Sowohl die USA als auch Großbritannien argumentieren auf Basis einer Selbsteinschätzung, die völlig an der Sache vorbeigeht. Die britische Industrie ist praktisch nicht mehr existent und der EU-Austritt wird dem Dienstleistungssektor (und darunter insbesondere der Finanzwirtschaft, die der wesentliche Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung ist), einen schweren Schlag versetzen. Großbritannien ist mangels eigener Produktion auf Importe angewiesen, die durch den Austritt schlicht und ergreifend teurer werden.
Ähnliches gilt für die USA. Abgesehen von landwirtschaftlichen Produkten, Rüstungsgütern und Pharmaerzeugnissen hat die US-Industrie nur wenig zu bieten, an dem die Welt interessiert wäre, was nicht zuletzt auch zu den durchaus großen Handelsdefiziten geführt hat. Wenn die USA nun den Import von ausländischen Produkten verteuern, trifft das vor allem die einheimischen Produzenten und Konsumenten. Waren, die man braucht, aber nicht selber herstellen kann, muß man halt auch weiterhin kaufen - nur dann zum höheren Preis.
Insbesondere die USA, aber auch Großbritannien, geben sich der Illusion hin, daß teurere Importgüter automatisch zu einer Stärkung der einheimischen Wirtschaft führen. Wenn aber die einheimische Wirtschaft bisher im Stande gewesen wäre, die Produkte zu einem ähnlichen Preis und in gleicher Qualität zu produzieren, dann hätte sie das auch schon getan. War aber nicht so. Dem gleichen Irrtum saßen die Verantwortlichen auch schon vor ziemlich 15 Jahren auf, als sie Importzölle auf ausländischen Stahl erhoben, um die einheimische Stahlindustrie zu stärken. Blöd war nur, daß die USA im wesentlichen qualitativ hochwertige Stähle importierten, während die einheimische Industrie nur billige Massenware herstellte, die zum Teil auch mit Zöllen billiger aus Indien und China zu importieren war. Das Ende vom Lied war nicht ein einziger geschaffener Arbeitsplatz in der US-Stahlindustrie, aber dafür höhere Preise für die benötigten hochqualitativen Produkte.
Zurück zu Großbritannien: May hat den Bürgern und Abgeordneten in den vergangenen Monaten verkauft, daß man aus der EU austreten könne und sich damit den Zahlungen an die EU und den Vorgaben durch die EU entziehen könnte, ohne die Vorteile zu verlieren. Daß das nicht funktioniert, liegt auf der Hand und daß sich die EU darauf nicht einläßt, ist auch vollkommen logisch. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund, daß man in der Vergangenheit den Briten um des lieben Friedens Willen (=Verbleib der Briten in der EU) die ein oder andere finanzielle und rechtliche Sonderlocke gewährt hat. Dafür gibt es zukünftig aber nicht mehr den geringsten Anlaß.
Entweder also, man tritt aus der EU aus und degradiert sich damit zum Drittland oder aber, man tritt aus und schließt anschließend Dutzende von Verträgen, die den ursprünglichen Zustand weitestgehend wieder herstellen - mit der kleinen Ausnahme, daß sich zwar GB den Vorgaben der EU unterwirft, aber keinen Einfluß mehr auf deren Gestaltung hat. Letzteres entspricht dem Weg, den u.a. Norwegen als Mitglied des EWR, aber als Nichtmitglied der EU eingeschlagen hat. Aus diesem Grunde hat auch die norwegische Ministerpräsidentin Großbritannien bereits vor diesem Weg gewarnt.
Am Ende wird Großbritannien dabei verlieren. Und was die EU-Bürger in Großbritannien und die Briten in der EU betrifft: schon in den letzten Wochen hat sich abgezeichnet, daß die britische Regierung tatsächlich bereit ist, ihren absehbaren Streit mit der EU auf den Rücken dieser Menschen auszutragen. Das ist für diese zwar sehr bedauerlich, wird aber am Ende keinen Einfluß auf die Wirtschaft Großbritanniens und erst recht nicht der EU haben. Dafür ist die Zahl der Menschen aus der EU (immerhin ganze drei Millionen) viel zu gering und die meisten von denen haben tatsächlich inzwischen (aufgrund der Aufenthaltsdauer) einen Anspruch darauf erworben, sich einbürgern zu lassen. Das gilt nicht ohne weitere für die Briten, die im Rest der EU leben.
Letzten Endes wird sich auch bei diesem Themenbereich Großbritannien mehr selber schaden als dem Rest-EU.