Hallo Benoît,
ja, es ist ein eigenartiger Spiegel, wenn man sich anschaut, welche deutschen „Ideen“ bei den Nachbarn (nicht nur im Westen, sondern z.B. auch in St. Petersburg und Ploiești) übernehmenswert schienen. Mir kommt außer „le schnaps“ zur Charakterisierung des deutschen Wesens „l’ersatz“ besonders gut getroffen vor. Andere wie „le hinterland“ werden mit den unsinnigen gegenseitigen Massakrierereien in Vergessenheit geraten (vor ziemlich genau hundert Jahren wurden meine beiden Großväter als Reserve in das Hinterland von Verdun in Marsch gesetzt - es ist schon recht, dass das eine Weile vorbei ist).
„Le weltschmerz“ setzt bereits Kenntnisse der deutschen Romantik voraus, damit er als Begriff verständlich wird: Das dürfte für Intellektuelle reserviert sein.
„La schlague“ ist mir bisher nur bei David Rousset begegnet, ich wusste nicht, dass das allgemeiner verwendet wird; les „blockhaus“ haben wir immer auf der Wanderkarte vom Club Vosgien vor Augen, wenn wir im Outre-Forêt und der Alsace Bossue unterwegs sind - es ist übrigens ein Anblick, der mir immer wieder in der Seele wohltut, wenn ich sehe, wie sich der Wald und das Torfmoos auch diese widerlichen Betonbauten nach und nach zurückholen und die Maginotlinie, den Westwall und die Siegfriedlinie als die größten Irrtümer seit der Reichsteilung 843 neutralisieren.
Immerhin - neben der hübschen Parole „Morgen wieder loustic“ von Jérôme Bonaparte gibt es ja auch noch das alte (der Petit Robert sagt: schon 1546 aus dem Deutschen eingewanderte) „trinquer“ - für irgendwas ist also auch das „deutsche Wesen“ gut.
Nebenbei: Argot verändert sich ja ständig, er lebt davon, dass ihn die Alten nicht richtig verstehen; von daher ist es schon ein wenig heroisch, wenn man Argot gedruckt und gebunden in ein dico pressen will. Jedenfalls habe ich im „Dictionnaire du Français Argotique & Populaire“ (F. Caradec bei Larousse) einmal eine schöne deutsche Wendung gefunden, die wohl erst in den 1970ern nach Frankreich gekommen ist: Das für deutsche Taxistände typische stundenlange Warten von Taxifahrern, mit dem mehr als die halbe Schicht herumgeht, als „être en strasse“ - übertragen ungefähr wie „être en galère“. Wird „être en strasse“ heute noch verstanden?
– Ja, „für Bassledo“ ist soviel wie „pour passer le temps“. Es gehört zu den Wörtern, die im Lauf des 19. Jahrhunderts besonders in Württemberg Mode waren, wo allen klar war, dass man mit so einem winzigen Zaunkönigreich nicht weiter käme, aber dann doch viele lieber französische als preußische Untertanen geworden wären. Bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts hat sich davon einiges gehalten - etwa auch das (harmlose) „Karessieren“, das dann schon ernsthafter und bedenkenswert wird, wenn es zum „Poussieren“ (= ernsthafte Avancen machen) übergeht.
– Ich glaube übrigens nicht, dass es Franzosen an Sprachbegabung fehlt: Alleine schon der riesige Schatz an Witzen, die mit Homophonien arbeiten (‚Homéopathie? - Pauv’e Juliette!‘) und die schon mal auch in passender Situation aus der hohlen Hand spontan entwickelt werden, zeigt doch eigentlich ein sehr inniges Verhältnis zur eigenen Sprache. Mir kommt es eher vor, als würde die einheitliche Sprache der „Grande Nation“ als identitätsstiftendes und identitätserhaltendes ideologisches Element gebraucht: Es ist noch nicht so lange her, dass die Behauptung, es gäbe in den Grenzen Frankreichs kein Gallo, kein Ch’ti, kein Baskisch, kein Catalan, kein Alemannisch etc. und hätte es nie gegeben, genau so kategorisch als Wahrheit zu stehen hatte wie heute z.B. die Behauptung aus Ankara, es gäbe keine Kurden und keine Armenier und hätte sie nie gegeben.
Schöne Grüße aus dem wilden Südwesten
MM