Die Kapillarwirkung beruht einzig und
allein auf der Adhäsion.
… und Kohäsion. Adhäsion und Kohäsion (Oberflächenspannung) besorgen den Antrieb, die Kohäsion alleine den Nachschub. Gleichzeitig bildet beides auch einen Widerstand, der den freien Fluss behindert: Wassermoleküle befinden sich an der Grenzschicht (Adhäsion) und behindern benachbarte Wassermoleküle (Kohäsion) am freien Fluss.
Die maximale Höhe der Wassersäule in einer idealen Kapillare beträgt
h = (2 * σ * cos δ) / (ρ * r * g)
h: Höhe in m
σ: Kapillarität von Wasser (20°C) = 0,073 N/m
δ: Randwinkel = 0° (bei vollständiger Benetzung)
ρ: Dichte von Wasser = 1000 kg/m³
r: Radius des (runden) Kapillarlumens
g: Gravitation = 9,81 m/s²
Umgeformt und für 10 m Höhe nach r aufgelöst:
r = (2 * σ * cos δ) / (ρ * h * g)
= (2 * 0,073 * 1) / (1000 * 10 * 9,81) m
= 1,4 µm
Demnach müsste eine Kapillare ca. 2,8 µm Durchmesser haben, damit Wasser - unter der Voraussetzung, das Leitsystem sei eine ideale Kapillare - darin bloß auf 10 m Höhe steigen würde. Die Tracheiden haben jedoch einen Durchmesser von 10 bis 400 µm (Strasburger). Die Kapillarkräfte können also auf den ersten Blick alleine nicht der Grund für die Steigung des Wassers sein. Außerdem: Was ist, wenn das Ende der Kapillare erreicht ist? Klar: Das Wasser steigt nicht weiter, es findet keine Strömung mehr statt.
Stellt man sich aber eine senkrechte Kapillare vor, deren Durchmesser sich am oberen Ende stark verjüngt (und weiter oben verjüngt bleibt), ist klar, dass die Steighöhe ab Erreichen dieser verjüngten Stelle unabhängig vom Durchmesser des darunterliegenden Kapillaranteils ist und weitaus höher sein kann. Ähnlich muss man sich das in Pflanzen vorstellen. Die Leitbündel enden irgendwo in den Blättern, wo sie von den Leitbündelscheiden- und Mesenchymzellen umgeben sind. Hier sind einige Abbildungen, die das verdeutlichen.
http://sols.unlv.edu/Schulte/Anatomy/Leaves/Leaves.html
Dabei sind die das Leitbündel umgebenden Zellen an ihrer Oberfläche benetzt und die Zellzwischenräume betragen nur noch einen Bruchteil des Durchmessers der eigentlichen Leitbündelzellen. Verdunstet Wasser von dieser inneren, mikroskopisch feinen Oberfläche, wird diese Oberfläche in die kleinen Zellzwischenräume gezogen und somit enorm vergrößert. Die Oberflächenspannung des Wassers wirkt dieser Oberflächenvergrößerung entgegen. Somit wird nach „unten“ ein größerer negativer Druck (Transpirationsssog) erzeugt, als es durch die einfache Rechnung weiter oben theoretisch möglich wäre.
Das Argument, dass Wasser höchstes 10 m hoch gezogen werden kann, weil sich sonst ein Vakuum bilden würde, gilt zwar für den Hausgebrauch, jedoch nicht immer. Jeder kennt beispielsweise den Siedeverzug, wenn Wasser in der Mikrowelle auf über 100°C erhitzt wird. Das Wasser siedet deshalb nicht, weil die Gaskeime bei sauberen Gläsern und sauberem Wasser (nahezu) fehlen. Ebenso braucht das Wasser im Xylem zum Sieden Gaskeime. Sprich: Der Wasserfaden reißt nur dann bei Höhen über 10 m ab (es bilden sich Gasblasen = Embolisation), wenn ausreichend viele Gaskeime vorhanden sind. Darüber hinaus ist der Zustand genau mit dem Siedeverzug in der Mikrowelle vergleichbar. Die Keime sind zwar tatsächlich in den Xylemzellen vorhanden (wie auch in jedem noch so sauberen Glas), jedoch in ausreichend geringer Zahl. Somit befindet sich das Wasser im Xylem hoher Pflanzen in einem metastabilen Zustand und kann unter idealen Bedingungen weit höher als 10 m gesaugt werden.
Dass an dieser Stelle kein Vakuum entsteht, verdankt das Wasser seiner hohen Zerreißfestigkeit (Wasserstoffbrücken, Van-der-Waals-Kräfte). Tatsächlich wurden unter Laborbedingungen bisher Werte von ca. 300 bar gemessen, theoretische Berechnungen betragen ein Vielfaches. Praktische Beispiele sind hier gezeigt (besonders S. 62-63):
http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=979397332&…
Mit dem Wissen, dass Luft -100 bis -1000 bar Wasserpotenzial erreichen kann, ist die Vorstellung des über 10 m hinaus reichenden Transpirationssogs plötzlich gar nicht mehr so abwegig. Dass diese Werte tatsächlich in vivo niemals erreicht werden, hängt u.a. damit zusammen, dass ständig Nachschub von unten kommt oder der Sog oben reguliert wird (Stomataschluss, Blattabwurf etc.). Ich vergleiche das mal mit einer Spritze. Theoretisch (und praktisch) kann ich in einer 10ml-Spritze mit dem Stempel ein Vakuum ziehen, wenn ich vorne den Konus zuhalte. Ist er aber ganz oder teilweise geöffnet, werde ich das Vakuum niemals erreichen. So viel zur Kohäsionstheorie.
Weiterhin sorgen die gelösten Teilchen in den Wurzelzellen für ein niedriges Wasserpotenzial (Stichwort „Osmose“). Die Wurzeln saugen sich so voll mit dem Wasser aus dem Erdreich (bis eben theoretisch der Druck der Potenzialdifferenz zwischen innen und außen erreicht ist) und geben es mit Hilfe aktiven, einwärts gerichteten Ionentransports an das Xylem ab, sodass in diesem Bereich wiederum ein Druck erzeugt wird, der die Wassersäule nach oben schiebt.
http://de.wikipedia.org/wiki/Wurzeldruck
http://books.google.de/books?id=4A4iqWJzGhUC&pg=PA18…
Bei niedrig wachsenden Pflanzen ist er u.a. für die Guttation verantwortlich.
http://de.wikipedia.org/wiki/Guttation
http://en.wikipedia.org/wiki/Guttation
Die Mechanismen des Wassertransports in Pflanzen sind noch weit von der entgültigen Aufklärung entfernt. Ich las auch einmal in einer Internet-Quelle über Versuche mit gefärbtem oder sonstwie markiertem Wasser, bei dem nur bestimmte Wurzelteile damit versorgt wurden und dieses (bzw. dessen Markierung) schließlich im ganzen Stamm zu finden war, was dem postulierten Wasserfaden widerspräche. Leider weiß ich nicht mehr, wo das war und wer’s geschrieben hat.
LG
Huttatta