich eingeschränkt. In der Zeit nach Pydna war Pergamon von einem Bündnispartner mehr und mehr zu einem reinen Klientelstaat geworden - einem Staat von Roms Gnaden. Die Umwandlung in die Provinz Asia war kein radikaler Bruch, es war lediglich ein weiterer (verhältnismäßig kleiner) Schritt auf dem Weg, auf dem sich das Verhältnis zwischen Pergamon und Rom in den 35 Jahren seit Pydna entwickelt hatte.

Wodurch nun dieser Schritt zu diesem konkreten Zeitpunkt ausgelöst wurde, ist wie oben schon gesagt, lediglich ein Feld für Spekulationen. Ob Attalos III. nun seinen (Stief-)bruder Aristonikos nur nicht mochte oder ob er ihn für politisch unfähig hielt und ihm deswegen den eigenen Posten (der ohnehin nur von Roms Gnade abhing) nicht gönnte, ist letztlich unerheblich. Gar nicht abwegig ist die Spekulation, dass Attalos seinem Reich das Schicksal Griechenlands ersparen wollte - nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes des Andriskos hatte Rom 148 durch Einrichtung der Provinz Makedonien direkt die Herrschaft in weiten Teilen übernommen. Das letzte Aufbäumen des „verbündeten“ Achaischen Bundes hatte 146, im Jahr der endgültigen und gnadenlosen Zerstörung Karthagos und der Erichtung der Provinz Africa, auch zur Zerstörung Korinths und zur Eingliederung dieses Territoriums in die Provinz Makedonien geführt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann auch Pergamon fällig war - und ob dies mit oder ohne einen blutigen und aussichtslosen Krieg gegen Rom geschehen würde. Möglicherweise versuchte Attalos III. seinem Volk diesen Krieg zu ersparen- vergeblich.

Freundliche Grüße,
Ralf

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