Was ist Kultur?

Was bewegt den Menschen dazu, einen verhüllten Reichstag oder ähnliches als Kunst, Kultur zu bezeichnen?

Ist es der Wunsch der Flucht aus dem trivialen Leben, welches der Mensch abschütteln will, indem er paradoxe Verhaltensweisen zeigt?

Ist es die pure Neugier nach dem Unklaren, die Suche nach dem Sinn der Kunst, den es oft nicht oder nur sehr entfernt gibt? Das Verlangen nach unlösbaren Rätseln und kreativen Denkanstößen?

Kunstliebhaber, beantwortet mir bitte diese Frage.

Gruß

Desperado

Kunst hat im Laufe der Jahre immer weniger die Bedeutung „Können“ sondern die Bedeutung „Idee“. Zwar ist das künstlerisch/handwerkliche Können sicher nicht hinderlich, aber nicht mehr absolute Voraussetzung. Ein m.E. wichtiger Aspekt zur demokratisierung der Kunst. Aktionen wie die Verhüllung des Reichstages sind sicher Kunst, weil eine sehr originelle Idee und wenn Du Dich mit Cristo etwas auseinandersetzt, wirst Du sicher feststellen, daß seine Aktionen alles andere als Gags sind.

Ein anderer Aspekt, der der oben genanten demokratisierung der Kunst entgegenläuft, ist, daß die „Erkennung“ von Kunst einiges an Vorwissen voraussetzt, Wissen daß viele nicht haben und auch nicht erweben wollen/können. Das war zwar immer schon so, aber die „Oberfläche“ der Kunst war früher gefälliger. Wenn Bilder von Künstlern früher richtig verstanden werden sollten, will meinen die oftmals versteckten Botschaften erkennen, mußte man auch viel Vorwissen haben. Hatte man das nicht, war die Fassade aber „schön“ und der Betrachter zufrieden.

Gandalf

Nicht verzweifeln, lieber Desperado!

Es hat schon alles seine Richtigkeit.

Wenn wir das Wort Kultur anschauen, so finden wir dahinter das lateinische Verb „colere“, was „bebauen (landwirtschaftlich), bewohnen (durch Menschen), pflegen und (religiös) verehren“ bedeutet. Also den Eingriff des Menschen in die Natur.

Wenn wir die Welt heute anschauen, so muss man wohl zugeben, dass es auf dieser Erde keine Natur mehr gibt, denn überall hat der Mensch inzwischen reingepfuscht. Zuletzt auch noch ins Klima!

Wenn also Christo mit seinen spektakulären Aktionen irgendwo an irgend etwas rumpfuscht, ist er ein Kulturschöpfer.

  • Den Kalauer: KUNST kommt von KÖNNEN, nicht von WOLLEN, sonst hieße es WUNST, erspare ich mir hier. -

Wenn Christo bei seinen Aktionen technisches KÖNNEN aufwendet, ist er dazu noch ein Künstler. Und wenn du den technischen Aufwand anschaust, der bei der Reichstagsverhüllung betrieben wurde anschaust, wirst du zugeben müssen, dass da sehr viel KUNST aufgewendet wurde.

Ich zum Beispiel habe in der Wüste zwischen Assuan und Abu Simpel während einer Pinkelpause der Reisegesellschaft einige Steine, die da rumlagen, aufeinander gestellt. Damit habe ich die Natur verändert und Kultur geschaffen. Da es einige Kunstfertigkeit bedurfte, um die unbehauenen Steine aufeinander zu stellen, war ich zugleich auch Künstler.

Vielleicht waren auch die Verrichtungen meiner Reisegefährten Kulturschöpfungen; ob sie Kunst waren, will ich nicht behaupten.

Zugegeben: Das ist ein sehr minimalistischer Kultur- und Kunstbegriff. Aber so weit sind wir heute! Durch unsere eigen Schuld, wie ich meine, weil seit hundert Jahren etwa die Begriffe systematisch ausgehöhlt und verderbt wurden. Vor allem durch die allumfassende Kommerzialisierung.

Ich stelle mir oft vor, wie Picasso sich kringelig lachte, wenn er wieder einmal ein Blatt, auf dem er die Farbe von seinem Pinsel abstrich, signierte und als Kunstwerk verkaufte.

Also nicht verzweifeln! Einfach nicht hinsehen und bloß nicht hingehen!

Gruß Fritz Ruppricht

Gern Desperado:

Beantworte dirs mit…

Konrad Lischka

[email protected]

Skript: Gesellschaft, Nation, Kultur

  1. Gesellschaft
    · Definitionsversuche:
    · Gemeinsamer Sinn- und Wertehorizont
    · Gruppe von Menschen, die gemeinsamer Regelübereinkunft (gesellschaftlich, gesetzlich kodifizierten Normen) unterworfen
    · Funktionaler Begriff: Alle, was im sozialem Raum auf der Erde geschieht, geschieht in der Gesellschaft. Gesellschaft läuft, wie sie läuft.

· Normativer Begriff:

Für eine Gesellschaft ist eine Gemeinsamkeit der Werte, der Kultur nötig
· Ziel der Gesellschaft: Abstimmung des Verhaltens aufeinander, Einschränkung möglicher Verhaltensweisen

· Diese Einigung entsteht weder durch den Willen der Mitglieder der Gesellschaft, noch jenseits von ihm. Da Gesellschaft immer schon vorliegt sind ihre Mitglieder ihr Produkt, sie hat eine Eigendynamik, es dialektisches besteht ein dialektisches Verhältnis zwischen Gesellschaft und Mitgliedern.

· Der Gegensatz zwischen Lebenswelt und Gesellschaft: Lebenswelt hat jeder für sich, er teilt sie vielleicht mit anderen, die Gesellschaft aber ist einzig, sie schafft den Vertrauensvorschuss, der für die Kompatibilität der Lebenswelten notwendig ist.

  1. Nation
    · Begriffen als Gesellschaft mit gemeinsamer Kultur (normativer Gesellschaftsbegriff)

  2. Kultur
    · Beim normativen Gesellschaftsbegriff ist Kultur die Basis der nationalstaatlich organisierten Gesellschaft
    · In modernen Staaten existiert ein Minimum an so verstandener Gemeinschaft der Religion, Werte usw… Das moderne Staatsverständnis widerspricht einer solchen Zwangshomogenität.

Nach der klassischen Soziologie ist der normative Gesellschaftsbegriff schwer zu halten. Ihm zufolge ist die Welt ein sozialer Raum mit verschiedenen Kulturen.
· Kultur wird ebenso definiert wie Gesellschaft (gemeinsamer Werthorizont usw.)

· Kultur ist abhängig von einer gemeinsamen Geschichte. Diese ist eine Funktion der Gegenwart, sie wird kommunikativ erzeugt, Kultur ist somit ein von den gesellschaftlichen Subjekten geschaffener gemeinsamer Code. Auch hier besteht eine dialektisches Verhältnis, wie schon zwischen Gesellschaft und Mitglied: Kultur wird von einer Gesellschaft geschaffen und sie schafft die Gesellschaft.

  1. Fazit
    · Wenn Gesellschaft an Kultur gebunden ist, wenn Kultur an Nation(alstaaten) und umgekehrt gebunden ist,
    · dann ist werden leicht Nationalstaaten mit Gesellschaften verwechselt.
    · dann besteht das Problem, dass diese drei Begriffe immer zusammenfallen, da sie ihrem Zusammenhang nach nicht einzeln gegeben sind.

Oder nicht?

Gruss

[Bei dieser Antwort wurde das Vollzitat nachträglich automatisiert entfernt]

Noch eine recht späte Anmerkung dazu:

Das Kunst von „K/können“ kommt ist falsch (das ist ein Restbestand der nationalsozialistischen Kunstideologie).
Kunst kommt nämlich (um auf dieser Ebene zu bleiben) schlicht von „künstlich“ und beschreibt damit das Schaffen künstlicher Welten/Geistesgebäude/Erzeugnisse - im Gegensatz zur Natur (ist also von Menschen gemacht).

Gruß,
Markus

Oh, Markus!

Mit einem Satz die etymologischen Erkenntnisse ganzer Generationen ausradiert!
Und das trotz Verspätung!
Ich bin sprachlos!

Mag das Etymologische Wörterbuch des Deutschen für mich sprechen!

„Kunst f. … Als Verbalabstraktum mit sti-Suffix (s. auch Gunst von gönnen) zu dem unter können (s. d.) dargestellten Verb ist ahd. kunst (9. Jhdt.) mhd. asächs. mnd. kunst mnl. const von umfassender Bedeutung und bezeichnet zunächst >Wissen, Kenntnis, menschliche Befähigung, Fertigkeit, Kompetenz unabhängig von ästetischem Anspruch. …“

Mehr kann ich dazu nicht sagen.
Mit freundlichem Gruß
Fritz Ruppricht

Na ja, stimmt schon, was die Etymologie angeht ist das was Du schreibst zutreffend. Nicht so sehr, den Kontext betreffend, in dem das Wort benutzt wird.
Ich dachte mehr an den Menschen als Schöpfer (war es der Homo Faber ?), also an eine stärker philosophisch motivierte Herangehensweise, etwa nach dem Motto „wenn mans kann, ists keine Kunst“. War ein wenig eine spontane Reaktion auf Deinen Artikel. Nichts für ungut,
Gruß,
Markus

… außerdem heißt es Qnst !