Hi RoNeunzig.
Gewalt ist meistens Gegengewalt …
Nicht ganz logisch. Einer Gegengewalt geht - vom Wortsinnn her - immer eine (Erst-)Gewalt voraus. Das „meistens“ ist also nicht korrekt. Besser wäre: Gewalt erzeugt meistens Gegengewalt.
Aber woher kommt ursprünglich erste Gewalt?
Das Thema ist zu komplex, um es in wenigen Zeilen darstellen zu können. Sicher wurde in den bisherigen Beiträgen manches Gültige gesagt, aber ich vermisse den Hinweis auf die Komplexität der Ursachen von Gewalt.
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Zunächst spielen die Gene eine Rolle. Wir tragen massives tierisches Erbe in uns. Das Reptiliengehirn (der älteste Teil unseres Gehirns) ist immer noch ansatzweise aktiv, z.B. dann, wenn Motorfreaks aufs Pedal drücken. Das laute Dröhnen und die hohe Geschwindigkeit lösen in diesem Gehirnteil ein Lustgefühl aus - das Reptil in uns ist erwacht. Und es kennt keine Moral - es will nur ab durch die Mitte und immer feste druff.
Im Prinzip gilt das für alle Gewaltphänomene (soweit sie moralisch und juristisch verwerflich sind). Der Blutrausch und die Lust am Aufschlitzen und Zerhacken eines anderen Körpers sind in unseren Genen verankert. Sie haben sich als evolutionär produktiv erwiesen und zählen damit zum Paket jener Eigenschaften, die vererbt werden. Zivilisation und Kultur haben sie zwar zu bändigen versucht, aber so gänzlich gelingen konnte das nicht und wird es auch nie - daher die vielen Möglichkeiten, in der Phantasie jene Eigenschaften auszuleben, die real unterdrückt werden müssen (Gewaltfilme, Games, diverse Sportarten usw.).
Dass die genetisch bedingte Gewalt also ursprünglich evolutionär notwendig war, ist klar. Im Tierreich ist Gewalt immer das bessere Argument, außer man betreibt Mimikry, ist irre flink oder hat einen starken Panzer.
In der bisherigen Debatte wurde nicht zwischen Aggression und Gewalt unterschieden. Ich kann diesen Unterschied rein zeitlich hier nicht vertiefen, will nur darauf hinweisen, dass Aggression ein potentielles Element der Gewalt ist. „Staatsgewalt“ z.B. ist die Androhung von Aggression gegen jemanden, der sich den Gesetzen widersetzt.
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Neben den Genen kommt die Psychologie ins Spiel. Einige vertreten hier die Aggressions-Frustrations-Theorie, sagen also, dass Aggression durch Frustration erst entsteht. Andere halten Aggression für angeboren (z.B. Freud und Lorenz). Ich halte letzteres für korrekt.
Natürlich kann Aggression auch durch Frustration entstehen, und das ist sehr häufig der Fall. Die Psychoanalyse hat festgestellt, dass Kinder schon sehr früh Hass auf ihre Eltern anstauen, was im Prinzip das ganze Leben über anhält - meistens un- oder halbbewusst, oft sehr bewusst. Das menschliche Ich muss durch Erziehung erst in eine sozial verträgliche Form hineingepresst werden - das widerspricht komplett dem angeborenen Allmachtsstreben der menschlichen Psyche. Freud nannte das Resultat „Kastrationskomplex“. Der Preis für die Zivilisation ist also ein ungeheures Reservoir an unbewusster Aggression, das wir alle mit uns herumschleppen.
Oft genug aber brechen die Dämme, und der Hass nimmt freien Lauf. Kriege und individuelle Katastrophen sind die Folge.
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Freud erkannte, dass Aggression ein wichtiges Element der Sexualität ist. Das Fehlen dieses Elements löst beim Mann Impotenz aus. Insofern ist Aggression fortpflanzungstechnisch ein unverzichtbares Element der Evolution. Dass auch hier krankhafte Entstellungen möglich sind, ist bekannt. Der Sadismus ist das extremste Beispiel.
Sadismus ist die sexuelle Lust am grenzenlosen Verfügen über den Korper eines Anderen. Noch in der europäischen Neuzeit waren öffentliche sadistische Rituale üblich (Hinrichtungen auf Marktplätzen, Folterungen vor privatem Adelspublikum usw.). Es ist bekannt, dass Zuschauer nicht selten dabei miteinander Sex hatten (Casanova berichtet das als Zeuge) oder einfach durch das Zusehen und -hören einen Orgasmus (hier sind mir weibliche Beispiele bekannt) bekamen.
Dass Sadismus zu einer kultischen Institution werden kann, bewiesen vor allem die Maya: bei ihren Menschenopfern schreckten sie vor keiner Grässlichkeit zurück. Sie folterten Kinder stundenlang zu Tode, indem sie ihnen die Haut abzogen, oder das Fleisch bis auf den blanken Knochen abkratzten, oder ante mortem den Unterkiefer entfernten… Und das alles bei Tageslicht vor großem Publikum.
Gruß
Horst