Warum verkürzen sich Sehnen und Muskeln?

Hallo,

Meine Frage ist: Warum verkürzen sich Sehnen und Bänder und auch Muskulatur, wenn sie nicht immer wieder gedehnt wird?

Wenn ich zB Spagat machen möchte, dann muss ich lange tainieren um dahin zu kommen und dann - um den Effekt zu erhalten- immerzu weiter üben.
Warum??
Was ist der Sinn dahinter?

Bezug nehmen möchte ich auch auf diesen Spitzfuss, der ensteht, wenn lange liegende Menschen nicht das Abknicken des Fußes ausführen und der Fuss immer spitzer weggestreckt wird.
Da liegt keine Belastung vor und doch…verkürzen die Sehnen.

Wieso muss man also immerzu in Bewegung bleiben weil man sonst iimmer steifer wird`??
lg kitty

Hallo,

unser Körper wird wie du sicher weißt ständig erneuert und dabei auch, innerhalb bestimmter Grenzen, belastungsabhängig repariert und dabei auch umgebaut.
Gleichzeitig hat er das Bestreben unnötiges Material einzusparen.

Daraus folgt sehr vereinfacht ausgedrückt:

Wenn ein Band immer wieder bis an die Grenze belastet wird, dann verlängert der Körper es, da ja anscheinend in dieser Richtung mehr Beweglichkeit erforderlich ist.
Das geht aber nur langsam, da die Bänder ja primär den Bewegungsumfang stabilisieren d. h. oft auch einschränken sollen.

Wird ein Band aber nie gedehnt, dann ist hier für den Körper entsprechend auch keine Beweglichkeit (mehr) erforderlich und darum wird Material eingespart. Darum schrumpfen auch nicht benutzte Muskeln nicht nur in der länge sondern viel mehr in ihrem Umfang und der Leistungsfähigkeit.

Das geschieht natürlich nicht aufgrund einer irgendwie rationalen Analyse, sondern dadurch, dass entsprechend belastetes Gewebe Wachstumsfaktoren freisetzt, die die (Reparatur)Zellen des Körpers anregen - oder eben nicht.

Bei Bewegungseinschränkungen der Gelenke ist aber tatsächlich ein anderer Effekt viel schneller wirksam (siehe Spitzfuß).
Die Gelenkkapseln, die den Gelenkspalt und die darin befindliche Schmierflüssigkeit abdichten, bilden in der Beugestellung kleine Fältchen, ähnlich der Falten in einem Vorhang, wenn man diesen zusammenschiebt.
Die Innenseite der Gelenkkapseln ist aber mit einer Schleimhaut überzogen, die sich sehr schnell regeneriert und dabei, wenn sie aufeinander liegt, verwachsen kann. Die neu gebildeten Zellen der einen Falte verbinden sich mit denen der darauf liegenden anderen Falte.

Diese Verklebungen entstehen innerhalb weniger Stunden . Sie können zwar zunächst noch leicht wieder gelöst werden, schränken die Beweglichkeit aber doch leicht ein. Wird das nicht in kurzen Abständen wieder gelöst, dann verschindet nach und nach auch die Falte des darunter liegenden straffen Bindegewebes, da dort ja keine Dehnungsreize mehr gesetzt werden und das Material daraufhin eingespart wird.
Der zuvor gefaltete „Vorhang“ ist dann auf die Länge der Nische gekürzt auf die er zusammengeschoben wurde und lässt sich nicht mehr ausziehen. Auch die umliegenden Bänder und Sehnen verkürzen sich da sie nicht mehr gedehnt werden (können), voilá eine Kontraktur!

Im Extremfall kommt es sogar bis zu einer „Verschweißung“ des Knochens - aber das geht über deine Fragestellung hinaus.

Gruß
Werner

Moin Werner,

verblüffend wie du in klar verständliche Worte solch komplexe Abläufe erklären kannst. Kompliment und natürlich ein (verdientes) Sternchen!

Gruss: Gerrit

Hallo,

und ein herzliches Dankeschön für diese verständliche und ausführliche Erklärung-- wirklich super! :wink:

Die Erklärung zu dem Spitzfuß- gilt doch dann für alle Gelenke-- aber es wird doch vor allem der Fuß dann in Bewegung gehalten und nicht auch das Kniegelenk oder die Hüfte.
Was unterscheidet dann das Fußgelenk von den anderen?

lieben Gruß
kitty

Hallo kitty,

Wieso muss man also immerzu in Bewegung bleiben weil man sonst
iimmer steifer wird`??

Rein mechanisch betrachtet, muss ein Gelenk immer etwas unter Spannung stehen, also z.B. die Kugel des Hüftgelenks in die Pfanne gedrückt werden, damit es nicht lottert und ausgeschlagen wird.

Da sind dann selbstspannende Bänder ideal!

MfG Peter(TOO)

Spitzfuß
Hallo

Obwohl das Fußgelenk durch die vielen beteiligten Knochen und Bänder komplex ist, stellt das allein kein hohes Kontrakturenrisiko dar. Problematisch ist allerdings die sehr starke Wadenmuskulatur, die ja im Normalfall enorme Kräfte auf den Fuß überträgt. Die Wadenmuskeln sind besonders ungleichmäßig ausgeprägt, da die Fußheber (Beuger) im Vergleich zu den Streckern schwach sind. Sie heben ja nur den Fuß und nicht den ganzen Körper, wie die Stecker.
Die massiven Strukturen der Streckmuskulatur und -sehnen erzeugen natürlich bei einsetzenden Schrumpfungen auch einen relativ hohen Zug.

Das Problem wird aber in Gang gesetzt durch die langandauernde Fehlstellung in extremer Streckung.
Das beginnt damir dass Muskeln auch in Ruche eine gewisse Spannung haben. Dabei haben stärkere Muskeln dann auch mehr sogenannten Ruhetonus als schwächere. Den Effekt sieht man z.B. wenn man die Hand scheinbar völlig entspannt auf den Handrücken legt.
Die Finger bleiben trotzdem leicht gebeugt, sogar gegen die Schwerkraft.
Ähnliches passiert beim Bettlägerigen, bei dem die Wadenmuskeln den Fuß in eine leichte Streckung bringen. Das wird dann noch verstärkt, dadurch dass im Bett tagelang 24 Stunden Bettdecke und Schwerkraft den Fuß runterdrücken. Dadurch ist die Gelenkkapsel sehr stark gefaltet mit im Vorposting genannten Folgen.
Dazu sind die Strecksehnen und -muskeln völlig entspannt, was die Abbauprozesse dort beschleunigt.

Andere Gelenke werden kaum in so extremer „Endstellung“ ruhiggestellt. Auch werden bei vielen pflegerischen Tätigkeiten nebenbei auch die Gelenke bewegt, etwa beim Umlagern, Waschen, Anziehen. Und da kommt anscheinend das Fußgelenk oft zu kurz.

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