Hallo,
zunächst - nach meiner Kenntnis ist die Quellenlage in diesem Fall so mangelhaft, dass eine Antwort auf die Frage nicht möglich ist. Natürlich kann man über Attalos’ Gründe und Motive spekulieren. Was das für einen Sinn haben soll und wie weit das noch etwas mit Geschichtswissenschaft zu tun hat, ist eine andere Frage. Jedenfalls sollten auch solche Spekulationen nicht im Widerspruch zu den gesicherten Fakten stehen. Die muss man dazu zunächst einmal in hinreichendem Maße kennen.
Nimm es mir nicht übel - aber bei Dir ist das ganz offensichtlich nicht der Fall, wie diese völlig abwegige Vermutung
Besteht vielleicht die Möglichkeit, und da müsstest du dann andere Beispiele finden, dass die Bewohner bei einer Vererbung das römische Bürgerrecht bekamen oder waren sie steuerlich bevorteilt, stellten sie vielleicht Poltiker in Rom?
zeigt.
ich meine, dass es einen Versuch wert wäre, von dieser Seite zu forschen.
Nein, ist es nicht. Das wäre pure Zeitverschwendung. Durch das Testament wurde der pergamenische Staat zur römischen Provinz Asia. Nun muss man einfach wissen, dass zur Zeit der Republik eine Provinz staatsrechtlich etwas ganz anderes war als im modernen Verständnis. Eine Provinz war Ausland, aber ohne eigene Staatlichkeit. Selbstverständlich hatten die Provinzialen als ‚Ausländer‘ kein Bürgerrecht (allenfalls Einzelpersonen als persönliche besondere Auszeichnung). Sie waren rechtlose Untertanen, Objekte der Ausbeutung. Sie dienten vor allem der persönlichen Bereicherung römischer Promagistrate und Publikanen (Steuerpächter). Die Provinzialen hatten lediglich eine schmale Chance, sich gegen diese Ausplünderungen zu wehren, wenn sie einen römischen Patron fanden, der sie gnädig als Klienten annahm und einen Prozess gegen die Ausbeuter anstrengte - in aller Regel nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern um damit die eigene politische Kariere voranzutreiben. Cicero gegen Verres ist da der Modellfall.
In der Geschichtsschreibung ist die ‚pergamenische Erbschaft‘ zugunsten der römischen Innenpolitik äußerst stiefmütterlich behandelt worden. Aber diese innenpolitischen Vorgänge werfen auch ein deutliches Licht darauf, wie die römische politische Klasse mit der neuen Provinz Asia umsprang. So versuchte Tiberius Gracchus, den ‚ererbten‘ pergamenischen Staatsschatz zur Finazierung seiner Agrarreform zu verwenden - was selbstverständlich ausschließlich römischen Bürgern zugute gekommen wäre, nicht den Bewohnern der Provinz Asia. Das Projekt scheiterte nicht an Skrupeln gegenüber den Provinzialen, sondern am kompromisslosen Willen der Optimaten, die Agrarreform zu sabotieren. Gaius Gracchus wiederum setzte ein paar Jahre später durch, dass die Steuereinziehung der Provinz Asia durch die Zensoren vergeben wurde. Praktisch bedeutete dies, dass Provinziale als Steuerpächter (die gab es immer noch in Sizilien) ausgebootet waren und dieses lukrative Geschäft nun nur noch von römischen Finanziers aus dem Ritterstand betrieben wurde. Was auch der Sinn der Maßnahme war - Gaius Gracchus wollte sich damit (und mit der Gerichtsreform) die innenpolitische Unterstützung dieser Klasse erkaufen. Natürlich wieder auf Kosten der asiatischen Provinzialen.
Ein Grund für die spärliche Kommentierung zeitnaher Quellen des uns heute so ungewöhnlich scheinenden Vorgangs, dass ein Souverän seinen Staat einem anderen Staat vererbt, ist der, dass sich konkret an den politischen Verhältnissen eigentlich nur wenig änderte. Die Souveränität Pergamons war keinen Pfifferling mehr wert; Attalos III. war zwar dem Namen nach König, de facto aber nicht mehr als ein dem römischen Senat verantwortlicher und von ihm abhängiger Provinzstatthalter auf Lebenszeit. Diese Konstellation hatte sich seit der Zerschlagung des makedonischen Reiches nach der Schlacht von Pydna folgerichtig entwickelt. Rom war zunächst noch nicht Willens, selbst an die Stelle des vernichteten makedonischen Reiches zu treten, war jedoch gleichzeitig sorgfältig darauf bedacht, dass keine andere lokale Macht das so entstandene Machtvakuum ausnutzte und sich zu einem neuen Rivalen entwickeln konnte. Kandidaten waren da natürlich in erster Linie die traditionellen regionalen Verbündeten und bisherigen Juniorpartner - vor allem Pergamon und Rhodos (die von der Niederlage des Seleukiden Antiochos III. gegen Rom 188 noch kräftig profitiert hatten) . Gegen König Eumenes von Pergamon wurde unmittelbar nach der Schlacht von Pydna eine offenbar ungerechtfertigte Kampagne wegen Verrat gestartet. Nur um den Preis persönlicher Demütigungen und geschickter Diplomatie konnte Eumenes den Krieg mit Rom abwenden - Politiker, die in der Region gleich richtig aufräumen wollten, gab es in Rom genug. Rhodos hatte einen törichten Versuch unternommen, im Krieg zwischen Rom und Makedonien, der den eigenen Handel extrem schädigte, einen Frieden zu vermitteln was ihm ebenfalls den Verdacht des Verrtes bescherte. Auch Rhodos schrammte nur knapp und um den Preis einer Demütigung (und der Unabhängigkeit Kariens und Lykiens, seines Anteils an der ‚Beute‘ von 188) an einem Folgekrieg mit Rom vorbei - was aber nicht verhinderte, dass es in der Folge konsequent von Rom wirtschaftlich ruiniert wurde (z.B. durch die Einrichtung des Freihafens und Sklavenhandelszentrums Delos). Und das waren die ‚Freunde‘ und ‚Verbündeten‘, die da so behandelt wurden - man kann sich vorstellen, wie es den Feinden Roms erging …
Man muss sich klar machen, dass das römische Verständnis von Souveränitat sehr differenziert und abgestuft war. An friedlichen staatsrechtlichen Beziehungen gab es da zunächst die ‚amicitia‘ (‚Freundschaft‘), die die Souveränität des Partners unangetastet ließ. Bei Bündnispartnern war dies schon wieder anders - gleichberechtigte Bündnisse kannte man nicht, Verbündete (wie Pergamon einer war) waren in ihrer Souveränität schon deutlich eingeschränkt. In der Zeit nach Pydna war Pergamon von einem Bündnispartner mehr und mehr zu einem reinen Klientelstaat geworden - einem Staat von Roms Gnaden. Die Umwandlung in die Provinz Asia war kein radikaler Bruch, es war lediglich ein weiterer (verhältnismäßig kleiner) Schritt auf dem Weg, auf dem sich das Verhältnis zwischen Pergamon und Rom in den 35 Jahren seit Pydna entwickelt hatte.
Wodurch nun dieser Schritt zu diesem konkreten Zeitpunkt ausgelöst wurde, ist wie oben schon gesagt, lediglich ein Feld für Spekulationen. Ob Attalos III. nun seinen (Stief-)bruder Aristonikos nur nicht mochte oder ob er ihn für politisch unfähig hielt und ihm deswegen den eigenen Posten (der ohnehin nur von Roms Gnade abhing) nicht gönnte, ist letztlich unerheblich. Gar nicht abwegig ist die Spekulation, dass Attalos seinem Reich das Schicksal Griechenlands ersparen wollte - nach der blutigen Niederschlagung des Aufstandes des Andriskos hatte Rom 148 durch Einrichtung der Provinz Makedonien direkt die Herrschaft in weiten Teilen übernommen. Das letzte Aufbäumen des „verbündeten“ Achaischen Bundes hatte 146, im Jahr der endgültigen und gnadenlosen Zerstörung Karthagos und der Erichtung der Provinz Africa, auch zur Zerstörung Korinths und zur Eingliederung dieses Territoriums in die Provinz Makedonien geführt. Es war nur eine Frage der Zeit, wann auch Pergamon fällig war - und ob dies mit oder ohne einen blutigen und aussichtslosen Krieg gegen Rom geschehen würde. Möglicherweise versuchte Attalos III. seinem Volk diesen Krieg zu ersparen- vergeblich.
Freundliche Grüße,
Ralf