Hallo,
ich befürchte, du bist gerade auf dem Weg, aus einem normalen kindlichen Verhalten ein Problem werden zu lassen. Dass Kinder lügen, gehört zur normalen Entwicklung eines geistig und seelisch gesunden Kindes. Autistische Kinder beispielsweise können weder lügen, noch Lügen erkennen oder gar verstehen.
Im Alter von sechs Jahren geht es beim Lügen noch stark darum, sich auszuprobieren und Anerkennung zu bekommen. Die Sache mit den Flips zeigt, dass dein Sohn geistig in der Lage ist, zu erkennen, dass er Papa und Mama zu seinem Vorteil austricksen kann.
Es ist überhaupt kein Problem, wenn er ab und zu dabei auch Erfolg hat - im Gegenteil: Für das kindliche Selbstbewusstsein ist es durchaus förderlich, wenn das Kind hin und wieder die Erfahrung macht, dass es schlauer war, als die Erwachsenen. Wenn ihr als Eltern aus der Situation mit den Flips ebenso erfolgreich gelernt habt, wie euer Sohn, wird euch das zukünftig seltener passieren, weil ihr dann daran denkt, erst mal beim Partner nachzufragen, ob er schon eine Entscheidung getroffen hat. Damit reduzieren sich die diesbezüglichen Erfolgserlebnisse eures Junior von selbst auf ein gesundes Maß.
Die Lüge mit dem zurückgelegten Weg beim Hundegassi zeigt, dass er durchaus bereits ein Gefühl dafür entwickelt, wann es angebracht ist, die Wahrheit zu sagen. Er reagiert auf dein Nachfragen („wo?“) sofort mit der Wahrheit.
Und nun kommt der Punkt, an dem du aufpassen musst: Es darf nicht soweit kommen, dass du jeden Schritt deines Sohnes kontrollierst und ihn dann regelrecht verhörst, um herauszufinden, ob er lügt. Damit drängst du ihn in eine Ecke, aus der er sich früher oder später nur noch mit weiteren Lügen herauswinden kann.
Wenn du gesehen hast, dass er auf der Wiese war und gerannt oder nicht gerannt ist - warum fragst du ihn dann? Du signalisierst ihm damit ja bereits, dass du ohnehin an dem zweifelst, was er sagt. Das ermutigt eher zum „jetzt-erst-recht-Lügen“ als dazu, die Wahrheit zu erzählen.
Dein Sohn lügt nicht, weil er dich ärgern will oder weil er „böse“ ist. Und es reicht völlig, wenn er quasi nebenbei die Erfahrung macht, dass Lügen ihn nicht weiterbringt. Dazu muss man ihm nicht ständig vorhalten, dass er lügt.
Sinn macht auch, dir mal genau anzuschauen, wie oft du ihn am Tag belügst
. Dazu gehören auch Ausreden. Du kannst sicher sein, dass dein Sohn bei einem Teil durchaus durchschaut, dass du nicht die Wahrheit sagst.
Auch die Art der Lügen spielt eine Rolle. Wenn du merkst, dass er manche Sachen erzählt, um ein bisschen anzugeben, dann könnte das ein Zeichen dafür sein, dass er sich nicht genügend von dir/euch anerkannt und gelobt fühlt. Kinder, die dauernd geschimpft werden, neigen schnell dazu, zu versuchen, sich Anerkennung auf anderem Weg zu holen. Auch krank Spielen ist oftmals nur ein Versuch, auf diesem Weg mehr Zuwendung zu kriegen.
Und am Rande: Ein 6-Jähriger sollte niemals allein mit einem Hund (auch nicht mit einem kleinen) auf die Straße gehen. Was soll er tun, wenn z.B. ein fremder großer Hund kommt und seinen Hund angreift? Bis du unten auf der Straße bist, ist die Sache schon gelaufen. Die Verantwortung dafür, dass der Hund sein Geschäft erledigt, liegt im Übrigen bei dir, nicht bei deinem Sohn.
Schöne Grüße,
Jule