Was ist, wenn die Tat zu dem Zeitpunkt keine Straftat war?

Gerade sehe ich die Sendung „die spektakulärsten Kriminalfälle“.

Da stellt sich mir folgende Frage.

Wenn jemand eine Tat begeht, die zu diesem Zeitpunkt nach geltendem Recht gar keine Straftat war, wieso kann er dann Jahrzehnte später dafür bestraft werden?

(Kein aktueller Fall aus der Sendung)

Aber gestern habe ich der Vorleser gesehen und mich da schon gefragt, wieso das so ist.

Eine Arbeiterin aus einem KZ die damals nur ihrem Job nachgegangen ist, wodurch Menschen ermordet wurden (es geht hier nicht um moralische sondern rein juristische Bewertung), wieso kann sie heute dafür bestraft werden? Denn zu dem Zeitpunkt damals war es ja schließlich keine Straftat.

Hallo,

Mord war auch im Dritten Reich eine Straftat. Der Paragraph 211 im Strafgesetzbuch ist sogar wesentlich älter:

Daher ist eine Verurteilung heute für damalige Taten durchaus möglich.

Gruß,
Steve

Nur wieso konnte es dann offiziell ihre Arbeitsaufgabe sein?

Aber unabhängig von dem konkreten Beispiel, was ist mit Taten die zu dem Zeitpunkt legal sind, 5 Jahre später verboten, kann man dafür rückwirkend bestraft werden?

Leider fällt mir kein Beispiel ein. Vielleicht etwas aus der IT, die ja immer mehr voranschreitet. Da werden die Gesetze laufend verfeinert.

Du findest alles zu diesem Thema unter dem Grundsatz Nulla poena sine lege:

Siehe:

Weil das Deutsche Reich in der Nazizeit ein Unrechtsregime war. Deswegen konnte der Dienst in diesem Regime auch ein Verbrechen sein. Sowohl aus juristischer als auch aus moralischer Sicht.

Nein. Es gibt ein Rückwirkungsverbot in unserem Rechtssystem.

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Nein, natürlich nicht.
Damit wäre ja jede Rechtssicherheit aufgehoben.

Hi-

Natürlich war es eine Straftat, nur gedeckt durch einen Unrechtsstaat.
Wir leben aber im Heute und Jetzt, also sind auch geltende Rechtssprechung und Gesetze anzuwenden.
Letztlich gab es auch kurz nach dem Ende dieser Diktatur die z.B. Nürnberger Prozesse. Auch werden bis heute noch überlebende Verbrecher abgeurteilt. Das ist auch gut so und völlig berechtigt.

Durch deinen Link bin ich noch auf diese Seite gekommen:

Darin wird beschrieben, dass man nicht rückwirkend bestraft werden kann, wenn es zu dem Zeitpunkt keine Straftat war.

Aber in der Praxis sieht es doch oft anders aus?

Weil man es in Diktaturen mit dem Recht eben nicht so genau nimmt.

Die hatten aber oft keine Wahl. Entweder sie parieren, oder werden selbst ermordet. Also machen sie brav das, was man von ihnen verlangt.

Zudem haben sie persönlich niemanden auf dem Gewissen, denn wären nicht sie diejenigen gewesen, die die Taten ausgeführt haben, hätten sich die Auftraggeber halt jemand anderen dafür gesucht.

Gerade weil es ein Unrechtsregime war, können doch die einzelnen Bürger erst recht nichts dafür, die nur die Marionetten der Staatsgewalt waren.

Wieso werden sie heute dann dafür bestraft?

Finde ich gar nicht, viele wurden dazu gezwungen, andere umzubringen, sie hatten keine Wahl! Wieso sollten sie dafür bestraft werden, sie waren nur die ausführenden die selbst ermordet worden wären, wenn sie sich geweigert hätten.

Was du schreibst, wir leben im hier und jetzt, das ist doch genau meine Frage.

Heute wird etwas bestraft, was damals erlaubt war. Wie kann das sein??

Diejenigen hatten ja nicht zu erwarten, dass eine Strafe droht.

So gesehen müsste man ja dauernd damit rechnen, in 10 Jahren bestraft zu werden für Dinge, die man heute ganz legal getan hat.

Finde ich unlogisch!

Sie hatten eigentlich immer eine andere Wahl. Das schlimmste was passieren konnte waren Versetzungen an die Ostfront, aber oft war es nur Spot der Kameraden dass man ein Weichei ist.

Keine andere Wahl hatte man oftmals kurz vor Ende des Dritten Reichs, da wurde dann tatsächlich wahllos abgeknallt.

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Nein, du irrst. Mord, oder auch Beihilfe zu diesem war auch damals eine Straftat.

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Dann liegt das Problem halt wo anders, aber immer noch nicht beim Bürger.

Die staatliche Gewalt (damals das Unrechtsregime) macht also die Bürger zum Auftragskiller, während der Staat gleichzeitig Mord bestraft.

Der Staat zwang die Leute also zu Straftaten, ist auch nicht besser, oder?

Das mit der Ostfront weiß ich nicht. Aber es werden ja heute noch oft Frauen (Senioren) hinter Gittern gebracht weil sie damals irgendwas begangen haben, was zu dem Zeitpunkt ihre alltägliche Arbeit war.

Im Rahmen der Auschwitz-Prozesse wurde immer die individuelle Schuld beurteilt. Es wurde dort und auch in der Erforschung der Gräueltaten durchaus klar, dass niemand sich beteiligen musste. Die Täter hatten die Wahl, sie hätten nur unwesentliche Folgen für die eigene Karriere tragen müssen, nichts was nur im Ansatz die Beteiligung an einem Massenmord rechtfertigen könnte. Wer nicht wollte, der wurde eben versetzt. Mittäter, die unter Zwang und unter Gefahr für das eigene Leben beteiligt waren, gab es auch, von denen wurde keiner verurteilt. Das waren meist Häftlinge, die im KZ bestimmte Aufgaben übernommen haben.

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Außer in den beschriebenen Fällen - siehe Mauerschützen oder NS-Verbrechen - wird dieser Grundsatz tatsächlich angewandt. Bekannt ist zum Beispiel, dass die ersten Börsen-Insidergeschäfte oder Computermanipulationen straffrei geblieben sind. Und zwar solange, bis der Gesetzgeber reagierte.

Klassischer Fall in der Lehre ist der des Stromdiebstahls. Eigentlich ist Diebstahl die Wegnahme einer beweglichen Sache. Was ist nun, wenn jemand eine Stromleitung anzapft und Strom klaut? Dann wird man idR nicht von Diebstahl sprechen können. Daher musste das auch unter Strafe gestellt werden:

Mein Tipp: Du hast jetzt schon viele Infos und Links bekommen. Recherchiere erstmal in Ruhe und wenn du danach noch Fragen hast, wird man diese sicherlich beantworten können.