Danke für das Beispiel!
http://www.youtube.com/watch?v=YxzmbbOzDWQ
Bei 0:46 sagt er „fort führen“ statt „fortführen“
Nein, tut er nicht. Er betont das Wort korrekt (fórtführen), setzt aber eine etwas unpassende Lücke. Entweder weil er das Wort damit unterstreichen möchte oder weil es ein Teil dieser typischen Politikerprosodie ist. Also ja, er macht eine kleine Pause, die Betonung ist aber ziemlich eindeutig noch fórtführen, achte mal auf die Tonhöhe. Tonhöhe ist ja eines der Markierer für Wortbetonung. Ein weiterer wäre die relative Länge des Vokals, aber in „fort“ ist der Vokal ja kurz [fɔɐ̯t] und in „führ“ [fyːɐ̯] lang, da ist ein Vergleich schwierig.
und bei 4:39
„fort setzen“ statt „fortsetzen“.
Hier hört man es deutlicher, ja, er sagt „fort sétzen“, ABER du kannst das Wort nicht aus dem phonetischen Kontext reißen. Hier ist deutlich zu hören, wie er das Wort am Satzende fokussiert und jede der beiden Hauptsilben betont (die letzte Silbe -zen ist nicht betonbar), es ist also der Satzbetonung geschuldet, dass Westerwelle dieses Wort so ausspricht, nicht eines etwaigen Sprachfehlers oder Sprachwandels.
Das ist wirklich nur
beispielhaft.
Ja, es zeigt beispielhaft, wie du das raushörst, was du hören möchtest. Ich höre da typisch untypische Betonungsmuster, die in elaborierter und vorbereiteter Rede von Politikern und Nachrichtensprechern vorkommt. Du kennst das sicher gerade bei letzteren, wenn sie eine Pause etwa vor der letzten hervorgehobene Silbe (auf die Satzintonation bezogen) im letzten Satz eines Themas machen und damit das Ende des Themas… ankündigen.
Das passiert auch bei Herrn Westerwelle.
Ich höre in letzter Zeit immer wieder derartige
Unsäglichkeiten. Ich nenne das „Modernitätsgeschleime“
Wieder so ein Wischiwaschi-Ausdruck, der mehr über deine Einstellung aussagt als über das, was du damit zu beschreiben versuchst. Für mich ist das nur eins der typischen Merkmale der Redeweise von Politikern und anderen Personen, die sich möglichst gewählt ausdrücken möchten im öffentlichen Leben (also z.B. Nachrichtensprecher, Moderatoren, einige Professoren usw.).
, also
„denglisch“: „trendyness“.
Trendy? Hmm… glaube ich nicht. Und mit Denglisch könnte es kaum weniger zu tun haben.
Es spricht übrigens Bände, daß
unter Jugendlichen das Wort „cool“ häufig synonym gebraucht
wird für „trendy“.
Ja, das ist eine der Hauptbedeutungen von „cool“. Dürfte auch in jedem guten Wörterbuch so drinstehen.
Man will offenbar als „fortschrittlich“
angesehen werden und schleimt sich dafür mit derartigen
Idiotismen bei seiner fortschrittshörig-dummen Klientel ein.
So entsteht Jargon, also auch Fachsprache. Dazu gehören auch deine polemische Phrasendrescherei und deine hohlen Wortschöpfungen, mit denen du dir gerne bei Ähnlichdenkenden Applaus erhoffst. Sie sind ebenfalls ein Abbild dafür, dass du als etwas gelten möchtest, eine versuchte Abgrenzung von den anderen. Du erwartest damit (vielleicht nur unterbewusst), dass jemand deine Worte liest und denkt: „Richtig, gute Wortwahl, denk ich genau so!“; auf Andersdenkende (und die sind zumindest hier in der Überzahl, weil das hier eben kein Kneipenstammtisch ist) hat das eher die gegenteilige Wirkung, wie du an meiner Reaktion sicher längst bemerkt hast.
Übertrag das auf die Jugend und du erkennst das gleiche: Wortneuschöpfungen, um sich als Gruppe (z.B. Jugendliche allgemein, oder die Bolzer-Crew oder halt nur die Kumpels von Ronny und Maik) von anderen abzugrenzen, die finden das toll, erkennen sich darin wieder und die außenstehenden finden das albern, bescheuert oder verstehen’s gar nicht. Oft schwingt aber auch die Hoffnung mit, die Gegenpartei bzw. die Außenstehenden schließen sich allein schon durch die Wortwahl deren Gesinnung an. Klappt manchmal, aber nicht immer.
Stell dir vor, ich hätte den Abschnitt hier noch mit linguistischem Fachjargon belegt, hätte noch öfter von Prosodie, Semantik und Pragmatik geredet oder die Theorie der Unsichtbaren Hand reingebracht, mit Wörtern wie Hyponyme und Hyperonyme, Initialbetonung um mich geworfen, als wüsste jeder was das ist — dann würden andere Linguisten sicher denken: ja, genau das sind die Phänomene, die auf Uwe (bzw. andere) zutreffen! Aber du würdest mich möglicherweise für einen Angeber halten, für einen, der mit großen Worten um sich wirft (manchmal passiert mir das unbewusst) hinter denen eventuell nur heiße Luft steckt, weil du die Wörte vielleicht selbst nicht verstehst.
Ich schweife wieder einmal ab. Wir waren bei Westerwelle — das ist ein Politiker, der gelernt hat, sich sehr gewählt auszudrücken, ein Mann, der mit Worten Wirkungen erziehlen will, genauso wie auch du, wenn du andersdenkende Sprecher als dumm, amerikahörig, ungebildet usw. bezeichnest. Ich habe dich nie sprechen hören, vielleicht verwendest du auch ein bestimmtes Betonungsmuster (damit meine ich die Satzbetonung, nicht die jedes einzelnen Wortes), d.h. Prosodie, um deinen Beschimpfungen Nachdruck zu verleihen. Vielleicht klingst du dann besonders arrogant oder abschätzig, weil du unterbewusst hoffst, dass man gegen solche inbrünstig und mit absoluter Sicherheit ausgesprochenen Aussagen nur mit Mut und eigenen Argumenten etwas sagen kann… keine Ahnung. Aber auch Politiker tun dies. Möglicherweise möchte Westerwelle gerade in dem zweiten Satz, wo er „fortsetzen“ sagt, möglichst bestimmt und sicher rüber-kommen, und tut deshalb diese Überbetonung und die kleine Pause in das Wort ein-fügen. Ist auf alle Fälle ein übliches Stilmittel in elaborierter Rede.
Ich empfinde das auch oft als affektiertes Gehabe, vor allem dann, wenn man leicht den Grund dieser speziellen Aussage durchschaut, aber es erziehlt dennoch oft seine Wirkung.
Wir sind alle keine Roboter oder Sprachsynthesizer, die jedes Wort dudenkonform betonen und aussprechen. Wenn es die Pragmatik verlangt (jetzt verwende ich das Wort, denn ich bin mir sicher, du weißt, was es bedeutet) und das Verständnis erlaubt, kann die Satzbetonung die Wortbetonung durchaus außer Kraft setzen und verändern. Das hast du zweimal schön gezeigt.
Wenn du noch mehr Beispiele findest, kannst du sie gerne hier posten. Damit zeigst du uns ja nur, dass du in sehr engen Schubladen denkst (bezogen auf die Aussprache: „es gibt nur ein richtig, und wer das nicht einhält, ist halt dumm oder ein Angeber“), vor allem auch, da du keine anderen Möglichkeiten in Betracht zu ziehen scheinst. Ich finde, gerade Satzbetonung ist nun nichts übelst linguistisch-fachwissenschaftliches, sondern ein ziemlich intuitives Konzept. Noch eine Möglichkeit habe ich nicht angesprochen: Sprachfehler. Jeder macht sie, auch Politiker, es könnte sich im ersten Fall (fortführen) auch um eine kurze Verwirrungs- oder Denkpause handeln, eine sehr kurze Wortfindungsstörung.
Vielleicht tust du das jetzt aber auch alles ganz schnell als alberne Ausreden ab, mit der ich dich bloßstellen möchte oder vllt. mit der ich den Sprachverfall mal wieder wissenschaftlich als Sprachwandel verkaufen will, weil ich eben ein verblendeter amerika- und/oder obrigkeitshöriger Jugendlicher (mit 26 zähle ich mich noch dazu) bin.
Das alles geschieht latent und subtil und wird nie
thematisiert. Gerade deshalb können diese Phänomene der
Dummheit diese „dum(m)pfe Wucht“ entfalten.
Richtig, das alles geschieht sehr subtil, da man für gewöhnlich nicht auf sowas wie Satzintonation und deren Wirkung achtet. Siehe da: auch du hast es nicht bemerkt und auf der Wortebene herumgesucht.
Dass es nie thematisiert wird, ist jedoch nicht wahr. Wir thematisieren diese Phänomene, und haben sicher beide nicht nur hier bei WWW Diskussionen über derartige Themen. Bei mir sind solche Dinge Studium, Hobby und hoffentlich auch mal fester Beruf (also, Forschung, nicht Werbebranche oder Politik oder sowas).
Das Problem, das
du ansprichst, wäre so ein Beispiel, aber wie gesagt habe ich
das noch nie gehört, daher bin ich ein bißchen skeptisch, ob
es diese Veränderung wirklich gibt.
S. o. Meinst du, ich erzähl hier Märchen, oder was? Bist du
nicht weit weg, in China?
Nein nein, ich unterstelle dir keine Lügen. Aber engstirniges Schubladendenken und einen Tunnelblick, was das angeht. Den hast du hier bisher sehr oft bewiesen.
Aber vielleicht möchtest du mir ähnliches vorwerfen, denn ich wäre vermutlich nicht auf die schon etwas weiter hergeholte These gekommen, Herr Westerwelle spräche aus purer Unwissenheit zwei zumindest in der Politik so völlig alltägliche Wörter einfach falsch aus, weil sie in seinem mentalen Lexikon irgendwie als jeweils als zwei Einzellexeme gespeichern sind, die zufällig zusammen auftreten, und bei denen der Teil „fort“ von seiner Wortart schon alleine keinen Sinn macht. Also, vielleicht liest du es aus meiner virtuellen Satzintonation heraus: ich finde deine These ziemlich gewagt, ja sogar abstrus.
Ich habe derartige Beispiele nie gehört, und ich achte als Linguist mit einem Schwerpunkt in der Phonetik auf solche Dinge, normalerweise. Daher meine Skepsis. Und auch in den beiden Beispielen gibt es wie du siehst, viel naheliegendere Lösungen.
Ich hätte zu dem Thema noch tausend weitere Gedanken, die nicht nur bei „Der spricht das falsch aus, weil er dumm ist.“ enden, ich könnte da das Beispiel mit der sonderbaren Betonung „Alt_gríe_chisch“ anbringen, aber das ufert aus.
(falls du so eine Diskussion privat führen möchtest, geb ich dir gerne meine E-Mail-Adresse; da kann ich gerne noch ausführlicher schreiben; ich versuche mich [oft vergebens] hier im Forum etwas in der Ausführlichkeit zurückzuhalten)
Grüße,
P.S.: Ich bin seit August wieder im Lande. Falls das irgendwie noch in meiner ViKa steht, dass ich noch in China weile, muss ich das mal ändern…