Hallo Horst,
heute scheint ein besonderer Tag zu sein, wir gehen in vielen Punkten konform. Mir fehlen lediglich ein paar Ergänzungen oder Fragestellungen in dem Thema.
Das Thema ist interessant. Vielleicht können folgende Zitate
etwas Aufschluss geben:
http://sammelpunkt.philo.at:8080/59/
Die Meinungen über den sozialen und epochalen Sinn des
Cyberspace gehen weit auseinander. Die einen sind begeistert
und verkünden eine neue Ära für die Menschheit. Die anderen
sehen darin das Ende der Aufklärung und den Beginn einer
beispiellosen kulturellen Barbarei …
P.B.: Ich habe den, allerdings schwer zu beweisenden Verdacht, dass beides in der Natur des Internets liegt. Das Internet ist ja lediglich Werkzeug, die Frage was wir mit dem Werkzeug tun ist nach wie vor in die Hand des Einzelnen gegeben. Da aber das Internet in jeder Hinsicht wenig kontrollierbar ist, macht eben jeder, was er will dort. Da finden sich Drogenhändler, Waffenschmuggler, Terroristen und geistige Brandstifter neben Philosophen, Universitäten und Museen. Mehr denn je ist der Benutzer gefordert, denn Wert der gefundenen Daten (denn es sind lediglich Daten, keine Informationen in informationstheoretischem Sinn) selbst zu bewerten. Tut die Gesamtheit der Benutzer das nicht, wird das Internet alleine schon dadurch zur geistigen Barbarei weil nicht mehr zwischen Wertvollem und Wertlosen unterschieden wird.
Die potentielle
universelle Verbreitung des gedruckten Wortes sowie seine
Fixierung, die eine kontrollierte Kritik ermöglicht, entsprach
den idealen einer sich universal wähnenden Vernunft. Dieses
Ideal setzte sich vor allem vom Medium der Oralität ab…
(H.Tr.: Oralität - das ist ein informationstheoretischer
Begriff: er besagt einfach nur „mündliche Überlieferung“)
P.B. Dabei haftete jedoch der Oralität der Befriff der „Flüchtigkeit“ und der späteren nachträglichen Unbelegbarkeit an. Was hat jemand vor hundert Jahren gesagt? Das Problem des Internets ist, dass Seiten verschwinden oder ständiger Überarbeitung unterliegen. Die Information ist also, im Gegensatz zu einem gedruckten Buch nicht statisch sondern dynamisch. Indofern sehe ich den Effekt der „Flüchtigkeit“ auch im Internet. Wir haben hier unser Archiv und Regeln, die das verhindern sollen, aber die meisten Seiten haben so etwas nicht.
… Mit dieser Absetzung kehrte die Neuzeit den antiken
Begriff der Öffentlichkeit um. Freilich kannte die griechische
Antike die revolutionäre Bedeutung des Mediums Schrift
gegenüber der Oralität, wie dies Platon im Mythos der
Erfindung der Schrift zum Ausdruck bringt. Mit dem Cyberspace
scheint sich alles abermals umzukehren. Im Gewand der
Cyber-Schrift leben wir in einer Zeit flüchtiger Botschaften,
die den Charakter der Oralität besitzen."
P.B. Soweit das, was ich ja weiter oben anmerkte. Aber während Oralität mit ihrer Flüchtigkeit oft genug den Zustand der Entwicklung eines Gedankens bevor er fixirt wurde darstellte. haben wir hier Flüchtigkeit ohne die Not zum Konsens. D.h. es gibt am Ende keinen Gedanken, den man fixieren könnte, lediglich eine unübersehbare Datenmenge.
Zitat ENDE.
Der Cyberspace weitet den „öffentlichen“ Raum ungemein.
Abgesehen von den kriminellen Gefahren ergibt sich aber auch
ein anderes Problem:
P.B. Lass mich hier bei den „kriminellsen“ Gefahren kurz mal einhaken. Denn da scheint eines der Probleme zu liegen. Scheinbare Information kann im Internet immer „geschönt“ dargestellt werden. Oder auch getarnt. Klar, der Drogenhändler schreibt nicht auf seine Seite „Dope heute im Sondernagebot“. Er wird natürlich andere Schlüsselbegriffe verwenden. Aber kritischer wird das Ganze ja im Grenzbereich. Da betrieben Neonazis Geschichtsklitterung ohne sich der diskussion stellen zu müssen. Wenn dann gerade die Kids Information zu einem Thema suchen, dass z.B. gerade in der Schule behandelt wird, bringen die Suchmaschinen prompt solche Seiten als Treffer. Die Möglichkeit der Manipulation derer, die sich nicht wehren können, gehört für mich also auch in diesen Bereich.
http://de.nntp2http.com/sci/theologie…
"Wir haben uns durch Sprache und Bilder nicht an die
Wirklichkeit angenähert.
Schon Susan Sontag verweist darauf, dass das Bild mit
Abbildungsfunktion nicht
eine Annäherung, sondern eine DISTANZ zur Wirklichkeit
herbeiführt.
Bemerkenswert ist, dass die zunehmende Suche nach
selbstreferentiellen Bildern
in der Kunst sich fast von selbst erledigt. Die Distanz
zwischen Bild und
Wirklichkeit wird so groß, dass die Referenz bald nur noch als
eine Erinnerung
vorhanden sein wird…
(H.Tr.: „Referenz“ meint hier den Verweis eines Symbols auf
das gemeinte Ding. „Stuhl“ ist das Symbol. Der gemeinte Stuhl,
das physische Ding, ist der „Referent“.)
P.B. Wobei hier von einer rein philosophischen Betrachtung die Rede ist. Es geht gewissermaßen um die Mängel des Bildes im Rahmen der Begrenzungen seiner Natur. Was darin ja noch gar nicht enthalten ist, ist der Effekt der absichtlichen Entstellung und Verzerrung. Das Bild, wie es Frau Sonntang hier beschreibt, stellt ja immerhin noch den Versuch dar, Realität darzustellen, auch wenn es auch technischen Gründen dazu eigentlich unfähig ist (jedenfalls nach Frau Sonntag). Das absichtlich manipulierte Bild stellt jedoch in keiner Weise Wirklichkeit dar, es führt zu einer Wirklichkeit, die es nach dem Willen des Manipulators geben sollte. Das geht im Internet also viel weiter als das, was Frau Sonntag hier beschreibt, weil eben das Element der Absicht hinzukommt.
… Durch die zunehmende Distanz zur äußeren Welt schaffen wir
unsere eigene
Wirklichkeit, eine INNERE WELT. Sie ist das Ergebnis der
elektronischen Medien.
Diese sind nichts anderes als die „Erweiterungen des
Zentralnervensystems“.
Bilder und Informationen verweisen nicht mehr auf etwas
anderes. Sie selbst
sind die Realität. Bilder und Informationen - vom Markt
organisiert und
bedürfnisorientiert produziert - ergeben kein Abbild der
Wirklichkeit. Unser
Bild von der Welt -unser Weltbild - verwandelt sich zu einem
Wunschbild.
P.B. Die Frage ist aber, ob das Wunschbild der virtuellen Realität unser Wunschbild ist oder ein uns aufoptruiertes. Das würde einen weiteren Unterschied machen.
Zumindest in unserem Bewusstsein verschwindet die Realität.
Sie „geht im
Hyperrealismus unter, in der exakten Verdoppelung des Realen,
vorzugsweise auf
der Grundlage eines anderen Mediums – Werbung, Photo, etc. –
und von Medium zu
Medium verflüchtigt sich das Reale, es wird zur Allegorie des
Todes …"
P.B. Mit dem letzten Teil bin ich nicht ganz einverstanden. Das Reale gibt es und es holt bisweilen den Internetbenutzer radikal ein. Es gibt ja immer noch Jobs, Rechnungen zu Bezahlen, Beziehungen zu leben. Da erscheint mir die angesprochene Allegorie des Todes als „over the top“. Und gerade was die angesprochene Werbung angeht, so wird überall geworben. Die Werbung hat nicht mehr den Einfluß den sie einmal hatte, gerade dadurch, dass überall und exzessiv für alle Mögliche geworben wird. Die Werbebanner nimmt ja schon keiner mehr wahr.
Zitat ENDE.
In diesem Text wird das Problem der geistigen Entfremdung des
Users von der Realität angesprochen. Der Cyberspace droht zur
wahren Wirklichkeit zu mutieren - während die eigentliche
Realität (die Welt der Menschen und Dinge) in ein scheinhaftes
Sein versinkt.
P.B. Aber offensichtlich sind diese Realitäten miteinander oft genug verwoben. Die Seiten auf denen z.B. Al Queida Nachwuchs sucht dienen dazu, bestimmte Zielgruppen aus bestimmten kritischen Bereichen der Realität anzuwerben und kriminelle Akte in der Realität durchführen zu lassen. Ich glaube auch, da das Internet nicht die erste „Scheinwelt“ der Geschichte ist, sondern lediglich die bisher größte, dass der Effekt der exklusiven Scheinrealität hier überschätzt wird. Viel mehr sehe ich die Gefahren und Möglichkeiten, über diese Scheinwelt Einfluß auf die reale Welt zu nehmen als zentralen Punkt an.
Hollywood hatte dieses Problem in zwei Movies thematisiert,
basierend auf Grundideen von William Gibson, der in den 80ern
den Ausdruck „Cyberspace“ einführte: die Movies waren „Johnny
Mnemonic“ mit Keanu Reeves (hier machte ein Bekannter von mir
die Visual Effects) und „Matrix“, wieder mit Keanu. In
„Matrix“ wird das Problem radikalisiert: die Realität entpuppt
sich als Cyberspace, als eine von Maschinen induzierte
Scheinwelt.
P.B. Bei Johnny Mnemonic geht es aber genau um den Einfluß von Information. Information soll gestohlen werden bzw. geheim gehalten werden um Geld in der realen Welt zu verdienen. Frage nebenbei, der Bekannte war der, der Dir ein paar Tausend für den Drehbuch-Kurs abgeknöpft hat? Oder verwechsle ich da was?
Egal, was Matrix angeht, gebe ich Dir Recht, hier hatten wir das Modell einer absoluten Scheinwelt, aber selbst diese ist nicht völlig frei vom Einfluß der realen Welt. Wobei sich in Matrix natürlich auch eine philosophische Frage stellt. Wenn die Scheinwelt die einzige Welt ist, wenn die Menschen nur noch in ihr existieren, wird sie dann nicht zu deren Realität?
Das Grundproblem ist allerdings viel älter als der Cyberspace
- die Verwechslung von Symbol und Wirklichkeit. Das ist ein
klassisches Problem und wird eines bleiben, solange es
Menschen und Symbole gibt.
Scheinwelten sind mehr als Symbole. Sie vermitteln den Anschein von Realitäten, darin besteht ja genau das Problem. Sagt Dir das „Paradies des ALten auf dem Berge“ etwas? Ein Klassiker der Scheinwelten. Die Sache ist nicht neu, nur der Umfang ist neu. Aber wie beim Assassinenparadies hat auch das Internet einen Einfluß auf die reale Welt. Wer weiß schon, ob das für die reale Welt positiv oder negativ ist? Vielleicht schreibt ja irgendwann jemand versehentlich nur noch „World Web“?
Gruß
Peter B.