Was ist bei gustav radbruch mit "übermäßiges gesetzliches unrecht" gemeint?

Radbruch sagt:

Ein übergesetzliches recht (naturrecht) hat vorrang vor einem „übermäßigen gesetzlichen unrecht“

Was ist mit diesem wort gemeint?

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Hallo,

ja, ich wüsste gerne, wann die Radbruchsche Formel in der Rechtsprechung aktuell einbezogen wurde. So hat doch das Frankfurter Finanzamt der Bildungsträger ATTAC das Privileg der Gemeinnützigkeit abgesprochen. Ein Urteil dazu liegt noch nicht vor.

LOBBYCONTROL benennt Beispiele von Organisationen, die einzig eigennützige Zwecke verfolgen und dennoch das Steuerprivileg der Gemeinnützigkeit zuerkannt bekommen haben.

Riesensauerei.

Gruß mki

  1. also ist mit dem übermäßigen gesetzlichen unrecht einfach ein positives recht gemeint?

  2. was genau ist das naturrecht? das naturrecht umfasst wie ich gelesen habe alle menschenrechte, aber andererseits stand da auch, dass damit nicht die im gesetzbuch aufgeschriebenen menschenrechte seien, sondern rechte im menschen drin. also was für rechte sind das dann genau?

Radbruch unterscheidet fünf Kategorien:

  • positives Recht
  • Gerechtigkeit
  • Gemeinnutz
  • Rechtssicherheit
  • Naturrecht

Gerechtigkeit und Naturrecht gehören zusammen: Gerechtigkeit ist Gleichheit vor dem Gesetz, wobei die Gleichheit von der Natur (oder der Vernunft, was Radbruch in diesem Fall gleichzusetzen scheint) vorgegeben ist. Die Grundsätze dieser natürlichen Gerechtigkeit bilden das Naturrecht.

Auch das positive Recht muss seinem Anspruch nach der Gerechtigkeit dienen. Laut Radbruch kann es bis zu einem gewissen Grad aber von der Gerechtigkeit abweichen, ohne vom Richter in Frage gestellt werden zu müssen. In solchen Fällen muss er zwischen der durch das positive Recht garantierten Rechtssicherheit einerseits und den Idealen der Gerechtigkeit und des Gemeinwohls andererseits abwägen.

Ab einem bestimmten Grad aber muss positives Recht zugunsten der natürlichen Gerechtigkeit verworfen werden, nämlich dann, wenn es ganz offensichtlich den Grundsätzen der Gerechtigkeit (= Gleichheit vor dem Gesetz) widerspricht. Das ist überall dort der Fall, wo Menschenrecht gezielt negiert wird, z.B. wenn das Recht der Ermordung politischer Gegner dient, wenn es dem Gemeinnutzen schadet oder wenn grausame Strafen angedroht werden, die in keinem Verhältnis zum Delikt stehen.

Chanec

Tippfehler, sorry.

Hallo Ch_an,

Die Vernunft beruht auf Erfahrung. Wissen kann dabei sehr nützlich sein. Das positive Recht braucht deshalb so wenig gerecht zu sein wie es das Naturrecht bekanntlich auch nicht ist. Ich halte die Vernunft, genau so wie die Natur, nur für eine Art Einbildung. Beides wird von jedem anders gesehen. Gleichheit vor dem Gesetz bzw. der Vernunft halte ich für Zweckglaube. Der sollte von daher immer anzweifelbar sein. Das ist bei Faschisten leicht. Schwierig wird es bei Menschen mit angeblich besten Absichten. Was vernünftig ist erweist sich immer erst hinterher. Wenn überhaupt.

Radbruchs Absichten scheinen gewesen zu sein fehlendes Rückgrad bei den Eliten, insbesondere den Juristen, mittels Radbruchscher Formel zu ersetzen.

Gruß mki

Ich denke, das ist reines (!) Wunschdenken. Nichts als frommer Glaube. Zum Tod lachen, wenns nicht so ernst wäre.

Gruß mki

„Beruhen“ scheint mir hier nicht der passende Ausdruck zu sein. Vielmehr benötigt Vernunft die Erfahrung (Empirie), um sich entfalten zu können, sowie den Verstand, um die Inhalte der Erfahrung zu ordnen. Man kann sie darüber hinaus als das Vermögen definieren, ein ideales Prinzip zu bestimmen sowie ein an diesem Prinzip ausgerichtetes System von Verhaltensprinzipien und -regeln. Die Frage ist, wie die Vernunft zur Erkenntnis des höchsten Prinzips gelangt. Wie oben gesagt, benötigt Vernunft Erfahrung, siehe auch Kant: „Begriffe ohne Anschauung sind leer“. Für Kant gilt das aber nur für die ´theoretische Vernunft´. Die praktische Vernunft kann ihm zufolge sehr wohl auch Begriffe ohne Anschauung verwenden (z.B. ´Gott´), um das moralische Handeln der Menschen anzuleiten, was er als ´regulative Ideen´ bezeichnete.

Natürlich hat sich Kant in diesem Punkt geirrt, und zwar aus drei Gründen, erstens, weil er über die komplexe religionshistorische Genese der Gottes-Idee viel zu wenig wusste, zweitens, weil ´Gott´ nicht die einzig mögliche ´regulative Idee´ ist, um moralisches Verhalten zu begründen, und drittens, weil eine solche ´regulative Idee´ sehr wohl auch empirisch - also durch Anschauung - begründet werden kann. Das zeigen z.B. die fernöstlichen Philosophien wie Buddhismus und Brahmanismus, die ihre Prinzipien ganz empirisch aus der Erkenntnis eines a-personalen universellen Urgrunds ableiten, das zeigen aber auch westlich-antike Systeme wie die Stoa, deren Prinzipien denen des Brahmanismus nicht zufällig ähneln, war der im 6. Jh. BCE sich nach Kleinasien und Griechenland ausbreitende Brahmanismus doch eine wesentliche Quelle vieler späterer griechischer Philosophien, die den Orphismus, die Stoa und auch Platon beeinflusste.

Woran du letztere Aussage festmachst, ist mir unklar. ´Naturrecht´ kann sehr unterschiedlich abgeleitet werden, besagt aber immer, dass alle Menschen vor dem Gesetz (egal welchem) gleich sind, dass also keine angeborenen hierarchischen Unterschiede zwischen Menschen bestehen. Was soll daran „ungerecht“ sein?

Du solltest mal Habermas (oder über seine Theorie) lesen. Dann wirst du mir vielleicht darin Recht geben, dass in deinem gerade zitierten Satz ein Vernunftanspruch enthalten ist, d.h. ein Anspruch auf Vernünftigkeit der von der getätigten Aussage (kommunikative Vernunft). Dass du mit diesem Satz genau diese Vernunft negierst, nennt K.O. Apel einen ´performativen Selbstwiderspruch´.

Chan

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