Punkte und andere gedachte Objekte
Hi Netzwerkeisberg
mit wenigen Ausnahemn (z.B. Aristoteles „Physik“, Hegel „Naturphilosphie“ sind wichtige Beipiele) spielt der Punkt eigentlich nur in der Mathematik eine Rolle und darüber hinaus wird er nur metaphorisch verwendet.
Man muß aber mit dem Existenz-Begriff vorsichtig umgehen. Sehr wohl „existieren“ mathematische Objekte: geometrische, topologische Objekte, Zahlen, Mengen und deren Elemente… Aber sie existieren in einem anderen Sinne als es andere immaterielle (rein gedankliche) Dinge tun und insbesondere anders als physische Objekte.
Ein Beispiel mag erläutern, wie in der Mathematik mit der „Existenz“ umgegangen wird: Es gibt (Differential-)Gleichungen, bei denen man beweisen kann, daß eine Lösung „existiert“ - und das, obwohl man sie niemals ausrechnen können wird.
Die Frage nach der Weise von „Existenz“ mathematischer Objekte ist u.a. Gegenstand der Philosophie der Mathematik.
Nun zum Punkt. Die klassische Definiton des Euklid „ein Punkt ist, was keinen Teil hat“ wird heute in der Math. als unzulänglich angesehen. Er wird daher viel abstrakter, allgemeiner definiert. Z.B. in Hilberts Begründung der Geometrie durch sog. „implizite“ Definition: Da gehört der Punkt zu den nicht-definierbaren Objekten. Ihre Eigenschaften werden vielmehr durch Axiome (nicht mehr weiter zu begründende Aussagen) festgelegt.
Mengentheoretisch kann man Punkt definieren als „Element einer Menge, die den Charakter eines Raumes hat“. Wobei „Raum“ vieles bedeuten kann - topologischer Raum, metrischer Raum, Funktionenraum etc. In einem Raum von Funktionen ist z.B. eine Funktion ein „Punkt“. Im Zahlenraum ist eine Zahl ein „Punkt“. Das ist also viel abstrakter definiert als in der Elementargeometrie.
Für den holl. Mathematiker Brower war der Punkt das komplexeste Objekt, das die Mathematik aufzuweisen hat: in der Chaostheorie finden sich beliebige Punkte, in denen eine auf dem „Weg“ zu ihnen hin immer komplexer werdende Struktur unendlich komplex wird. Oder nimm eine sinusförmige Funktion, deren Wellenzahl zum Nullpunkt hin ad infinitum zunimmt…
Zur Anschaulichkeit des Existenzproblems vielleicht noch ein Beispiel aus der Topologie: Nimm eine Kugelsphäre und entferne einen Punkt darin. Dann ist dieser (fehlende) Punkt das Entscheidungskriterium, ob die betrachtete Fläche unberandet ist (wie eben die komplette Kugeloberfläche) oder eine berandete Fläche: die Fläche ohne den Punkt ist nämlich äquivalent zu einer flachen Kreisscheibe.
In der Elementargeometrie - auf die du ja abhebst - arbeitet man natürlich mit der euklidischen Definition. Aber da hat man ja auch von vornherein einen Punkt-Raum. Der 0-dimensionale Raum enthält nur 1 Punkt. Der 1-dimensionale Raum unendlich viele usw. Wenn man den z.B. mit einer Metrik (= eine Abstandsdefinition) versieht, kann man den 1-dimensionalen Raum der reellen Zahlen auf ihn abbilden und dann hat man einen metrischen Raum: man kann einen Punkt durch eine Zahl bestimmen (wenn man davon ein physikalische Modell macht, hat man einen Zollstock). Wenn man auf einen 2-dimensionalen Punktraum den Zahlenraum zweifach abbildet, hat man ein 2-dimensionales Koordinatensystem. Darin wird ein Punkt durch 2 Zahlen eindeutig bestimmt… usw… in einem n-dimensionalen Raum durch n Zahlen usw.
Alles in Allem ist der math. Punkt ein Gedankending wie alle math. Objekte. Der Mathematiker wird zu der Frage, ob ein solches Objekt „existierte“ oder „nur“ gedacht werde, antworten: er existiert, und zwar als ein Gedachtes…
Gruß
Metapher