Warum wurden Stadtansichten früher oft mit falscher topographischer Darstellung gemalt?

Ich habe mir mal gemalte Stadtansichten von Potsdam angesehen, sogenannte Veduten. Dabei fiel mir auf, dass die paar wenigen und auch eher von geringer Höhe vorhanden Hügel, welche die Stadt umgeben, viel zu hoch dargestellt wurden. Man glaubt auf dem ersten Blick, man sähe eine Stadtansicht von Heidelberg. Warum wurden damals viele Hügelchen stark überhöht dargestellt? Dasselbe ist mir mal bei einer Ansicht von Schloss Versailles aufgefallen. Auch hier wurde die eigentlich relativ ebene Topographie gegen eine stark überhöhte ausgetauscht, wo man denken würde, Versailles läge mitten in einem Mittelgebirge. Fanden die Maler oder Auftraggeber der Gemälde die real existierende Umgebung zu langweilig?

Weil man damals noch nicht anhand von Satellitenfotos überprüfen konnte, ob die Darstellungen mit der Realität übereinstimmen.

Und Hügel kommen einem einfach größer vor, wenn man davor steht, als wenn man aus dem All darauf herabschaut!

;D

Von wann sind denn diese Darstellungen? Die (Wieder-)Beherrschung der Perspektive gelang erst wieder im 13. Jh. nachdem diese Technik aus der Antike zwischenzeitlich verloren gegangen war. Und sie war dann auch nicht plötzlich perfekt da, sondern es gibt aus der Zeit viele Werke mit einer nicht ansatzweise korrekten Perspektive, weil die Maler sich an das Thema erst wieder heranarbeiten mussten.

Die Darstellungen sind aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert. Aber besonders die aus dem 18. Jahrhundert entsprechen nicht der geografischen Wirklichkeit.

Servus,

die Sache mit dem „Finden“ wurde erst im Lauf des 19. Jahrhunderts ein wichtiger Aspekt der Malerei; es ist nicht angebracht, mit der Brille von heute Darstellungen aus dem 18. Jahrhundert zu betrachten.

Die Überhöhung markanter Züge der Landschaft dient deren Beschreibung. So, wie heute auf Straßenkarten Straßen zehn- bis fünfzig Mal so breit dargestellt werden, als ihrer maßstabsgetreuen Abbildung entspräche. Für jemanden, der wissen möchte, wo Straßen welcher Klasse verlaufen, ist das nicht viel zu breit, sondern genau richtig.

Geländeformationen, Wälder und Gewässer sind die Elemente, mit denen sich eine Landschaft beschreiben lässt. Das taten die Topographen seit Altmeister Matthäus Merian. Schau Dir mal seinen Stich von Heilbronn an: So breit war der Neckar auch vor jeder Regulierung sicher nicht, und der Gaffenberg und Nachbarn sind sicher mindestens 70 Meter weniger hoch, als sie da ausschauen. Aber die Umgebung der Stadt ist durch die Hervorhebung ihrer markanten Züge viel besser charakterisiert, als man das mit fotografischer Genauigkeit könnte.

Schöne Grüße

MM

  • Matthäus Merian, Heilbronn:

Und… Die Kupferstecher waren im allgemeinen ja nicht selbst vor Ort und haben ihre Arbeiten entweder auf der Basis früherer Stiche angefertigt oder von einer mündlichen Beschreibung. Das sieht man gut an der „Weltchronik“ von Schedel 1493. Während er die Stadt Nürnberg recht wahrheitsgetreu darstellt (vielleicht war er dort), ist Jerusalem eine Phantasiedarstellung und Damaskus sieht wie eine mittelalterliche deutsche Stadt aus mit christlichen Kirchtürmen und Fachwerkhäusern. Bei Münstes „Cosmographia“ 1588 sind die Darstellungen der Städte schon sehr authentisch und der damaligen Realität nahe. Da erkennt man schon den aufkommenden Wunsch nach Wissenschaft.
Udo Becker

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Ein Aspekt der nicht zu vernachlässigen ist: Krieg

Nichts war und ist begehrter bei Ares &Co. als detaillierte Karten.
Daher wurde schon immer bei der Darstellung getrickst.

Servus,

auch hier nimmst Du die Brille des 20. Jahrhunderts, um Dinge aus dem 17. - 19. zu betrachten.

Zeige bitte anhand eines Stiches aus dem Verlag Matthäus Merian konkret, wo dort mit Bezug auf die Waffentechnik des 17. Jahrhunderts „getrickst“ wurde.

Berücksichtige auch, dass es vor 1877/78 (in Deutschland; im übrigen Europa so ähnlich) keine topografischen Kartenwerke (um die es nur in Deiner Antwort geht, nicht in der vorgelegten Frage) gab, die staatlich (d.h. von potenziell kriegführenden Parteien) herausgegeben wurden. Noch 1870/71 waren die Preußen in Frankreich mit den Karten 1:200.000 von Reymann unterwegs, die für die Verhältnisse der Zeit vorbildlich genau und keineswegs „getrickst“ waren.

Schöne Grüße

MM

Beweise bitte DU mir, dass nie im Sinne des Auftraggebers getrickst wurde.

Achja…ich vergaß:
DEINE Interpretation ist die einzig wahre!

auch schöne Grüße

Servus,

„beweisen, dass etwas nicht ist“ ist methodisch grundsätzlich ein bissele schwierig, wie Du weißt.

Auch deswegen gilt bei der Diskussion von Sachverhalten die Grundregel, dass derjenige, der eine Hypothese aufstellt, diese belegen muss.

Den Verlag, der im 17. Jahrhundert mit detaillierten, realistischen Darstellungen von Städten am Anfang der modernen Topografie stand und den, der im 19. Jahrhundert das erste keineswegs „getrickste“, sondern detaillierte und verlässliche topografische Kartenwerk 1:200.000 für „Central Europa“ herausgab, habe ich Dir genannt. Beide hatten keine „Auftraggeber“: Sie erzeugten ihre Produkte als Verlage in eigener Verantwortung und boten sie zum Kauf an. Wie bereits beschrieben, waren 1870/71 die preußischen Offiziere in Frankreich mit frei verkäuflichem Kartenmaterial unterwegs, dessen Genauigkeit bei dieser Gelegenheit gelobt wurde.

Ich weiß schon, was Du meinst: Ich habe ein paar Beispiele für gefälschte topografische Karten im Schrank liegen - als ich 1992 einen Ferienaufenthalt in Malchin und Güstrow vorbereitete, waren die beim Landesvermessungsamt erhältlichen topografischen Karten 1:25.000 Restbestände, je nach Verfügbarkeit teils der Ausgabe für die Volkswirtschaft (vertrauliche Dienstsache) und teils der Ausgabe für die NVA (geheime Verschlusssache). Es ist interessant, die Blätter der verschiedenen Ausgaben nebeneinanderzulegen: Da gehen Strukturen, die von oben ähnlich aussehen - Fahrwege, Wasserläufe, Hecken - am Rand der Blätter unmittelbar ineinander über.

Wir reden hier aber nicht von der Kartografie des 20. Jahrhunderts, sondern von Städtedarstellungen des 18. - 19. Jahrhunderts. Und bei diesen sind die Strukturen, die militärisch von Bedeutung waren (die Hügel in der Umgebung waren es zwar, aber die wurden nicht anhand von irgendwelchen Darstellungen aufgeklärt, sondern vor Ort), nämlich Befestigungsanlagen und Bollwerke, Brückenbauwerke und Brückenköpfe, höchst detailliert und realistisch dargestellt.

Ich kann natürlich nicht ausschließen, dass es im 18. und 19. Jahrhundert irgendwelche Darstellungen von Städten gab, deren Herausgeber durch den jeweiligen Landesherrn oder durch die Bürgerschaft der Stadt gezwungen worden sind, Befestigungen, Bollwerke oder Straßen und Brücken abweichend von der Wirklichkeit darzustellen. Aber wenigstens einen einzigen Beleg dafür hätte ich schon gerne gesehen. Die Bedeutung der überzeichneten Darstellung von Flüssen und Hügeln (und auch, dass man die Überzeichnung keineswegs „falsch“ nennen kann) habe ich auch an repräsentativen Beispielen gezeigt.

Und ja, meine Erklärung für die Überzeichnung von Elementen der Landschaft in Veduten des 18. und 19. Jahrhunderts ist die einzige plausible, sonst hätte ich sie ja nicht gegeben - es geht hier nicht um romantisierende Überhöhung, weil Veduten eben realistisch sind. So realistisch, dass die Darstellungen von Warschau von Bernardo Bellotto aka Canaletto beim Wiederaufbau Warschaus als Vorlagen dienten, da Pläne kaum mehr verfügbar waren. Und die geometrische Technik, um eine „Vogelschau“-Perspektive zu konstruieren, waren in der genannten Zeit nicht nur vollständig entwickelt, sondern auch bei Zeichnern, Kupferstechern und Malern sehr viel weiter verbreitet als heute. Um „Fehler“ geht es also ganz bestimmt nicht.

Wenn ein anderes Motiv für diese Überzeichnung plausibel begründet und / oder belegt wird, steht es natürlich gleichwertig neben meiner Erklärung. Und wenn diese plausibel entkräftet oder widerlegt wird, steht sie nicht mehr, sondern sie fällt. So geht es halt, wenn man über etwas diskutiert.

Schöne Grüße

MM

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Erratum

1:25.000 1:50.000