Web Wide World

Mir passierte dieser unscheinbare Wortdreher.
Ich lasse ihn auf der Zunge zergehen und erschrecke über dessen Aussagekraft! Nehmt ihn doch mal wörtlich, erkennt Ihr warum dem eine gewisse Berechtigung zusteht?

Google, Wikipedia, SecondLife, Facebook etc. etc. die Welt spielt sich plötzlich im Netz ab!

Die Beziehung zwischen der „World“ und dem „Web“ hat sich seit der Enstehung des WWW so grundlegend verändert, warum also verdreht man die Wörter nicht, das würde doch nur der Verhältnismäßigkeit entsprechen :smile:

Der Cyberspace - Chance und Risiko
Hi.

Das Thema ist interessant. Vielleicht können folgende Zitate etwas Aufschluss geben:

http://sammelpunkt.philo.at:8080/59/

Die Meinungen über den sozialen und epochalen Sinn des Cyberspace gehen weit auseinander. Die einen sind begeistert und verkünden eine neue Ära für die Menschheit. Die anderen sehen darin das Ende der Aufklärung und den Beginn einer beispiellosen kulturellen Barbarei … Die potentielle universelle Verbreitung des gedruckten Wortes sowie seine Fixierung, die eine kontrollierte Kritik ermöglicht, entsprach den idealen einer sich universal wähnenden Vernunft. Dieses Ideal setzte sich vor allem vom Medium der Oralität ab…

(H.Tr.: Oralität - das ist ein informationstheoretischer Begriff: er besagt einfach nur „mündliche Überlieferung“)

… Mit dieser Absetzung kehrte die Neuzeit den antiken Begriff der Öffentlichkeit um. Freilich kannte die griechische Antike die revolutionäre Bedeutung des Mediums Schrift gegenüber der Oralität, wie dies Platon im Mythos der Erfindung der Schrift zum Ausdruck bringt. Mit dem Cyberspace scheint sich alles abermals umzukehren. Im Gewand der Cyber-Schrift leben wir in einer Zeit flüchtiger Botschaften, die den Charakter der Oralität besitzen."

Zitat ENDE.

Der Cyberspace weitet den „öffentlichen“ Raum ungemein. Abgesehen von den kriminellen Gefahren ergibt sich aber auch ein anderes Problem:

http://de.nntp2http.com/sci/theologie

"Wir haben uns durch Sprache und Bilder nicht an die Wirklichkeit angenähert.
Schon Susan Sontag verweist darauf, dass das Bild mit Abbildungsfunktion nicht
eine Annäherung, sondern eine DISTANZ zur Wirklichkeit herbeiführt.
Bemerkenswert ist, dass die zunehmende Suche nach selbstreferentiellen Bildern
in der Kunst sich fast von selbst erledigt. Die Distanz zwischen Bild und
Wirklichkeit wird so groß, dass die Referenz bald nur noch als eine Erinnerung
vorhanden sein wird…

(H.Tr.: „Referenz“ meint hier den Verweis eines Symbols auf das gemeinte Ding. „Stuhl“ ist das Symbol. Der gemeinte Stuhl, das physische Ding, ist der „Referent“.)

… Durch die zunehmende Distanz zur äußeren Welt schaffen wir unsere eigene
Wirklichkeit, eine INNERE WELT. Sie ist das Ergebnis der elektronischen Medien.
Diese sind nichts anderes als die „Erweiterungen des Zentralnervensystems“.
Bilder und Informationen verweisen nicht mehr auf etwas anderes. Sie selbst
sind die Realität. Bilder und Informationen - vom Markt organisiert und
bedürfnisorientiert produziert - ergeben kein Abbild der Wirklichkeit. Unser
Bild von der Welt -unser Weltbild - verwandelt sich zu einem Wunschbild.

Zumindest in unserem Bewusstsein verschwindet die Realität. Sie „geht im
Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen, vorzugsweise auf
der Grundlage eines anderen Mediums – Werbung, Photo, etc. – und von Medium zu
Medium verflüchtigt sich das Reale, es wird zur Allegorie des Todes …"

Zitat ENDE.

In diesem Text wird das Problem der geistigen Entfremdung des Users von der Realität angesprochen. Der Cyberspace droht zur wahren Wirklichkeit zu mutieren - während die eigentliche Realität (die Welt der Menschen und Dinge) in ein scheinhaftes Sein versinkt.

Hollywood hatte dieses Problem in zwei Movies thematisiert, basierend auf Grundideen von William Gibson, der in den 80ern den Ausdruck „Cyberspace“ einführte: die Movies waren „Johnny Mnemonic“ mit Keanu Reeves (hier machte ein Bekannter von mir die Visual Effects) und „Matrix“, wieder mit Keanu. In „Matrix“ wird das Problem radikalisiert: die Realität entpuppt sich als Cyberspace, als eine von Maschinen induzierte Scheinwelt.

Das Grundproblem ist allerdings viel älter als der Cyberspace - die Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit. Das ist ein klassisches Problem und wird eines bleiben, solange es Menschen und Symbole gibt.

Gruß

Hallo Horst,

heute scheint ein besonderer Tag zu sein, wir gehen in vielen Punkten konform. Mir fehlen lediglich ein paar Ergänzungen oder Fragestellungen in dem Thema.

Das Thema ist interessant. Vielleicht können folgende Zitate
etwas Aufschluss geben:

http://sammelpunkt.philo.at:8080/59/

Die Meinungen über den sozialen und epochalen Sinn des
Cyberspace gehen weit auseinander. Die einen sind begeistert
und verkünden eine neue Ära für die Menschheit. Die anderen
sehen darin das Ende der Aufklärung und den Beginn einer
beispiellosen kulturellen Barbarei …

P.B.: Ich habe den, allerdings schwer zu beweisenden Verdacht, dass beides in der Natur des Internets liegt. Das Internet ist ja lediglich Werkzeug, die Frage was wir mit dem Werkzeug tun ist nach wie vor in die Hand des Einzelnen gegeben. Da aber das Internet in jeder Hinsicht wenig kontrollierbar ist, macht eben jeder, was er will dort. Da finden sich Drogenhändler, Waffenschmuggler, Terroristen und geistige Brandstifter neben Philosophen, Universitäten und Museen. Mehr denn je ist der Benutzer gefordert, denn Wert der gefundenen Daten (denn es sind lediglich Daten, keine Informationen in informationstheoretischem Sinn) selbst zu bewerten. Tut die Gesamtheit der Benutzer das nicht, wird das Internet alleine schon dadurch zur geistigen Barbarei weil nicht mehr zwischen Wertvollem und Wertlosen unterschieden wird.

Die potentielle
universelle Verbreitung des gedruckten Wortes sowie seine
Fixierung, die eine kontrollierte Kritik ermöglicht, entsprach
den idealen einer sich universal wähnenden Vernunft. Dieses
Ideal setzte sich vor allem vom Medium der Oralität ab…

(H.Tr.: Oralität - das ist ein informationstheoretischer
Begriff: er besagt einfach nur „mündliche Überlieferung“)

P.B. Dabei haftete jedoch der Oralität der Befriff der „Flüchtigkeit“ und der späteren nachträglichen Unbelegbarkeit an. Was hat jemand vor hundert Jahren gesagt? Das Problem des Internets ist, dass Seiten verschwinden oder ständiger Überarbeitung unterliegen. Die Information ist also, im Gegensatz zu einem gedruckten Buch nicht statisch sondern dynamisch. Indofern sehe ich den Effekt der „Flüchtigkeit“ auch im Internet. Wir haben hier unser Archiv und Regeln, die das verhindern sollen, aber die meisten Seiten haben so etwas nicht.

… Mit dieser Absetzung kehrte die Neuzeit den antiken
Begriff der Öffentlichkeit um. Freilich kannte die griechische
Antike die revolutionäre Bedeutung des Mediums Schrift
gegenüber der Oralität, wie dies Platon im Mythos der
Erfindung der Schrift zum Ausdruck bringt. Mit dem Cyberspace
scheint sich alles abermals umzukehren. Im Gewand der
Cyber-Schrift leben wir in einer Zeit flüchtiger Botschaften,
die den Charakter der Oralität besitzen."

P.B. Soweit das, was ich ja weiter oben anmerkte. Aber während Oralität mit ihrer Flüchtigkeit oft genug den Zustand der Entwicklung eines Gedankens bevor er fixirt wurde darstellte. haben wir hier Flüchtigkeit ohne die Not zum Konsens. D.h. es gibt am Ende keinen Gedanken, den man fixieren könnte, lediglich eine unübersehbare Datenmenge.

Zitat ENDE.

Der Cyberspace weitet den „öffentlichen“ Raum ungemein.
Abgesehen von den kriminellen Gefahren ergibt sich aber auch
ein anderes Problem:

P.B. Lass mich hier bei den „kriminellsen“ Gefahren kurz mal einhaken. Denn da scheint eines der Probleme zu liegen. Scheinbare Information kann im Internet immer „geschönt“ dargestellt werden. Oder auch getarnt. Klar, der Drogenhändler schreibt nicht auf seine Seite „Dope heute im Sondernagebot“. Er wird natürlich andere Schlüsselbegriffe verwenden. Aber kritischer wird das Ganze ja im Grenzbereich. Da betrieben Neonazis Geschichtsklitterung ohne sich der diskussion stellen zu müssen. Wenn dann gerade die Kids Information zu einem Thema suchen, dass z.B. gerade in der Schule behandelt wird, bringen die Suchmaschinen prompt solche Seiten als Treffer. Die Möglichkeit der Manipulation derer, die sich nicht wehren können, gehört für mich also auch in diesen Bereich.

http://de.nntp2http.com/sci/theologie

"Wir haben uns durch Sprache und Bilder nicht an die
Wirklichkeit angenähert.
Schon Susan Sontag verweist darauf, dass das Bild mit
Abbildungsfunktion nicht
eine Annäherung, sondern eine DISTANZ zur Wirklichkeit
herbeiführt.
Bemerkenswert ist, dass die zunehmende Suche nach
selbstreferentiellen Bildern
in der Kunst sich fast von selbst erledigt. Die Distanz
zwischen Bild und
Wirklichkeit wird so groß, dass die Referenz bald nur noch als
eine Erinnerung
vorhanden sein wird…

(H.Tr.: „Referenz“ meint hier den Verweis eines Symbols auf
das gemeinte Ding. „Stuhl“ ist das Symbol. Der gemeinte Stuhl,
das physische Ding, ist der „Referent“.)

P.B. Wobei hier von einer rein philosophischen Betrachtung die Rede ist. Es geht gewissermaßen um die Mängel des Bildes im Rahmen der Begrenzungen seiner Natur. Was darin ja noch gar nicht enthalten ist, ist der Effekt der absichtlichen Entstellung und Verzerrung. Das Bild, wie es Frau Sonntang hier beschreibt, stellt ja immerhin noch den Versuch dar, Realität darzustellen, auch wenn es auch technischen Gründen dazu eigentlich unfähig ist (jedenfalls nach Frau Sonntag). Das absichtlich manipulierte Bild stellt jedoch in keiner Weise Wirklichkeit dar, es führt zu einer Wirklichkeit, die es nach dem Willen des Manipulators geben sollte. Das geht im Internet also viel weiter als das, was Frau Sonntag hier beschreibt, weil eben das Element der Absicht hinzukommt.

… Durch die zunehmende Distanz zur äußeren Welt schaffen wir
unsere eigene
Wirklichkeit, eine INNERE WELT. Sie ist das Ergebnis der
elektronischen Medien.
Diese sind nichts anderes als die „Erweiterungen des
Zentralnervensystems“.
Bilder und Informationen verweisen nicht mehr auf etwas
anderes. Sie selbst
sind die Realität. Bilder und Informationen - vom Markt
organisiert und
bedürfnisorientiert produziert - ergeben kein Abbild der
Wirklichkeit. Unser
Bild von der Welt -unser Weltbild - verwandelt sich zu einem
Wunschbild.

P.B. Die Frage ist aber, ob das Wunschbild der virtuellen Realität unser Wunschbild ist oder ein uns aufoptruiertes. Das würde einen weiteren Unterschied machen.

Zumindest in unserem Bewusstsein verschwindet die Realität.
Sie „geht im
Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen,
vorzugsweise auf
der Grundlage eines anderen Mediums – Werbung, Photo, etc. –
und von Medium zu
Medium verflüchtigt sich das Reale, es wird zur Allegorie des
Todes …"

P.B. Mit dem letzten Teil bin ich nicht ganz einverstanden. Das Reale gibt es und es holt bisweilen den Internetbenutzer radikal ein. Es gibt ja immer noch Jobs, Rechnungen zu Bezahlen, Beziehungen zu leben. Da erscheint mir die angesprochene Allegorie des Todes als „over the top“. Und gerade was die angesprochene Werbung angeht, so wird überall geworben. Die Werbung hat nicht mehr den Einfluß den sie einmal hatte, gerade dadurch, dass überall und exzessiv für alle Mögliche geworben wird. Die Werbebanner nimmt ja schon keiner mehr wahr.

Zitat ENDE.

In diesem Text wird das Problem der geistigen Entfremdung des
Users von der Realität angesprochen. Der Cyberspace droht zur
wahren Wirklichkeit zu mutieren - während die eigentliche
Realität (die Welt der Menschen und Dinge) in ein scheinhaftes
Sein versinkt.

P.B. Aber offensichtlich sind diese Realitäten miteinander oft genug verwoben. Die Seiten auf denen z.B. Al Queida Nachwuchs sucht dienen dazu, bestimmte Zielgruppen aus bestimmten kritischen Bereichen der Realität anzuwerben und kriminelle Akte in der Realität durchführen zu lassen. Ich glaube auch, da das Internet nicht die erste „Scheinwelt“ der Geschichte ist, sondern lediglich die bisher größte, dass der Effekt der exklusiven Scheinrealität hier überschätzt wird. Viel mehr sehe ich die Gefahren und Möglichkeiten, über diese Scheinwelt Einfluß auf die reale Welt zu nehmen als zentralen Punkt an.

Hollywood hatte dieses Problem in zwei Movies thematisiert,
basierend auf Grundideen von William Gibson, der in den 80ern
den Ausdruck „Cyberspace“ einführte: die Movies waren „Johnny
Mnemonic“ mit Keanu Reeves (hier machte ein Bekannter von mir
die Visual Effects) und „Matrix“, wieder mit Keanu. In
„Matrix“ wird das Problem radikalisiert: die Realität entpuppt
sich als Cyberspace, als eine von Maschinen induzierte
Scheinwelt.

P.B. Bei Johnny Mnemonic geht es aber genau um den Einfluß von Information. Information soll gestohlen werden bzw. geheim gehalten werden um Geld in der realen Welt zu verdienen. Frage nebenbei, der Bekannte war der, der Dir ein paar Tausend für den Drehbuch-Kurs abgeknöpft hat? Oder verwechsle ich da was?
Egal, was Matrix angeht, gebe ich Dir Recht, hier hatten wir das Modell einer absoluten Scheinwelt, aber selbst diese ist nicht völlig frei vom Einfluß der realen Welt. Wobei sich in Matrix natürlich auch eine philosophische Frage stellt. Wenn die Scheinwelt die einzige Welt ist, wenn die Menschen nur noch in ihr existieren, wird sie dann nicht zu deren Realität?

Das Grundproblem ist allerdings viel älter als der Cyberspace

  • die Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit. Das ist ein
    klassisches Problem und wird eines bleiben, solange es
    Menschen und Symbole gibt.

Scheinwelten sind mehr als Symbole. Sie vermitteln den Anschein von Realitäten, darin besteht ja genau das Problem. Sagt Dir das „Paradies des ALten auf dem Berge“ etwas? Ein Klassiker der Scheinwelten. Die Sache ist nicht neu, nur der Umfang ist neu. Aber wie beim Assassinenparadies hat auch das Internet einen Einfluß auf die reale Welt. Wer weiß schon, ob das für die reale Welt positiv oder negativ ist? Vielleicht schreibt ja irgendwann jemand versehentlich nur noch „World Web“?

Gruß
Peter B.

Hi Peter.

heute scheint ein besonderer Tag zu sein, wir gehen in vielen Punkten konform.

Das ist ja wie Weihnachten im Schaltjahr.

Frage nebenbei, der Bekannte war der, der Dir ein paar Tausend für den Drehbuch-Kurs abgeknöpft hat? Oder verwechsle ich da was?

Allerdings. Der Kurs war billig und eigentlich wenig hilfreich. Ich bin da reiner Autodidakt. Der gemeinte Bekannte war Bernd B., ein renommierter deutscher Künstler in Kalifornien und sehr guter Freund von T. Leary. Leary wiederum war ein glühender Fan des Cyberspace:

„For Leary, cyberspace is the more interesting one of the two worlds because it offers more freedom than the material world; in cyberspace the limits of time, space, and the body are perceived as meaningless. According to Leary, more and more people are discovering that cyberspace offers more freedom than the material reality.“

aus:

http://www.geocities.com/arno_3/4/4-13.html

Leary starb aber 96, und da war Cyberspace noch in der Aufbauphase und nicht so problematisch wie heute.

Ich reiche morgen noch Antworten nach, die auch Thesen von Slavoj Zizek, meinem gegenwärtigen Lieblingsautoren enthalten, bin in Eile.

Gruß

Horst

Die Zukunft der Virtuellen Realität
Hi Peter.

heute scheint ein besonderer Tag zu sein, wir gehen in vielen
Punkten konform.

Das wird sich sicher bald ändern…

(Zitat Susan Sontag:smile: Die Distanz zwischen Bild und Wirklichkeit wird so groß, dass die Referenz bald nur noch als eine Erinnerung vorhanden sein wird…

P.B. Wobei hier von einer rein philosophischen Betrachtung die
Rede ist. Es geht gewissermaßen um die Mängel des Bildes im
Rahmen der Begrenzungen seiner Natur.

Ich stimme dir in deinen Ausführungen bisher zu. An diesem Punkt halte ich es aber für angebracht, das Thema auszuweiten.

Der Cyberspace (CS) ist, wie alles andere auch, in einer Entwicklung begriffen, und die steht im Grunde noch ziemlich am Anfang. Wenn wir jetzt über den CS diskutierten, wie er im Jahre 2008 gegeben ist, dann wäre das so, als diskutierten wir über Chancen und Risiken des Automobils auf dem Stand von, sagen wir mal, 1920.

Warum also nicht gleich einen Sprung in die Zukunft wagen und die Möglichkeiten der Weiterentwicklung, die heute schon im Ansatz erforscht und konzipiert werden, einbeziehen?

Was auf uns zukommt (und schon öfters in Movies thematisiert wurde), sind zwei Arten der Virtual Reality (VR), die beide auf perfekte Simulation der Realität abzielen, in ihrer Methode aber gegensätzlicher nicht sein könnten.

  1. die digitale VR.

Dazu ein Text von S. Ray Kurzweil, zitiert nach Zizek, Die gnadenlose Liebe, 97-98: „Ihre (der Leser wird angesprochen) neuronalen Implantate werden den simulierten sensorischen Input der virtuellen Umgebung - und Ihres virtuellen Körpers - direkt in Ihr Gehirn leiten… Eine typische ´Website´ wird ein wahrgenommenes virtuelles Umfeld sein, ohne dass dazu externe Hardware nötig wäre. Man ´begibt sich dorthin´, indem man mental die Site auswählt und dann in diese Welt eintritt.“

Zitat ENDE.

Diese Methode beruht auf Implantaten, die digitale Daten unmittelbar ins Gehirn übertragen. Das ist die Weiterentwicklung der VR-Brillen und Datagloves, die heute schon gängig sind:

http://www.youtube.com/watch?v=rBEaLIuq4J8

  1. die materielle VR.

Hier spielt die Nanotechnologie eine Rolle. „Nanoroboter“ (Milliarden sich selbst organisierender Mikroroboter) sollen einmal in der Lage sein, jede nur denkbare physische Gestalt real zu simulieren. Diese physische VR wird „Utility-Fog“ genannt:

http://www.foresight.org/Conferences/MNT8/Abstracts/…

„Nanotechnology has emerged to be the new frontier in science and technology. The essence of nanotechnology is the ability to work at the molecular level, atom by atom, to create large structures or devices with fundamentally new molecular organization. The size-related challenge is the ability to measure, manipulate, and assemble matter with features on the scale of 1-100nm. Virtual reality (VR) techniques are currently being explored in nano science and technology research as a way to provide researchers an intuitive way to interact with matters and devices in nano-scale.“

Man darf sich freuen und auch ein wenig fürchten, was die Möglichkeiten dieser Technologie angeht. Hollywood hat mit Michael Bays „Transformers“ dieser Technik seine Referenz erwiesen. Man geht in der VR-Theorie davon aus, dass die Operationen dieser Robots vom User mental gesteuert würden.

Punkt 2) spielt allerdings in Bezug auf Cyberspace wohl keine dominante Rolle. Bleiben wir also bei 1).

Worin liegt die Stärke, d.h. die Faszination dieser (konzipierten) Technologie? Nun, der User wird entkörpert und taucht ein in eine Welt unendlicher Möglichkeiten. Jede Phantasie, jede noch so obskure Wunsch kann hier realisiert werden in einer Weise, die in der normalen Realität kaum oder gar nicht möglich wäre. Die Erfahrungen sind zwar virtuell, aber subjektiv real. Es ist zu vermuten, dass das pornografische Potential für die meisten User im Vordergrund stünde, und das optional auch in Vernetzung mit anderen Usern. In einem dialektischen Umschlag führt die Entkörperlichung des Users also direkt zurück zum Körper in seiner totalen Verfügbarkeit. Es gäbe Websites, die dem eintretenden User jeden Service böten. Vielleicht eine Chance, die reale kriminelle Pornografie, die unseren gegenwärtigen CS verseucht, zurückzudrängen. Ich erinnere an den Movie „Strange Days“ von Kathryn Bigelow: hier werden Realerlebnisse aufgezeichnet und ins Gehirn von Usern eingespeist. VR würde auch diesen Markt bedienen und evtl. entkriminalisieren.

Natürlich würden auch alle anderen Kategorien bedient werden: Information, „normale“ Unterhaltung, Kommunikation usw. All das würde in scheinrealen Environments stattfinden. Wir fänden uns leibhaftig auf Kriegsschauplätzen wieder, um uns herum Explosionen und schreiende Menschen, und dazu ein Voice over, das die Vorgänge erklärt. „Tagesschau“ à la VR.

Der Zusammenhang zwischen VR und Bewusstseinserweiterung liegt auf der Hand. Die Entkörperung des Users und sein Eintreten in eine Welt unendlicher Möglichkeiten erinnert sehr an die astrale Dimension der Esoterik bzw. den Sambhogakaya, den „Körper der Glückseligkeit“ in der buddhistischen Lehre. Ich vermute, dass das unbewusste Motiv für die Faszination des Users am Cyberspace diese (in der Regel unbewusste) Dimension ist. Ebenso wie der astrale Körper sich vom physischen löst und in magische Environments eintaucht, so verläßt der User die Normalrealität, um in eine virtuelle zu „immergieren“ (beliebter Term in der Cyberspace-Fachsprache - von engl. immerse).

Natürlich wirst du dieser „esoterischen“ bzw. mystischen Interpretation nicht folgen wollen. Fakt ist jedenfalls, dass viele Pioniere der CS-Szene aus dem „esoterischen“ Lager kamen und kommen. Der Grundgedanke bei meinem eigenen, dir bekannten Projekt (das im Nov. in LA auf den Tisch kommt) ist ja die Rückverwandlung des „Cyberspace“ (der in ´Matrix´ eine reine Metapher ist) in das (meine Erachtens reale) Original „Astraldimension“. Meine These ist also, dass die besprochene (Noch-)Sciencefiction-Form der VR einerseits eine Weiterentwicklung der heutigen Form des CS, andererseits aber nur die Vorstufe einer „realistischeren“ Astral-Technologie ist.

Gruß

Horst

Hallo Horst,

heute scheint ein besonderer Tag zu sein, wir gehen in vielen
Punkten konform.

Das wird sich sicher bald ändern…

da bin ich ganz unbesorgt.

(Zitat Susan Sontag:smile: Die Distanz zwischen Bild und Wirklichkeit wird so groß, dass die Referenz bald nur noch als eine Erinnerung vorhanden sein wird…

P.B. Wobei hier von einer rein philosophischen Betrachtung die
Rede ist. Es geht gewissermaßen um die Mängel des Bildes im
Rahmen der Begrenzungen seiner Natur.

Ich stimme dir in deinen Ausführungen bisher zu. An diesem
Punkt halte ich es aber für angebracht, das Thema auszuweiten.

Der Cyberspace (CS) ist, wie alles andere auch, in einer
Entwicklung begriffen, und die steht im Grunde noch ziemlich
am Anfang. Wenn wir jetzt über den CS diskutierten, wie er im
Jahre 2008 gegeben ist, dann wäre das so, als diskutierten wir
über Chancen und Risiken des Automobils auf dem Stand von,
sagen wir mal, 1920.

Warum also nicht gleich einen Sprung in die Zukunft wagen und
die Möglichkeiten der Weiterentwicklung, die heute schon im
Ansatz erforscht und konzipiert werden, einbeziehen?

Was auf uns zukommt (und schon öfters in Movies thematisiert
wurde), sind zwei Arten der Virtual Reality (VR), die beide
auf perfekte Simulation der Realität abzielen, in ihrer
Methode aber gegensätzlicher nicht sein könnten.

  1. die digitale VR.

Dazu ein Text von S. Ray Kurzweil, zitiert nach Zizek, Die
gnadenlose Liebe, 97-98: „Ihre (der Leser wird angesprochen)
neuronalen Implantate werden den simulierten sensorischen
Input der virtuellen Umgebung - und Ihres virtuellen Körpers -
direkt in Ihr Gehirn leiten… Eine typische ´Website´ wird
ein wahrgenommenes virtuelles Umfeld sein, ohne dass dazu
externe Hardware nötig wäre. Man ´begibt sich dorthin´, indem
man mental die Site auswählt und dann in diese Welt eintritt.“

Zitat ENDE.

Diese Methode beruht auf Implantaten, die digitale Daten
unmittelbar ins Gehirn übertragen. Das ist die
Weiterentwicklung der VR-Brillen und Datagloves, die heute
schon gängig sind:

http://www.youtube.com/watch?v=rBEaLIuq4J8

Das ist ja auch schon mehrfach in der SciFi thematisiert worden, wobei ich es bei Hamilton (auch ein Peter :wink:) in „der nackte Gott“ besonders sprechend fand, auch wenn es dort „nur“ Sekundärthema war. Die Frage ist aber, inwieweit es sich dabei nur um eine Form des Datentransfers handeln wird oder wie weit es auch für Manipulation missbraucht werden kann. Der Begriff des „Brainhack“ geistert ja schon eine zeitlang in diesem Umfeld umher.

  1. die materielle VR.

Hier spielt die Nanotechnologie eine Rolle. „Nanoroboter“
(Milliarden sich selbst organisierender Mikroroboter) sollen
einmal in der Lage sein, jede nur denkbare physische Gestalt
real zu simulieren. Diese physische VR wird „Utility-Fog“
genannt:

http://www.foresight.org/Conferences/MNT8/Abstracts/…

„Nanotechnology has emerged to be the new frontier in science
and technology. The essence of nanotechnology is the ability
to work at the molecular level, atom by atom, to create large
structures or devices with fundamentally new molecular
organization. The size-related challenge is the ability to
measure, manipulate, and assemble matter with features on the
scale of 1-100nm. Virtual reality (VR) techniques are
currently being explored in nano science and technology
research as a way to provide researchers an intuitive way to
interact with matters and devices in nano-scale.“

Man darf sich freuen und auch ein wenig fürchten, was die
Möglichkeiten dieser Technologie angeht. Hollywood hat mit
Michael Bays „Transformers“ dieser Technik seine Referenz
erwiesen. Man geht in der VR-Theorie davon aus, dass die
Operationen dieser Robots vom User mental gesteuert würden.

Punkt 2) spielt allerdings in Bezug auf Cyberspace wohl keine
dominante Rolle. Bleiben wir also bei 1).

Hehe, wir haben ihn, den ersten Widerspruch. Denn 2.) bedeutet impliziet, dass erstens die Realität erobert. Damit wird die Realität ja letzten Endes zu einer Untermenge des Cyberspace während es jetzt ja doch noch anders herum ist.

Worin liegt die Stärke, d.h. die Faszination dieser
(konzipierten) Technologie? Nun, der User wird entkörpert und
taucht ein in eine Welt unendlicher Möglichkeiten. Jede
Phantasie, jede noch so obskure Wunsch kann hier realisiert
werden in einer Weise, die in der normalen Realität kaum oder
gar nicht möglich wäre. Die Erfahrungen sind zwar virtuell,
aber subjektiv real. Es ist zu vermuten, dass das
pornografische Potential für die meisten User im Vordergrund
stünde, und das optional auch in Vernetzung mit anderen Usern.
In einem dialektischen Umschlag führt die Entkörperlichung des
Users also direkt zurück zum Körper in seiner totalen
Verfügbarkeit. Es gäbe Websites, die dem eintretenden User
jeden Service böten. Vielleicht eine Chance, die reale
kriminelle Pornografie, die unseren gegenwärtigen CS
verseucht, zurückzudrängen. Ich erinnere an den Movie „Strange
Days“ von Kathryn Bigelow: hier werden Realerlebnisse
aufgezeichnet und ins Gehirn von Usern eingespeist. VR würde
auch diesen Markt bedienen und evtl. entkriminalisieren.

Sagen wir, es würde der Kriminalität „Ausweichlösungen“ anbieten. Ob ich das als „entkriminalisieren“ bezeichnen kann, da habe ich Zweifel.
Zugleich fehlt hier m.E. ein Faktor. Denn nicht nur der Sexualtrieb wird den Cyberspace beherrschen, auch wenn der, wie auch heute schon, den größten Anteil am sichtbaren Web ausmachen wird. Was aber wird sich im Hintergrund abspielen, da, wo heute Waffen- un Drogen angeboten werden, wo geistige Brandstifter aller Art auf Anhängerfang gehen? Wenn der Cyberspace die reale Welt mehr und mehr verdrängt, wird er logischerweise auch zum Kriegsschauplatz politischer Interessen. Das Problem geht also viel weiter als bis zur „Pornokriminalität“.

Natürlich würden auch alle anderen Kategorien bedient werden:
Information, „normale“ Unterhaltung, Kommunikation usw. All
das würde in scheinrealen Environments stattfinden. Wir fänden
uns leibhaftig auf Kriegsschauplätzen wieder, um uns herum
Explosionen und schreiende Menschen, und dazu ein Voice over,
das die Vorgänge erklärt. „Tagesschau“ à la VR.

Nicht nur (aber auch). Der Cyberspace würde ja an Wert gewinnen, also selbst zum Kriegsschauplatz werden.

Der Zusammenhang zwischen VR und Bewusstseinserweiterung liegt
auf der Hand. Die Entkörperung des Users und sein Eintreten in
eine Welt unendlicher Möglichkeiten erinnert sehr an die
astrale Dimension der Esoterik bzw. den Sambhogakaya, den
„Körper der Glückseligkeit“ in der buddhistischen Lehre. Ich
vermute, dass das unbewusste Motiv für die Faszination des
Users am Cyberspace diese (in der Regel unbewusste) Dimension
ist. Ebenso wie der astrale Körper sich vom physischen löst
und in magische Environments eintaucht, so verläßt der User
die Normalrealität, um in eine virtuelle zu „immergieren“
(beliebter Term in der Cyberspace-Fachsprache - von engl.
immerse).

Natürlich wirst du dieser „esoterischen“ bzw. mystischen
Interpretation nicht folgen wollen. Fakt ist jedenfalls, dass
viele Pioniere der CS-Szene aus dem „esoterischen“ Lager kamen
und kommen. Der Grundgedanke bei meinem eigenen, dir bekannten
Projekt (das im Nov. in LA auf den Tisch kommt) ist ja die
Rückverwandlung des „Cyberspace“ (der in ´Matrix´ eine reine
Metapher ist) in das (meine Erachtens reale) Original
„Astraldimension“. Meine These ist also, dass die besprochene
(Noch-)Sciencefiction-Form der VR einerseits eine
Weiterentwicklung der heutigen Form des CS, andererseits aber
nur die Vorstufe einer „realistischeren“ Astral-Technologie
ist.

Jetzt bin ich also quasi verpflichtet zu widersprechen? Oh my, dabei habe ich gerade zu etlichen Punkten genickt :wink:
Aber mal ernsthaft, natürlich gibt es haufenweise Leute, die den Wunsch haben, sich in irgendeiner Form zu entkörperlichen. Meine Zweifel beziehen sich auch weniger auf den Wunsch an sich als auf das, was die Leute da finden werden. Selbst heute ist ja bei gleicher Technologie die Rezeption des CS bereits individuell unterschiedlich. Das wird, je näher der CS and die Persönlichkeiten der Menschen herankommt stärker werden. Deswegen glaube ich nicht, dass die Erlebnisse von „Internet-Esoterikern“ deckender sein werden als die von „Religions-Esoterikern“ oder „Drogen-Esoterikern“. Aber das warte ich einfach mal ab und hoffe (im Gegensatz zu Schopenhauer), dass, sollte ich vorher tot umfallen, mir einer ein zweites Leben genehmigt, damit ich mir das Chaos selbst ansehen kann.

Gruß
Peter B.

Hi Horst,

na dann mal viel Glück in LA im Nov.

Gruß
Peter B.