Welche Faktoren beeinflussen die Artbildungsrate?

Guten Tag,
ich komme gerade aus einer Evolutionsvorlesung und bin etwas ratlos. Leider kann mir meine Fachliteratur nicht weiterhelfen.

Ich frage mich zum einen, was genau nun die Artbildungsrate ist. Es wurde in der Vorlesung leider nur angerissen, ohne genau zu bestimmen, was es eigentlich genau ist und wie man sie bestimmt.

Zum anderen frage ich mich, wie genau die folgenden Faktoren Einfluss auf die Artbildungsrate haben. Leider sind wir auch hierrüber nur so geflogen:

  1. Ausbreitungsrate --> Kann man sagen, dass je ausbreitungsschwächer eine Population ist, desto höher ist die Artbildungsrate, weil die Population auf engem Raum zusammen ist?
  2. ökologische Spezialisierung --> Mir erscheint es logisch zu sagen, dass bei Generalisten die Artbildungsrate höher ist als bei Spezialisten, gerade weil sie schon sehr spezialisiert sind. Mein Dozent ist hier anderer Meinung. Da ich der Argumentation nicht folgen konnte, kann ich sie hier leider nicht wiedergeben.
  3. Flaschenhalseffekt (Populationsgrößenschwankung) --> Je größer eine Population ist, desto höher müsste doch auch die Artbildungsrate sein, oder?
  4. Form der Bestäubung --> Tierbestäubung hat gegenüber Windbestäubung einen Vorteil. Warum? Der Zufall spielt doch bei beiden eine große Rolle.
  5. sexuelle Selektion --> Tiere mit einem komplexeren Verhalten weisen eine höhere Artbildungsrate auf. Stimmt das? Wenn ja, warum?
  6. Umweltveränderungen (Klimaveränderungen und Fragmentierung) --> Dieser Faktor hat insofern Einfluss, weil er auf die Populationsgröße Einfluss hat, oder?

Ich hoffe, dass ihr meinen Ausführungen folgen könnt und danke schon einmal jedem, der versucht, mir zu helfen.

Gruß
Tini

Hej Tini,

superspannendes Thema, schade dass es in der Vorlesung nur angerissen wurde. Ich bin leider schon etwas länger raus aus dem Zirkus und kann dir bezüglich Quellenangaben und so weiter leider nicht so viel weiterhelfen. Aber falls du lust an logischen Betrachtungen hast, dann lies weiter:wink: Quellen kannst du dann eventuell selber googeln.

  1. Das Wort „Ausbreitungsschwach“ sagt mir nicht so viel. Falls du damit sagen willst, dass eine Population auf begrenztem Raum isoliert von anderen Populationen ist, dann ist das Stichwort „isoliert“ und das begünstigt in der Tat die Artsbildung. Eine ältere Theorie besagt sogar, dass Isolation eine Voraussetzung für die Artsbildung ist.

  2. Das meine ich ist korrekt gesehen. Generalisten haben eine grössere Chance in neuen Umweltbedingungen zu überleben. Generalisten haben oft eine hohe gendiversitet, da mutationen immernoch raum für eine alternative Lebensweise zulassen. Dass bedeutet auch, dass sie es leichter haben neue Habitate zu besiedeln, sich zu spezialisieren, isolieren und eine neue Art zu bilden. Spezialisten dagegen sind oft sehr konservativ. Mutationen oder Veränderungen generell bedeuten idR eine Entfernung vom Optimum und werden sehr schnell selektiert. Daraus erfolgt eine verhältnismässig homogene genzusammensetzung innerhalb einer Art und eine langsame Gendrift zwischen verschiedenen Populationen. Es gibt da allerdings auch ausnahem: Ich habe mal von einer Pflanze gehört, die hatte lila Blüten und wurde von einer bestimmten Schmetterlingsart bestäubt. Durch eine einfache Mutation wurden die Blüten weiss, was von dieser Schmetterlingsart nicht wahgenommen wurde. Stattdessen wurden die weissen Blüten jetzt durch ein anderes Insekt bestäubt. Auf einen Schlag wurde dadurch ein Genbarriere geschaffen und Pflanzen mit weissen und lila Blüten wurden voneinander isoliert und die Artsbildung konnte beginnen.

3)Die Grösse der Popuation hat mit 'nem Flaschenhals effekt nicht unbedingt was zu tun. Aber eine hohe geografische Ausbreitung natürlich schon. Der Flaschenhals effekt kommt wieder durch Isolation zustande - entweder durch besiedelung neuer Habitate oder durch andre Isolationsmechanismen (wie im Beispiel mit den Blüten). Er beschreibt im Wesentlichen, dass eine Population die von der Hauptpopulation abgeschnitten wird eine geringere Genvariation aufweist und daurch eventuel den Bedarf für eine neue evolutionere Richtung schafft, was die Gendrift im Bezug zur Hauptpopultation verstärt und dadurch die Artsbildung vorantreibt. Flaschenhals effekte werden aber hauptsächlich als Hinweise auf migrationsgeschichte gesehen und haben eigentlich nur sekundär was mit der Artsbildung zu tun.

  1. Wie definierst du Vorteil? Da beide Formen sehr weit verbreitet sind, sind sie wohl auch beide erfolgreich. Falls wir bei der Artsbildung bleiben, dann glaube ich nicht, dass die Art der Bestäubung eine grosse Rolle spielt. Windbestübung hat den Effekt, dass Pollen über sehr weite Strecken verbreitet wird und dadurch fast Isolation vermindernt wird. Insektbestäubung ist sehr spezifisch und fordert eine hohe spezialisierung der Blüten in Farbe, Form und chemischer Rezeptoren etc. (siehe Beispiel mit lila/weisen Blüten).

  2. Tja, wenn du z.B. mal interspecifisches Sexualverhalten bei Nebelkrähe (corvus comix)und Aaskrähe (Corvus corone) googelst, kannst du sehen wie Verhalten isolierend wirken kann und damit zur artsbildung beiträgt.

  3. Ja, und auch weit Umweltveränderungen zur mirgation führt. Geringere Populationsgrössen bedeutet auch oft Trennug von Populationen (und wieder Isolation).

Im Übrigen tragen eine hohe Generationsfolge und kleines Genom positiv zur Artsbildung bei.

Falls du mal tiefer in die Evolutionstheorie einsteigen möchtes würde ich dir empfehlen mal Bücher von Simon Conway Morris zu lesen. Er ist Paläontologe und hat einige super interessante Theorien zur Artsentstehung formuliert.

Viel Vergnügen
Ole