Liebe Leser,
ich bin Jahrgang 1965 und kann mit den heutigen Verhaltensweisen vieler Leute nicht konform gehen. Der Umgang untereinander wird immer unschöner. Gerade erlebt, als mir als gut beleuchtete Radfahrerin im Dunkeln eines unbeleuteten Weges ein Radfahrer mit defektem Vorderlicht entgegenkam. Ich:„Guten Morgen. Ihr Vorderlicht geht nicht.“ Antwort:„Du Fotze.“
Oder gerade vorhin: Befestigter Weg für Radfahrer und Fußgänder in einem Gartengelände. Ich fahre per Rad am rechten Rand und überhole eine junge Dame, die am linken Rand joggt. Auf gleicher Höher wechselt diese ohne erkennbaren Grund nach rechts und rennt mir fast ins Rad. Ich:„Beim nächsten Spurwechsel bitte erstmal umschauen.“ Antwort:„Gehts noch?“
Weiterhin im Verkehr: Nicht blinken, rasen, Abstand ignorieren, rüchsichtslos einfädeln usw.
In öffenlichen Verkehrsmitteln: Kopfhörer so laut, dass alle mithören müssen, Füße auf dem Sitz gegenüber, Sitzplätze trotz voller Busse/Bahnen mit Taschen und Rucksäcken blockieren, Türen blockieren, Plätze im Fahrradabteil belegen usw.
In unmittelbarer Nachbarschaft: Laute Musik aus geöffneten Fenstern, laute Handytelefonate auf Balkonen, vorzugsweise zu den täglichen Ruhezeiten oder während der Sonn- und Feiertagsruhe. Stundenlanges Hundegebell in Gärten, Motor laufenlassen beim Sprung zum Bäcker oder Bank. Ich finde keine Erklärung für dieses rüchsichtslose Verhalten. Meine Eltern, speziell meine uns zu Hause erziehende stets anwesende Mutter hatte uns persönlich u.a. beigebracht, andere nicht zu stören, zu behelligen oder mit irgendwas zu nerven. Liegt das an der Erziehung (Stichwort Fremderziehung von der Krippe bis zum Schulabschluss)? Vielleicht hat ja einer eine Idee, warum das heute so ist. Danke.
Hallo
In welcher Gegend ist das?
(Damit ich bescheid weiß, dass ich da auf keinen Fall hinziehe; bei uns in der Gegend ist das nicht so schlimm, nicht blinken tun allerdings hier auch ziemlich viele).
Blinken ist ja auch eher etwas für Weicheier…
Hallo Simsy,
Raum Baden, Heidelberg, Mannheim
Schade, ist eigentlich sehr schön hier.
Und Du, wo ist Deine Gegend?
Danke und alles Gute.
Ziegen1
Hallo,
nein, daran liegt das nicht.
Was Du beschreibst ist auch nicht neu, sondern schon lange so, ich kenne das noch aus dem Leben in der Stadt und das schon lang.
Auf dem Land hat man dann eher bellende Hunde, die anscheinend auch nur zu diesem Zweck gehalten werden - nicht ohne Grund habe ich mir ein Häuschen mit einigermaßen Abstand zum nächsten Nachbarn gesucht.
Lärm wird in unserer Gesellschaft nicht als das gesehen, was es ist: phonetische Umweltverschmutzung.
Aber: nicht jeder ist da so empfindlich wie Du und ich. Muss man auch berücksichtigen.
Gruß,
Paran
Ja, die Schule hat aus meiner Sicht auch einen Einfluss. Aber weniger die Tatsache, dass die Schüler da hin gehen, sondern viel mehr die ständige Auslese. Ziel unseres Bildungssystems ist es anscheinend nicht mehr, möglichst vielen jungen Menschen ein möglichst breites Fundament an Grundbildung beizubringen, sondern die Selektion in klar abgegrenzte Gruppen. Bereits ab dem Kindergarten stehen die Kinder in einem Wettbewerb. Es setzt sich über die verschiedenen Schulsysteme fort und geht in Studium / Berufsausbildung weiter.
Wir machen heute fast alles zu einem Wettbewerb. Selbst innerhalb der Eu sollen die Länder so umgebaut werden, dass sie „wettbewerbsfähig“ sind.
Als zweiten Faktor sehe ich die Zentrierung auf das Individuum. Seit Jahrzehnten wird uns gepredigt, dass der gemeinschaftliche Ausgleich zu teuer ist und jeder für sich selbst sorgen muss: z.B. bei Pflege und Rente.
Und als dritten Punkt sehe ich die Spaltung der Gesellschaft. Ich sehe eine Gesellschaft in Angst - Angst vor dem Abstieg.
Was macht es mit einem, wenn man immer nur an sich selbst und nicht an andere denken soll? Was macht es mit einem, wenn man dauernd im Wettbewerb stehen soll? Was macht es mit einem, wenn man dauerhaft Angst vor Verlust hat?
Ich glaube, das Produkt sind lauter Egoisten. Wir bekommen Menschen, die sich nicht mehr für das Gemeinwohl interessieren. Wir bekommen Menschen, denen die Empathie für ihre Mitmenschen abgeht. Wir bekommen Menschen, die nur nach ihrem eigenen Vorteil suchen. Wir bekommen Menschen, die sich permanent angegriffen fühlen. Wir bekommen Menschen, die sich andere Egoisten als Vorbild nehmen und bestätigt fühlen.
Ich erlebe jetzt in der Krise die Eskalation dieser Entwicklung. Zum einen gibt es Menschen, die sich in die Anordnungen fügen, weil sie ihren Sinn verstehen und es folglich hinnehmen, eine Zeit ihre Freiheit einschränken zu lassen. Alle für einen - einer für alle. Und dann gibt es die anderen, auch hier im Forum sind ein paar davon unterwegs, die nicht ein Jota nachgeben wollen. Sie geben sich alle Mühe, im Laden und bei Arzt am „Spuckschutz“ vorbei zu reden. Sie machen einen riesigen Krawall, weil sie nur ein Paket Toilettenpapier und eine Flasche Intensivreiniger mitnehmen dürfen.
Grüße
Pierre
Großraum Köln
Hi,
Hier, ländliche Gegend, ist das üblich bis in die fast-rentner-generation. Die abstandsregelung ist für mich sehr angenehm. Nicht alle halten die 2m ein, aber 20-50cm schafft jeder. Nur die Radfahrer bremsen weiterhin nicht.
Die Franzi
Sehr schön, Pierre. Das wäre ein toller Artikel in einer großem Zeitung. Ich stimme Dir vollinhaltlich zu. Schade, dass das weder die Gesellschaft noch die Politik interressiert. Alles Gute für Dich.
Seit Sokrates hat sich nichts geändert. Lies mal Seneca oder Tacitus.
Hallo,
zusaetzlich leben die meisten nicht mehr in Grossfamilien. Es bleibt weit weg, was die anderen Generationen brauchen. Man sieht keine Kinder, bestenfalls als Fahr-Hindernis am Tempo-30-Schild. Man kuemmert sich nicht um die Kranken, das machen die Krankenhaeuser, aber bitte mit wenig von meinen Abgaben. Man sieht den Lebensablauf der Alten nicht, nur dauernd stehen sie im Weg, vor der Kasse, auf der Landstrasse mit 90 ( km/h ). Noch vor wenigen Jahren waren die Generationen enger verbunden. Wer seinen Enkel oder Kind mit zur Schule nimmt, wird dort nicht vorbeirasen, sondern angepasste Geschwindigkeit waehlen, auch morgen ohne Kind in einer anderen Stadt.
.
Eine ganz andere Ursache fuer Hektik und Stress sehe ich im allgemeinen Ausbluten der Mittelschicht. Allein als Angestellter eine Familie zu ernaehren, wurde mittlerweile fast unmoeglich gemacht. Tendenz schlimmer.
Hallo,
na, da hast du ja wirklich Glück gehabt - ich habe nur beruflich mal 3 Tage die Woche in Hamburg gewohnt, über drei Jahre lang, ansonsten wohne ich mein ganzes Leben im selben Ort, also eher ländliches Gebiet - wir hatten auch schon öfters Städter, die aus der Stadt aufs Land gezogen sind und da festgestellt haben, dass sie doch lärmempfindlicher sind als sie dachten. Da waren die Kirchenglocken, das Hundegebell, die krähenden Hähne, der Sportplatz in unmittelbarer Nachbarschaft und die Winzer, die mit ihren Maschinen die Wege zwischen den Weinbergen lautstark befuhren.
So hatte man sich das Landkleben nun auch wieder nicht vorgestellt.
Aber das hat offenbar mit der Thread-Überschrift weniger zu tun.
Gruss
Czauderna
Ich hätte dich keine Fotze genannt, aber so ein bisschen ähnlich hätte ich da wohl auch reagiert (wobei es natürlich auch von deinem Tonfall abhängig gewesen wäre).
Ich hab im Leben einfach zu viel dumme Gängelei, Wichtigtuerei und schwachsinnige Strafanzeigen erlebt als dass ich einen Hinweis auf das defekte Vorderlicht am Fahrrad (am Auto ist es ja noch als Hilfsbereitschaft zu interpretieren, da kann man das als Fahrer vielleicht nicht sicher wissen; aber als Radfahrer „im Dunkeln eines unbeleuchteten Weges“ hat das mit hilfreicher Information ja normalerweise eher wenig zu tun), um das irgendwie „wohlwollend“ verstehen zu können. Wobei, wie gesagt, das natürlich eine Frage des Tonfalls und des allgemeinen Auftretens des Gegenübers ist.
Ansonsten:
Ja, mei, man lebt halt aus meiner Sicht.
Wenn wir tot sind, können wir alle noch lang genug Ruhe geben.
Ich will damit sagen: Ich denke nicht, dass es (nur) eine Erziehungssache ist. Es gibt schlichtweg unterschiedliche Vorstellungen des Umgangs miteinander. Auch wohl einen gewissen Kulturwandel in Deutschland hin zum Lauteren.
Da bin ich auch den zugezogenen Südeuropäern dankbar, denn mir persönlich taugt das gut.
Es ist gar nicht persönlich gemeint, aber da andere schreiben, sie würden ungern in der Gegend leben, über deren Zustände du berichtest, darf ich vielleicht auch schreiben, wie gesagt, ohne damit dich als Person zu meinen, dass ich ungern Nachbarn wie dich hätte.
Hier in meiner Gegend halten wir uns alle nicht an die Ruhezeiten, und das passt super, auch wenn wir uns sonst nicht alle gut miteinander verstehen. Wenn jetzt jemand wie du zuziehen würdest, wäre das funktionierende Gleichgewicht kaputt.
Das erklärt auch gleich die antipreißische Fremdenfeindlichkeit in kleinen oberbayerischen Dörfern
Stichwort: Kuhglocken, Kirchturmglocken, Traktoren, Federvieh usw.
Gruß
F.
Hallo,
da hast Du Glück gehabt, je nach Nachbarn.
Ich komme vom Land und Stadt war nie richtig meins, aber mit dem Alter immer stressiger und totz bellender Hunde und arbeitender Landwirte ist das Land weit ruhiger als Stadt, vor allem Nachts, was sehr wichtig ist.
Schöner sowieso, von eigenem Garten und Waldspaziergang ohne lange Anfahrt mal ganz abgesehen.
Ich zieh für Geld, Ärzte und gute Worte nicht wieder in die Stadt.
Gruß,
Paran
Hallo,
sagen wir mal so, die Nachbarn haben eher Glück mit mir gehabt, denn wir wohnen schon seit mehr als 40 Jahren in unserem Haus.
Gruss
Czauderna
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