Was bedeutet der Familien Name Toll

Mein Freund heist […] TOLL er betreibt Ahnenforschung seiner Familie.Er hat keine Anung was sein Familienname bedeutet.Die Familie stammt von der Kurischen Närung.Ich glaube es ist das Samland?

Mod Hardey: Editiert wegen Brettrichtlinien und Datenschutz: Vorname gelöscht.

Hallo Montigny,

es dürfte sich um eine alte Herkunftsbezeichnung nach der Wohnstätte eines Einheimischen handeln. Neuerdings ist das Wort sogar wieder im Standard-Deutschen bekannt, die letzten zweihundert, dreihundert Jahre war es ein ausschließlich niederdeutsches Wort (zzgl. englisch/angelsächsisches Wort). Das heutige Standard-Wort ist bekannt durch die LKW-Maut auf den deutschen Autobahnen (Firma, die das System betreibt heißt „Toll-Collect“), toll ist das niederdeutsche Dialektwort (und englische Standardwort) für „Zoll“. Entsprechend ist höchstwahrscheinlich gemeint, dass der erste Namensträger am Zoll (im sinne von „Grenze“) gelebt hat. Denkbar wäre auch noch die Deutung als Berufsbezeichnung „Zöllner“, die ich jedoch nicht favorisiere, da nur in sehr wenigen Fällen Berufe KEINE berufstypische Endung haben. Heute enden die meisten Berufe auf „-er“ (Müller, Maier, Huber, Schneider und tausende mehr), die ältere Variante ist „-ner“ (Wagner, Hafner, Tischner, Schreiner etc.), die noch ältere ist „-ler“ (z.B. Drechsler, Tischler) und die älteste Variante ist „-el“ (hat sich ergeben aus lateinisch „agIL“ => der Handelnde (Fischl, Drexl etc.). Und nur ganz wenige haben keine Endung (z. B. Schmied). Daher bevorzuge ich die Deutung als Wohnstättenname. In nördlichen Bereichen des deutschen Sprachgebietes ist die typisch süddeutsche Herkunftsendung „-er“ (UlmER, StuttgartER, NürnbergER etc.) unbekannt.

Wenn man sich über „verwandt.de“ die Namensverteilung von „Toll“ ansieht, http://www.verwandt.de/karten/absolut/toll.html
so fällt auf, dass die dunkelroten Gebiete (= häufige Namensvorkommen) fast ausschließlich im nördlicheren Teil Deutschlands liegen, also nördlich der Linie, in der „-er“ als Suffix für Herkunftsbezeichnungen üblich ist.

Bei Familiennamendeutungen ist immer auch damit zu rechnen, dass ein und der selbe Familienname aus unterschiedlichen Ursachen entstanden sein kann. So könnten beispielsweise die Toll aus der Oberpfalz (Neumarkt) einen anderen Ursprung haben, als die mittel- und norddeutschen Namensträger.

Formal hat die Sprache eine Entwicklung vollzogen, die einen sogenannten „Lautwandel“ bewirkt hat. Das sind Buchstabenverschiebungen, die es heute u.U. recht schwer machen, die ursprünglich Form des namensgebenden Wortes zu erkennen. Einer dieser Lautwandel ist der Wechsel der Buchstaben „T“ und „S“ bzw. „Z“ : In Norddeutschland (und im Englischen) ist das standarddeutsche Wort „WaSSer“ (alte Form: „Wazzer“) „WaTer“ -> „Waterkant“ = Wasserkante = Küste. Damit siehst Du, dass es einen Wechsel zwischen „Z“ und „T“ gegeben hat. Ferner ist noch zu erwähnen, dass der Name eingliedrig ist.

Familiennamen, welche aus Herkunftsbezeichnungen nach der Wohnstätte für einen Einheimischen entstanden sind, sind in aller Regel auf dem Land entstanden.

Die Herkunftsregion nennst Du selbst: der nordöstlichste deutsche Sprachraum (zumindest vor dem Zweiten Weltkrieg). Nun gibt es zwei Möglichkeiten, die denkbar sind. Welche von beiden zutrifft, müsste eine familienbezogene Forschung klären:

  1. Die Familie ist seit Jahrhunderten in diesem Bereich ansässig gewesen, was ich aber ehrlich gesagt nicht glaube -> dann wäre der Name ziemlich ungewöhnlich, da die „deutsche“ Sprache erst recht spät dort Fuß fasste.
    Ich glaube eher
  2. dass die Familie nach der großen Pest in diesem Gebiet 1709/1710 als Anwerber zur Wiederbesiedelung des fast menschenleeren Gebietes aus einem anderen deutschen Bereich kam. Und hier gibt einem dann genau der Buchstabe „T“ von „Toll“ den Hinweis, dass der Ursprung höchstwahrscheinlich im niederdeutschen Bereich liegen könnte. Auf http://www.memelland-adm.de/Bevoelkerungsgeschichte/…
    ist von Einwanderen aus den Niederlanden und England die Rede. Zahlenmäßig die größte Gruppe scheinen aber (evangelische) Glaubensflüchtlinge aus rekatholisierten Bereichen Deutschlands gewesen zu sein. Explizit genannt werden Schweizer, Franzosen (Hugenotten) oder Mittel- und Süddeutsche. Somit spielt es offenbar eine Rolle, ob es sich bei Deinem Freund um einen Protestanten oder einen Katholiken handelt. Allerdings war die Gegenreformation in der Region um Neumarkt/Oberpfalz zu früh, um eine echte Alternative für die Herkunft der Familie Deines Freundes sein zu können. Daher denke ich, dass die Familienwurzeln zwar vermutlich nicht in der Kurischen Nehrung liegen, aber doch im niederdeutschen Sprachgebiet nördlich der sogenannten „Benrather Linie“, welche von Dünkirchen/Frankreich - Brüssel/Belgien - Aachen - Düsseldorf-Benrath (dort wird der Rhein gekreuzt, daher der Name) - Hagen/Westfalen - Kassel - Wittenberg - Frankfurt/Oder - Posen/Polen verläuft. Da im gesamten niederdeutschen Sprachraum (inklusive dem angelsächsischen) der „Zoll“ (= Grenze) der „Toll“ ist, lässt sich schwer sagen, ob man jetzt eher den angelsächsischen, den niederländischen oder doch eher den niederdeutschen Untersprachraum als Herkunft favorisieren soll. ich tendiere fast (ohne es genau begründen zu können) zum niederländischen Bereich.

Eingliedrige Familiennamen sind älter als mehrgliedrige, solche die im Norden entstanden sind, sind jünger als solche aus südlicheren Bereichen, westliche sind älter als östlichere. Solche, die auf dem Land entstanden sind, sind jünger als solche, die ihre Herkunft in der Stadt haben. Aus all diesen Aspekten gehe ich davon aus, dass der Name „Toll“ erstmals etwa 1450 bis 1550 als Familienname verwendet wurde, also für einen Familiennamen recht jung ist.

Alternativen sind neben dem schon erwähnten Beruf des Zöllners auch das mittelhochdeutsche Wort „tol“ (= stark, kräftig, tüchtig, ansehnlich) was somit einen Übernamen (Spitznamen) nach einer körperlichen Eigenschaft wäre oder auch ein slawischer Rufname, der mit „Tol-“ beginnt und auf slawisch toliti (= besänftigen, beruhigen, befrieden) zurückzuführen wäre (somit die slawische Übersetzung des germanischen Friedrich). Die Wortbedeutung „tol“ (= ohne Verstand, sinnlos handelnd, verrückt, geisteskrank) wäre auch denkbar (ebenfalls ein Übername nach einer Eigenschaft des Namensträgers).

Ich hoffe, ich konnte Dir ein wenig Neues erzählen.

Ein schönes Wochenende wünscht

Alexander