Was ist Kitsch?

Kann man grundsätzlich sagen, dass eine dramatische Handlung mit gutem Ausgang Kitsch ist? Oder ist das zu einäugig?
Es fällt mir auf, dass amerikanische Filme (amerikanische Literatur kenne ich kaum) fast immer fürchterlich dramatisch sind, dass am Ende aber doch ein Happy End wartet. Damit korrespondierend - obgleich erst heute zusammen geführt - hielt ich amerikanische Filme dieser Machart meist für kitschig.

Nebenbei: Wenn mir jemand eine von einer zumindest nicht völlig unbedeutenden Mehrheit vertretenen Begriff des Kitsches geben könnte…

Dank schon mal.

Herr Puntila

Hallo,

Nebenbei: Wenn mir jemand eine von einer zumindest nicht
völlig unbedeutenden Mehrheit vertretenen Begriff des Kitsches
geben könnte…

bitteschön: http://de.wikipedia.org/wiki/Kitsch

Nebenbei - Kitsch scheint eher ein ursprünglich deutsches Phänomen zu sein: http://www.dict.cc/?s=kitsch

Grüße

=^…^=

Danke, aber mit einer Definition ist es auch bei wikipedia nicht weit her. Das hatte ich schon. Ich dachte eher an eine wirklich brauchbare Definition im Sinne von Klassifizierung und Spezifizierung.

Dank dennoch.

H.P.

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Moin,

im Bereich Kunst und Kultur (im weitesten Sinne) gibt es fast nie eine eindeutige Definition von Begriffen, sondern es sind Deutungen, Interpretationen.
Diese haben dann eine Art gemeinsamen Kern, in dem die Experten übereinstimmen. Das Drumherum fällt unterschiedlich aus, ist abhängig von persönlichen Ansichten, wissenschaftlichen Tendenzen/Schulen und auch vom Lauf der Zeit. An der Literaturliste bei wikipedia siehst Du, wie viel Tinte schon für das Thema „Kitsch“ verbraucht wurde.

Du solltest ein paar Definitionsversuche lesen, Stichwörter notieren und für Dich eine Definition formulieren, die Dir einleuchtend erscheint.

Grüße
Pit

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hallo herr puntila,

du näherst dich vielleicht einer antwort, wenn du statt kitsch den begriff „trivialliteratur“ einsetzt. die ist aber nun nicht so exakt abzugrenzen. was gestern kitsch war kann heute unter umständen klassik sein.

ein trivialer („kitschiger“) text/eine triviale handlung beendet sich selbst, nachdem das buch durch oder der film vorbei ist, und damit den dialog mit dem leser, da kommt nix mehr nach, kein gedanke, kein aha, kein weiterdenken einer idee.

die figuren in trivialen texten entwickeln sich z.b. charakterlich nicht weiter, während die in nicht trivialen texten sich außerhalb des textes entwickeln können (das happy end - oder eben auch nicht - passiert erst im kopf des lesers, je nachdem, welchen erfahrungshorizont dieser hat).
anders gesagt: ein nicht trivialer text ist in der lage, den leser noch lange, nachdem er zu ende gelesen hat, zu beschäftigen. er wird ihn nach einiger zeit ein zweites und drittes mal lesen können und veränderungen feststellen. ein trivialer text bleibt, was er ist.

ein trivialer text befasst sich vielleicht mit dem konflikt zwischen gut und böse. das ist langweilig und das ergebnis steht meist fest: der gute gewinnt.
ein nicht trivialer text beschäftigt sich eher mit dem konflikt zwischen gut und gut! was passiert, wenn einer alles „richtig“ macht und dennoch großes unheil anrichtet? DAS ist wahre tragik!

aber das sind nur denk anstöße , ganze seminare befassen sich mit der frage, eindeutige, haarscharf abgrenzende antworten gibt es nicht, weil ein text immer auch im kontext zu sehen ist (WAS will der text sagen? WEM? und zu welcher zeit, unter welchen umständen?)

Nebenbei: Wenn mir jemand eine von einer zumindest nicht
völlig unbedeutenden Mehrheit vertretenen Begriff des Kitsches
geben könnte…

da habe ich nur ein beispiel parat:
wenn du z.b. muscheln vom strand aufhebst und sie auf ein kästchen klebst, weil jede davon dich dein leben lang an einen anderen glücklichen augenblick erinnert, dann ist das vielleicht sentimental, vielleicht romantisch - aber nicht kitschig.
wenn deine erben eines tages das mit muscheln besetzte kästchen vorfinden und keinerlei bezug zu dem haben, was du einst damit verbunden hast, werden sie es als kitschig empfinden.

oder:

wenn mein liebster im toscanischen sonnenuntergang den arm um meine schultern legt, werde ich das mit sicherheit romantisch finden. wenn sich aber jemand exakt diesen sonnenuntergang als bildtapete an die wand pappen würde, um romantik herzustellen, würde ich das als kitschig empfinden.

kurz gesagt könnte man alle symbole oder symbolhaften inhalte, die von ihrem bezug unwiederbringlich getrennt sind, als kitsch bezeichnen.

hilft dir das ein wenig?

schöne grüße
ann

Hi,

Kann man grundsätzlich sagen, dass eine dramatische Handlung mit gutem Ausgang Kitsch ist? Oder ist das zu einäugig?

Jo ist es. shakespeares Komödien zB sind wohl eindeutig kein Kitsch, auch wenn sie eben diesen Verlauf haben: In „Viel Lärm um nichts“ fällt Hero in Ohnmacht, weil man von ihr glaubt sie sei bei der Heirat nicht mehr jungfräulich, alle glauben, sie sei tot. Einer ihrer Freunde macht sich sogar auf, denjenigen zu töten, der das Gerücht in die Welt setzt. Und dan löst sich doch alles auf und Hero heiratet wie geplant Leander.
Dickens „Oliver Twist“, so gruselig und traurig die Handlung, endet doch auch gut: Fagin ist tot, Die Besitzer des Armenhauses, in dem oliver als Kind lebte, sind selbst verarmt und müssen nun ihrerseits im Armenhaus schuften…
Selbst shakespears Historien haben einen eigentlich guten Ausgang: Obwohl der Hauptheld (MAcbeth, Richard III., …) stirbt, so ist es doch ein Tod, der notwendig ist, um eine positive Entwicklung für den Staat zu sichern.

Die Franzi

Hallo Ann,

es hat Spaß gemacht, das zu lesen. Viele neue Blickrichtungen.

Danke.

Kann man grundsätzlich sagen, dass eine dramatische Handlung
mit gutem Ausgang Kitsch ist? Oder ist das zu einäugig?
Es fällt mir auf, dass amerikanische Filme (amerikanische
Literatur kenne ich kaum) fast immer fürchterlich dramatisch
sind, dass am Ende aber doch ein Happy End wartet. Damit
korrespondierend - obgleich erst heute zusammen geführt -
hielt ich amerikanische Filme dieser Machart meist für
kitschig.

Meine subjektive Antwort:
ich finde all das kitschig, was Übertreibung braucht, um zu wirken. Das hat nichts mit gutem oder schlechtem Ausgang zu tun (z.b. finde ich Schindlers Liste ganz furchtbar kitschig, Tragik-Kitsch sozusagen, aber ein Tom Tykwer Film mit gutem Ausgang ganz und gar nicht.). Es hat aber etwas damit zu tun, ob ein Happy End beispielsweise auf einen ansonsten normalen oder traurigen Film aufgeklatscht wurde, ohne wirklich zu passen. Und eben übertrieben wird, damit auch gefühlsmäßig nicht so leicht „entflammbare“ Leute berührt werden.
Jegliche Holzhammermethode, um Romantik, Tragik, Freude, Melancholie zu erzeugen, empfinde ich als Kitsch. Tränendrüsen-Voträge, extrem große Gesten, die unten erwähnten Sonnenuntergänge.
Und dazu zählt eben auch, wenn in Filmen etwas passend gemacht wird, was nicht passt, ein Happy oder Unhappy End, wo es irgendwie deplatziert wirkt, eine extreme Aschenputtel-trifft-Prinz-Geschichte - alles, was meines Empfindens an den Haaren herbeigezogen wird, eine Riesen-Realitätsflucht darstellt, aber so tut, als könnte es real passieren (ich habe nichts gegen märchenhafte surreale Filme, aber dann sollen sie auch eine surreale Atmosphäre haben). Dies vermittelt für mein Empfinden das Gefühl, dass das eigene Leben so nichtig ist, dass man auf die großen Megastories (umsonst) wartet.

Gruß

Hallo an alle,

die Defintionsproblematik erinnert mich an einen Richter, der in früheren Zeiten pornographische Bilder von erotischer Kunst unterscheidenn musste, und sich so äußerte:

„Ich kann es nicht definieren, aber wenn ich es sehe, weiß ich, ob es pornographisch ist.“

Gruß,
Andreas

Hallo,

die Defintionsproblematik erinnert mich an einen Richter, der
in früheren Zeiten pornographische Bilder von erotischer Kunst
unterscheidenn musste,

Das war in Südafrika zu Apartheidszeiten einfacher:

Mit Farben gemalt war Kunst.
Photographiert war es Pornographie.
(das galt nur für weiße abgebildete Personen, bei schwarzhäutigen Personen galt Nacktheit als „Kultur“ und war somit erlaubt, dazu mussten allerdings einige afrikanische Artifakte im Bild sein).

Das führte dazu das Werke des Malers Tretchikoff, wie z.B. dieses
http://farm1.static.flickr.com/26/100507192_b3b4e0eb…
als Kunst galten.
In Südafrika der 70er und 80er Jahre war das Wort „tretchi“ dann synonym mit „kitschy“ zu verwenden.

Gruß
Elke