Waldwirtschaft
Servus,
Aber ganz echt: bei Dir hätte ich gedacht, offene Türen einzurennen…
unabhängig von der vorgelegten Frage: Teils - teils. Das Buch von Wohlleben kenne ich nicht, mir ist der Name des Autors bloß indirekt über Dinge bekannt, die Journalisten über ihn schreiben. Bei diesen Sekundär- und Tertiärtexten findet man hie und da eine Ignoranz von hohen Graden, die freilich nicht dem Journalismus als solchem, sondern den einzelnen Volontären anzulasten ist, die sich mit Wohlleben beschäftigen.
Warum Ignoranz?
Wald- und Forstwirtschaft ist eine sehr langsame Kunst. Die jetzt schlagreifen einheitlichen Fichtenbestände sind in den 1940er bis (falls sie sehr jung z.B. für Zellstoff oder Pellets verwertet werden) 1980er Jahren gepflanzt worden. Reine Fichtenpflanzungen werden in den Staatsforsten aller Bundesländer und in sehr vielen privaten und kommunalen Wäldern schon seit etwa zehn Jahren überhaupt nicht mehr und seit etwa dreißig Jahren fast nicht mehr vorgenommen. Einen frühen Versuch der Forstverwaltung Baden-Württemberg zur Selbstverjüngung von Wald habe ich als kleiner Bub in den 1960er Jahren kennengelernt; spätestens mit der systematischen Untersuchung zu den „Neuartigen Waldschäden“, die vor über dreißig Jahren begann, wurden die Grundlagen zur heutigen Waldbewirtschaftung gelegt.
Die im 19. Jahrhundert begonnene Waldbewirtschaftung mit der Technik von Kahlschlag und folgender Pflanzung reiner Fichtenbestände ist schon längere Zeit passé. Meines Wissens sind in allen Bundesländern Kahlschläge genehmigungspflichtig, und diese Genehmigungen werden sehr restriktiv erteilt - das mag sich demnächst wieder ändern, wenn die Bodenschäden, die durch Harvester-Einsatz verursacht werden, besser untersucht sind. Jedenfalls wird heute auch nach Kahlschlag sehr sparsam gepflanzt und hauptsächlich auf Aufwuchs aus vorhandenen Samen und jungen Bäumen gesetzt - das geht mittlerweile ganz gut, weil die Waldstücke, in denen dieser Aufwuchs nur aus Fichten und Kiefern kommen kann, schon jetzt sehr selten geworden sind. Auch hier ist übrigens die Forstverwaltung Baden-Württemberg technisch führend - 1999 nach „Lothar“ blieben wegen Mangel an ausreichenden Kapazitäten große Flächen mehrere Jahre „unaufgeräumt“, und im Ergebnis dieses ungeplanten „Großversuchs“ zeigte sich, dass der spontane Aufwuchs auf diesen reichlich mit Totholz versehenen Flächen viel schneller und besser erfolgte als auf denen, bei denen nicht nur die geworfenen Stämme herausgerückt wurden, sondern auch das übrige Totholz abgeräumt wurde. Auch aus den Erkenntnissen aus „Lothar“ folgte das, was heute anerkannter Stand der Technik ist. Der heutige Umgang mit Borkenkäfern ist übrigens auch auf Erkenntnissen begründet, die an großen Windbrüchen der 1960er bis 1990er Jahre gewonnen wurden.
Die neute betriebene Forstwirtschaft, die dem Ideal von Wohlleben weitgehend entspricht, hat ein paar Schattenseiten:
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Sie ist betreffend Wert des künftig einschlagbaren Nutzholzes den reinen Fichtenbeständen überlegen, aber betreffend künftig einschlagbare Mengen viel weniger produktiv. Einer der Forstbeamten, der an der Betreuung des eingangs genannten Versuchs im Franzenhölzle bei Schussenried beteiligt war, hat mir kürzlich (er ist inzwischen weit in den 80ern) gesagt: „Wer weiß, ob uns nicht die nachfolgenden Generationen für das verfluchen werden, was wir in Gang gebracht haben, wenn ihnen die Pellets für ihre Heizungen ausgehen!“
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Kahlschlag mit Neuaufforstung oder Selbstverjüngung kommt mit viel leichterer und einfacherer Rücketechnik aus; der Einschlag einzelner Bäume in einem geschlossenen Bestand ist bezahlbar nur mit Harvestern möglich, die besonders auf Buntsandstein in den Mittelgebirgen Schäden in heute noch nicht abschätzbarem, vermutlich enormem Umfang verursachen. Der Einsatz von Rückepferden bleibt unwirtschaftlich und nimmt (vor allem in Staatsforsten) nur dort wieder zu, wo eine defizitäre Bewirtschaftung wegen Belangen des Naturschutzes in Kauf genommen wird.
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Wenn man Forstwirtschaft rentabel betreiben will, muss man in Kauf nehmen, dass dabei die Methoden mit der besten Effizienz eingesetzt werden. Wenn man bereit ist, Forstwirtschaft defizitär nach anderen als wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu betreiben, muss man konsequenterweise die Verfügung der Eigentümer von kommunalen und privaten Wäldern einschränken und diese Wälder durch die Forstbehörden der Länder bewirtschaften lassen. Hier gäbe es dann ein erhebliches Problem mit Art. 14 GG.
Nach all diesen Umwegen zurück zu Wohlleben: Wesentliche Teile seiner Kritik richten sich an die Adresse der Förster, die in den Generationen vor ihm tätig waren; die können aber nichts mehr an dem machen, was vor vierzig bis achtzig Jahren getan wurde - es nimmt mich ein wenig wunder, dass er als Forstwirt das nicht berücksichtigt.
Schöne Grüße
Dä Blumepeder