Was sind 'Chancissen'?

Liebe Mitwisser,

in einem Aufsatz über ein Nonnenkloster, das nach der Reformation in ein freiweltliches Damenstift umgewandelt wurde, las ich den Begriff „Chancissen“.
Dem Zusammenhang nach ist klar, dass es sich um die Insassinnen dieses Stifts handelt, doch möchte ich gern wissen, woher dieses Wort kommt und was es bedeutet.
Weder das Netz, noch irgendein französisches Lexikon, noch mein geliebter Brockhaus von 1896-99, der mir sonst bei diesen Fragen unschätzbare Dienst leistet, sind hilfreich.
Kann mir einer von Euch helfen?

Gruß - Rolf

Hallo Rolf,

ein Spottname aus der Reformationszeit für Zisterzienserinnen oder Norbertinerinnen oder sonst einen Orden mit komplett weißem Habit für Frauen, von „chancir“ = „verschimmeln“, kann das nicht sein?

Oder gar bloß ein Kopierfehler zu „Clarissen“ (OSC)? - wenn der Text irgendwann von jemandem aus Deutsch Kurrent transskribiert worden ist, der nur lateinische Kurrentschriften kannte, kann das deutsche „r“ für alle möglichen Interpretationen gut gewesen sein: Es lässt sich mit den zwei parallelen Ab- und Aufstrichen leicht als zwei Buchstaben lesen, wenn mans nicht kennt.

Eine Ableitung von dem Ortsnamen Chancy kommt jedenfalls nicht in Frage, weil dort zu keiner Zeit ein Stift oder sonst ein Sitz einer Kongregation war, die sich danach hätte bezeichnen können; auch besondere Wunder, Erscheinungen oder Martyrien als Namensgeber für eine Kongregation sind für diesen Ort nicht überliefert. Für - schon ziemlich weit hergeholt - Chagny gibt es auch nichts, wonach sich ein Frauenorden bezeichnen könnte.

Kurz: Wissen tu ichs nicht. Aber vielleicht führen die beiden oberen speculationes irgendwo hin?

Schöne Grüße

Martin

Danke, lieber Blumepeder, für diesen Versuch.
Dass es eine Verlesung sein könnte, schließe ich aus, weil der Autor sehr viel über mittelalterliche und frühneutliche Geschichte geforscht und publiziert hat.
Chancir? - Welche Farbe hatte die Tracht der Augustinerinnen? War die nicht schwarz? Da dürfte die Ableitung nicht in Frage kommen.

Aber vielleicht it es eine Form von Kanonissen?

Gruß zurück!- Rolf

Hallo Rolf,

Chancir? - Welche Farbe hatte die Tracht der Augustinerinnen?
War die nicht schwarz?

Ja, schwarz mit einem weißen Wimpel - dieser ist heute auf einen kleinen weißen Kragen zusammengeschrumpft.

Aber vielleicht it es eine Form von Kanonissen?

Das könnte - nach Umwegen z.B. über Flandern, wo von beiden Nachbarsprachen Entlehntes durchaus kreativ verarbeitet wird1 - vielleicht sein: die französische „chanoinesse“ hat immerhin den merkwürdigen „chan-“ Anlaut. Würde auch zu Augustinerinnen als Chor- oder Stiftsdamen passen. Aber der „o“- oder „oi“-Vokal ist eigentlich zu dunkel, als dass man ihn einfach fallen lassen könnte.

Ach schade, dass ich meinen Kontakt zum CERP ganz habe einschlafen lassen - bei den gelahrten Prämonstratensern hätte es bestimmt einer gewusst. À propos: Warum eigentlich nicht nach Wilten, Geras, oder Windberg schreiben? Da sitzt doch geballte Kanonikergelehrsamkeit jeweils auf einem Nest beieinander.

Schöne Grüße

Martin


1)In der schnöden Buchhalterei fand ich es ganz amüsant, die Nebenbücher eines belgischen Mandanten in „Klanten“ und „Leveranciers“ unterteilt zu finden: Ein französisches Wort (clients) mit deutscher Aussprache direkt neben einem deutschen Wort (Lieferanten) mit französischer Aussprache.