Was ist Leben?

Hallo!

Inspiriert durch einen Thread weiter unten über die Arsen-Bakterien und die Frage ob DNA DAS Bio-Molekül schlechthin ist, sowie durch einen aktuellen Artikel in der Naturwissenschaftlichen Rundschau über Bakteriophagen möchte ich hier eine Frage aufwerfen, die eigentlich schon längst geklärt sein sollte. Sie ist es aber wohl immer noch nicht, denn es ist auch eine philosophische Frage: Was ist Leben.

Klar, wir kennen alle diese Liste von Aspekten des Lebens (Wachstum, Fortpflanzung, Stoffwechsel, Interaktion mit der Umwelt, Evolution, Organisation in Zellen, …), aber irgendwie ist das noch keine echte Definition.

In dem oben angeführten Artikel wurde die These vertreten, Viren bzw. Bakteriophagen seien nun doch Lebewesen. Die Begründung ist genauso genial wie beunruhigend: Das was wir bisher als das Virus angesehen haben, die Virionen (=Viruspartikel), sei in Wirklichkeit nur die Fortpflanzungseinheit des Virus. Würde man ein Virion mit dem Virus gleichsetzen, so würde man den gleichen Fehler machen, wie wenn man einen Menschen mit einem Spermium gleichsetzen würde. Somit wäre das gesamte Krankheitssyndrom der Phänotyp des „Lebewesens“ Virus, das sich über Viruspartikel von Wirtszellen fortpflanzen ließe.

Nun bin ich hin- und hergerissen, ob ich dem zustimmen kann. Auf der einen Seite hat es eine bestechende Logik. Auf der anderen Seite müssten wir die stoffliche Identität eines Lebewesens als Grundvoraussetzung aufgeben.

Wie denkt Ihr darüber?

Wer es nachlesen möchte: Rohde, Sikorsky: „Bakteriophagen: Vielfalt, Anwendungen und ihre Bedeutung für die Wissenschaft vom Leben“, Naturwissenschaftliche Rundschau 1/2011

Michael

Hallo,

Auf der
anderen Seite müssten wir die stoffliche Identität eines
Lebewesens als Grundvoraussetzung aufgeben.

Anders herum: Wir müssen die Vorstellung von einem Lebewesen als stofflich abgrenzbares Gebilde aufgeben.

Ich denke, unser Problem liegt darin, dass wir Leben definieren, indem wir gerade solche sofflich abgrenzbare Gebilde betrachten. Über die Vererbung haben wir es notgedrungen schon geschafft, die zeitliche Begrenztheit etwas aufzulösen; hier steht nicht mehr das individuelle, existierende Lebe*wesen* im Vordergrund, sondern die „Art“ bzw. die „Keimlinien“.

Ich visioniere den nächsten Schritt, dass aus den Linien eben Netze werden, und dass auch der Stoffwechsel als ein Netzwerk zwischen den Individuen und über die Arten hinweg betrachtet werden wird.

Wir hatten das vor einiger Zeit schonmal hier im Brett. Dabei wurde auch diskutiert, was zB. ein Mensch sei. Gehören die Extremitäten dazu? Ohne könnte man ja auch leben. Gehören die Darmbakterien und die Hautbakterien dazu? Ohne sie könnte man nicht leben. Ein Mensch ohne die Bakterien kann nicht sein. Genausogut kann kein Mensch sein ohne andere Menschen und ohne Nahrung und so vieles andere. Letztlich ist die isolierte Vorstellung eines „puren“ Menschen nicht mehr hilfreich, um zu verstehen, was der Mensch ist, denn er ist nur zusammen und in Bezug mit allem anderen, und zwar die Entwicklungsgeschichte (Phylo- und Ontogenese) eingeschlossen.

Die Logik der Natur ist „fuzzy“. Es gibt fließende Übergänge zwischen Genomen und Stoffwechseln, im Raum wie in der Zeit.

So, mal als Anregung :smile:

VG
Jochen

Hallo! Nebenaspekt: Nichtirdisches Leben? mfG

Hallo Jochen,

Die Logik der Natur ist „fuzzy“. Es gibt fließende Übergänge
zwischen Genomen und Stoffwechseln, im Raum wie in der Zeit.

Genau, finde ich auch, das geht schon bei der Festlegung des sogenannten „Individuums“ los. Sind die Kolonien der Moostierchen z.B. das Individuum oder ist jedes einzelne Tierchen ein eigenes Individuum? Bei derartigen Organisationssystemen können wir eigentlich nur sozusagen künstlich festmachen, was als Individuum anzusehen ist.

Aber um auf die Frage von Michael einzugehen: Meiner Ansicht nach dürften wir alles als Lebewesen ansehen, was aus der Evolution hervorgegangen ist (vorausgesetzt, daß es monophyletisch entstanden ist; aber vielleicht dürfen wir das ja zumindest solange nichts genaueres über den Ablauf bekannt ist, als per definitionem annehmen).

Grüße
Peter

Hallo Michael,

was „Leben“ ist, ist sehr vielschichtig und auch allein schon auf der Erde sehr formenreich und wie Jochen schon schrieb schwierig festzulegen. Ich selbst traue mir das nicht zu. Aber wir können die Schwierigkeit einer gesamten Definition des Lebens umgehen, indem wir sozusagen mathematisch mengentheoretisch zusammenfassen, was als „Lebewesen“ bezeichnet werden darf. Das ist im Sinne der Phylogenetik die gesamte Gruppe von Abstammungseinheiten, die aus der Entwicklung zu einem „lebenden“ Organismus hin hervorgegangen ist. Wir brauchen dann dazu nur ein eindeutig als „lebendig“ eingestuftes Individuum zu kennen, um die gesamte Abstammungsgemeinschaft als „Lebewesen“ bezeichnen zu können.
Ich hoffe, du verstehst mein Anliegen; ich möchte gerne die philosophischen und anderen Schwierigkeiten eliminieren, da sie ja die Definition von Leben ins Uferlose führen würden. Daher finde ich eine (wenngleich auch ein bißchen subjektiv beeinflußte)willkürliche Festlegung noch immer besser, als zu versuchen, alle Aspekte des Lebendigen mit ihren Übergängen zu erfassen.

schöne Grüße
Peter

Hallo Michael,

Inspiriert durch einen Thread weiter unten über die
Arsen-Bakterien und die Frage ob DNA DAS Bio-Molekül
schlechthin ist, sowie durch einen aktuellen Artikel in der
Naturwissenschaftlichen Rundschau über Bakteriophagen möchte
ich hier eine Frage aufwerfen, die eigentlich schon längst
geklärt sein sollte. Sie ist es aber wohl immer noch nicht,
denn es ist auch eine philosophische Frage: Was ist Leben.

dazu kann ich als erstes nur ein vernichtendes Urteil über die Philosophen absondern, seit die Philosphie sich von den Wissenschaften abtrennten: Philosophie ist die bequemste Art, sich ein Bild von der Welt zu schaffen, man muss nicht nachsehen, forschen etc., man muss nur nachdenken. Ist natürlich von irgendwo geklaut, hab aber vergessen, woher.

Klar, wir kennen alle diese Liste von Aspekten des Lebens
(Wachstum, Fortpflanzung, Stoffwechsel, Interaktion mit der
Umwelt, Evolution, Organisation in Zellen, …), aber
irgendwie ist das noch keine echte Definition.

Es ist aber ein echtes Phänomen. Und so offensichtlich und allgegenwärtig, dass man Mühe hat, die Besonderheiten zu definieren.

Wobei m.E. die Unterscheidung zwischen Leben und Lebewesen nicht klar genug herausgearbeitet wurde. Nicht nur Lebewesen unterliegen einer Evolution, sondern auch einzelne Gene, Plasmide (Gensammlungen, bekannt durch die Resistenzvermittlung gegen Antibiotika, verbreitetet in Krankenhauskeimen).

In dem oben angeführten Artikel wurde die These vertreten,
Viren bzw. Bakteriophagen seien nun doch Lebewesen. Die
Begründung ist genauso genial wie beunruhigend: Das was wir
bisher als das Virus angesehen haben, die Virionen
(=Viruspartikel), sei in Wirklichkeit nur die
Fortpflanzungseinheit des Virus. Würde man ein Virion mit dem
Virus gleichsetzen, so würde man den gleichen Fehler machen,
wie wenn man einen Menschen mit einem Spermium gleichsetzen
würde. Somit wäre das gesamte Krankheitssyndrom der Phänotyp
des „Lebewesens“ Virus, das sich über Viruspartikel von
Wirtszellen fortpflanzen ließe.

Also eine Krankheit als Lebensform? Das ist eine Ausgeburt von Leuten, die an krankhafter Unterbeschäftigung leiden, und das auch noch genießen.

Immer sind die Grenzen fließend. Niemand bestreitet, dass es Ozeane gibt, aber keiner kann auf den Millimeter definieren, wo diese anfangen.

Genau so gibt es Leben, und das ist grundsätzlich durch Lebewesen gekennzeichnet. Von der Ursuppe mit allerlei Reaktionen hat es sich durch eine gezielte Entwicklung eben durchgesetzt.

Dass sich neben Lebe"wesen" auch wesenloses Leben bis heute erhalten hat, ist ein Abfallprodukt. Und davon ab nicht ganz zu vernachlässigen:
Viren (und Bakterien? - Menschen sowieso) bauen auch mal fremde Gene in ihr Erbgut ein und können diese auch übertragen. Das ist eine Möglichkeit des Genaustauschs zwischen nicht kreuzbaren Arten.
Dass Viren (vom Opfer) zugelassen werden, könnte also nicht nur ein Unfall, sondern auch ein Kompromiss sein.

Nun bin ich hin- und hergerissen, ob ich dem zustimmen kann.
Auf der einen Seite hat es eine bestechende Logik. Auf der
anderen Seite müssten wir die stoffliche Identität eines
Lebewesens als Grundvoraussetzung aufgeben.

Also wenn’s darum geht, eine Krankheit als Lebewesen zu werten, es ist Schwachsinn. Es erinnert mich an Versuche von Journalisten, einen wissenschaftlichen Artikel zu schreiben. Sie geben sich alle Mühe, saugen jedes Wort auf, aber scheitern - und haben nicht mal den Anstand, ihren Beitrag einer Revision zu stellen. Wenn ich für jeden Fehler im Spiegel (den ich entdecke!) 100€ bekäme, hätte ich ein paar 1000 € mehr.

Wer es nachlesen möchte: Rohde, Sikorsky: „Bakteriophagen:
Vielfalt, Anwendungen und ihre Bedeutung für die Wissenschaft
vom Leben“, Naturwissenschaftliche Rundschau 1/2011

Nun ja, in der Bibliothek war ich nicht. Ich gehe nur von dem aus, was du gefragt hast. Die Übeschrift ist jedenfalls eher reißerisch, Bakteriophagen sind ein alter Hut.

Gruß, Zoelomat

Hallo!

Eine verführerische Idee:

Wir brauchen dann dazu nur ein eindeutig als „lebendig“
eingestuftes Individuum zu kennen, um die gesamte
Abstammungsgemeinschaft als „Lebewesen“ bezeichnen zu können.

Leider hat die Sache einen ganz gewaltigen Haken:

Alle Pflanzen bilden eine Abstammungsgemeinschaft, ebenso alle Tiere (wobei die Zuteilung bei den Einzellern bisweilen schwierig ist). Alle Eukaryoten bilden eine Einheit, weil sie aus einem Lebewesen hervorgegangen sind, das irgendwann mal sein Erbgut in einem Zellkern verpackt hat. Alle zellulären Lebewesen bilden eine Abstammungsgemeinschaft (man erkennt das an der Universalität des genetischen Codes). Die Viren müssen wir auch noch irgendwie dazuzählen (Wie sie entstanden sind, weiß kein Mensch, aber sie bedienen sich offensichtlich derselben Sprache wie die Bakterien und die Eukaryoten. Irgendwie existierten die letzten gemeinsamen Vorfahren all dieser „Lebewesen“ in der Ursuppe, doch wer waren diese Vorfahren? Es waren irgendwelche Existenzen, die … ja, was eigentlich?

An dieser Stelle muss man nach Deiner Idee entweder sagen, dass die unbelebte Natur mit der belebten Natur eine Abstammungsgemeinschaft bilden. Dann ist nach Deiner Definition ALLES Leben (sicherlich eine wenig brauchbare Definition). Oder Du musst eine Grenze ziehen, wo die Evolution der „Lebewesen“ anfing.

Und genau um diese Frage geht es ja: Wo hört die unbelebte Natur auf, wo fängt die belebte Natur an?

Michael

Hallo Michael!

Irgendwie existierten die letzten gemeinsamen Vorfahren all
dieser „Lebewesen“ in der Ursuppe, doch wer waren diese
Vorfahren? Es waren irgendwelche Existenzen, die … ja, was
eigentlich?
An dieser Stelle muss man nach Deiner Idee entweder sagen,
dass die unbelebte Natur mit der belebten Natur eine
Abstammungsgemeinschaft bilden. Dann ist nach Deiner
Definition ALLES Leben (sicherlich eine wenig brauchbare
Definition). Oder Du musst eine Grenze ziehen, wo die
Evolution der „Lebewesen“ anfing.
Und genau um diese Frage geht es ja: Wo hört die unbelebte
Natur auf, wo fängt die belebte Natur an?

Sicherlich brauchen wir hier auch eine Grenze und in der Tat dachte ich da nicht weit genug; es schien mir nur irgendwie einfacher zu sein, an der Wurzel des Lebens das Problem zu fassen, aber du hast natürlich recht, wir wissen dazu noch viel zu wenig von der Evolution in den Anfangsstadien.

Grüße
Peter

Auch Hallo,
imo werden hier das menschliche Bedürfnis, alles in Schubladen zu stopfen und ‚einfache‘ Erklärungen zu bekommen mit einer wissenschaftlichen Sichtweise vermengt.

… eine Frage aufwerfen, die eigentlich schon längst
geklärt sein sollte.

Warum sollte sie das? Und für Biologen ist sie das auch. Nur gefällt die prosaische Antwort halt nicht jedem.
Ganz einfach:
Etwas lebt wenn es

  • Energie wandelt - also einen Stoffwechsel hat
  • eine genetische Einheit darstellt
  • sich fortpflanzt (und dabei Information weitergibt)
  • evolviert

dann bleibt noch das Level zu bestimmen:

  • Zelle
  • Zellverband (Gewebe)
  • Individuum
  • Art
  • Population

Da allerdings auch hier wieder das Problem der Abgrenzung besteht - das allerdings nur des Menschen Problem ist, gibt es ‚Grauzonen‘ und werden z.B. Viren von manchen als nicht lebend (keinem Stoffwechsel) und von anderen als lebend eingestuft (genetische Einheit, pflanzt sich fort, evolviert)

Sie ist es aber wohl immer noch nicht,
denn es ist auch eine philosophische Frage: Was ist Leben.

hmm, na ja, insofern, dass man über Definitionen einig werden muss. Z.B. ob ‚Leben‘ mehr oder weniger wert sein kann. Gilt die ‚Potenz‘ schon oder muss auch verwirklicht werden? usw.

…irgendwie ist das noch keine echte Definition.

Was wäre denn deiner Ansicht nach eine ‚echte‘ Definition?

…Viren bzw. Bakteriophagen seien nun doch Lebewesen.

Ja, und? Warum nicht?

… müssten wir die stoffliche Identität eines
Lebewesens als Grundvoraussetzung aufgeben.

Warum müssten wir das? Ein Virus ist zwar klein - aber doch ‚stofflich‘ Ohne ‚stofflich‘, ist nichts.
Ein Mensch der sich nicht fortpflanzt wird doch wohl ohne Probleme als ‚lebend‘ akzeptiert. Dann kann man ein Virus als lebend akzeptieren, obwohl es keinen (eigenen) Stoffwechsel hat.
Ein Fötus hat auch keinen eigenen Stoffwechsel - auf Individuen-Niveau.

Menschen werten - ein Pantoffeltierchen ist ‚weniger‘ wert als eine Kuh, eine Kuh weniger als ein Mensch, ein Moskito ist ein ‚Schädling‘ ein Virus eine ‚Krankheit‘ usw.
Diese Art der Wertung gibt es in der Natur nicht. Etwas das sich behaupten kann, das mit der Umwelt zurecht kommt, Energie wandelt, sich fortpflanzt… kommt mit der Umwelt zurecht, wandelt Energie und pflanzt sich fort. Und wenn es aufhört das zu tun - nimmt etwas anders seinen Platz ein - oder nicht.
Keinen Sinn. Damit haben Menschen so ihre Schwierigkeiten -
sinnlose Grusele…lux