Welche Symphonien ähneln Prokoffievs fünfter?

Moin,
Prokoffiev ist für mich ein sehr ambivalenter Komponist. Manche Werke, wie z. B. die 5. Symphonie, halte ich für extrem gut und mit manchen Werken kann ich mich nicht sonderlich gut anfreunden. Dazu gehört eine der frühen Symphonien mit einem »Geistersatz«, in welchem Streicherglissandi vorkommen (müßte entweder die 2. oder die 3.; habe sie nur einmal live gehört). Kennt jemand von Euch alle Symphonien und kann mir sagen, ob, neben 1, 2 bzw. 3 und 5 noch andere Symphonien vorhanden sind, die eher im Stil der 5. entsprechen?
Vielen Dank im Voraus für alle Anregungen,

Christian

Hallo Christian!

Ich kenne und schätze alle sieben Symphonien des Russen und denke auch, dass man an der merkwürdig sprunghaften Melodik und anderen, natürlich schwer zu beschreibenden Eigenarten, den Personalstil Prokofieffs stets ausmachen kann. Zweifellos sind die Werke aber auch in gewissen Blöcken von sehr unterschiedlicher Natur. Die „Symphonie Classique“ ist knapp, klassizistisch, ein verfremdeter Haydn, wenn man so will. Die zweite und dritte sind sicher am gewöhnungsbedürftigsten, extrem disparat, bizarr, expressionistisch, voller Härten, aber eben auch voller raffinierter Details in Harmonik und Klangfarbe, weniger im Rhythmus oder in der Melodik. Dann wird Prokofieff zunehmend geglätteter, milder, melodiöser, pathetischer, rhythmisch feinnnervig und oft einfach „schön“. Die vierte müsste ich jetzt erst wieder hören, um mich zu erinnern; sie ist sicher die unbekannteste seiner Sinfonien. Die fünfte wird am häufigsten aufgeführt, ist wohl auch die vielfältigste und interessanteste, aber weitaus klarer strukturiert als 2 und 3. Die sechste ist mollgetönt und ähnlich ergiebig wie die fünfte. Empfehlen würde ich Dir aber auch die siebente, wie eine Ballettszene, fast wie ein ganz später Tschaikowsky, streng tonal, aber blühend und raffiniert in der Melodik, vor allem im ersten und letzten Satz.
Brauchst Du noch einen Aufnahmetipp oder anderes?
Herzliche Grüße!
Wolfgang Zimmermann

Hi Christian,

die Klarheit und der Optimismus machen die Fünfte schon einmalig im symphonischen Werk Prkfws. Ähnlich wären seine Oper „Krieg und Frieden“, das Balett „Aschenbrödel“ sowie Klaviersonaten 7 bis 9, alle aus derselben Kriegszeit.

Die Dritte Symphonie,die du meinst, ist aus der Musik der Oper „Der feurige Engel“ gemacht worden. Da spuckt es!

Von Symphonien wäre vielleicht einiges von Honegger zu nehmen, aus selber Zeit - Dritte oder Vierte, Bartoks Konzert für Orchester, Sechste von Martinu usw.

Gruß

Hallo Peet!

Könnte es nicht so sein, dass in dem doch recht doppelbödig grellen und repetitiven Schluss der 5. Sinfonie - ähnlich wie immer wieder bei Schostakowitsch - Klarheit und Optimismus gebrochen erscheinen, parodiert? Könnte dies auch politische Gründe haben?

Herzliche Grüße!
Wolfgang Zimmermann

Hallo Wolfgang,

danke für deine interessante Frage. Nein, ich bin der Meinung, daß in der Fünften nur der Krieg und der künftige Sieg der Russen thematisiert werden, wenn es überhaupt möglich ist, darin eine außermusikalische Aussage abzulesen. Ein Vergleich mit Schostakowitsch ist in diesem Sinne kaum möglich.

Der Bezug zur Stalin-Zeit und ernsthafte, bisweilen tragische Töne sind in der Sechsten Symphonie und in dem Symphonie-Konzert für Cello nicht zu überhören, vorbereitet schon in der Musik zum Film „Iwan der Schreckliche“. Kurz gesagt, erst nach den Ereignissen von 1948 hat er kapiert, was ihm geschah. Seine Kompromisse mit dem Regime sahen ganz anders aus als im Fall Schostakowitsch.

Viele Grüße

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Hallo peet!

Danke für die historische Klarstellung!
Meines Erachtens klingt der Schluss der 5. Sinfonie von Prokofieff aber ähnlich hohl in seinem Optimismus wie oft bei Schostakowitsch.
Und wenn wir schon dabei sind: Oben habe ich eine ähnliche Frage zu Ives gestellt!

Mit den besten Grüßen,
Wolfgang Zimmermann

Hallo Wolfgang,
vielen Dank für Deine Antwort. So wie Du es schreibst werde ich tatsächlich erstmal auf die späteren Werke zurückgreifen (6 & 7) und es dann vielleicht noch einmal mit den früheren versuchen; vielleicht wird es ja noch was. Bei den Klavierkonzerten hat es allerdings bisher nicht geklappt: 1 und 5 finde ich ziemlich gut (entgegen der Meinung von L. Bernstein), aber insbesondere mit dem Konzert für die linke Hand habe ich mich nie so richtig anfreunden können.

Brauchst Du noch einen Aufnahmetipp oder anderes?

Oh, ich habe zwar meine ganz eigenen Vorstellungen was Interpretationen angeht, aber ich bin immer sehr interessiert daran, wie Andere Einspielungen beurteilen. Insofern würde mich selbstverständlich interessieren, was Du mir empfehlen würdest (und vorallem, warum Du etwas empfiehlst), auch wenn ich dann u. U. eine andere Meinung habe! :o)
Herzliche Grüße,

Christian

Hallo Peet,
wie ich Deiner Vita entnehme, kommst Du aus meiner Heimatstadt; herzliche Grüße dorthin! :o)
Vielen Dank für die Tips. Allerdings bezog sich meine Frage tatsächlich spezifisch auf das Werk Prokoffievs. Die Symphonien von Honegger und Martinu und auch der größte Teil der Werke von Bartok sind mir durchaus geläufig und begeistern mich großteils immer wieder aufs neue.
Herzliche Grüße,

Christian

Ergänzung
Noch einmal kurz dazu:

Wenn du unbedingt vergleichen möchtest, dann nimm den letzten Satz der Fünften Prkfws im Vergleich zu den Finalsätzen der Sechsten und Neunten Schostakowitschs. Hören musst du in der Reihenfolge: Sechste von Sch., dann Fünfte von P, dann Neunte von Sch. Und halte dir vor Augen dabei deren Entstehungszeiten, ok? Nach diesem Experiment melde dich mit deinem Bericht, wenn du Lust hast :smile:

Viele Grüße

Hallo Peet!

Der Bericht ist versprochen! Wenn’s zu lange dauern sollte, per privater e-mail. Schostakowitsch suche ich schon mal heraus (müsste mit Bernard Haitink sein).

Schönen Gruß!
Wolfgang Zimmermann

Hallo Christian!

Viel Freude bei den Hörerfahrungen.

Prokofieffs Fünfte ist recht oft eingespielt worden. Ich besitze einen wohl zweitrangigen Mitschnitt mit dem BR-Sinfonieorchester und eine CD mit den Berliner Philharmonikern unter Seiji Ozawa, sicher eine präzise und klangprächtige Aufnahme. Andere Aufnahmen habe ich gelegentlich gehört, auch eine Interpretationssendung. Damals wurden ältere russische Einspielungen aus Leningrad (Mrawinsky) und Moskau (Roshdestwensky) favorisiert, wohl zu Recht wegen ihrer Authentizität, der Schärfe im Klanglichen und Rhythmischen, des besonders zupackenden Gestus.

Die Klavierkonzerte besitze ich auf CD mit den Londonern (LSO) unter Andre Previn und mit Vladimir Ashkenazy. Das zweite ist mit seinem unglaublich schweren und vertrackten Klaviersatz bestimmt attraktiv - nicht im klassischen Sinn schön vielleicht, das dritte von allen am eingängigsten und äußerst motorisch. Das vierte ist recht spröd, zugegebenermaßen.

Herzliche Grüße!
Wolfgang Zimmermann

Ja Christian,

ich steige -leider- etwas verspätet zu deiner Frage ein und ich hoffe, du liest das folgende überhaupt noch.
Ich halte die lange revidierte Fassung der vierten Sinfonie für ein vergleichbares Werk mit der 5ten und auch der sechsten. Ich ziehe sie persönlich vor.
Die 4te ist musikalisch wesentlich reicher. Sie zu entdecken war für mich eine der am meisten beglückenden und nachhaltigsten, musikalischen Erfahrungen überhaupt, nicht nur im Umgang mit Prokofieff.
Du hast recht: Prokofieff ist ein sehr ambivalenter Komponist. Aber das ist bei ihm Programm. Er war sich seiner völlig unterschiedlichen, sich widersprechen, „rohen“ musikalischen Ausdrucksneigungen(2. Sinfonie!)und -varianten völlig bewusst und hat sie in jedem Werk regelrecht weitergeformt. Es machte ihm wohl zeitlebens Freude, keiner seiner Neigungen ganz den Vorzug zu geben. In den unterschiedlichsten Ausprägungen entstanden so Werke, in denen fast immer alle diese Varianten wie als Synthese von Gemütslagen einflossen. Viele erleben das als sinnlose Bizarrerie. Aber genau das macht aus meiner Sicht den Reiz aus, der von dieser Musik ausgeht. Sie erzeugt eine „Frischegarantie“, die bei vielen seiner Komponistenzeitgenossen(wie auch bei seinem Freund Miaskowski) ausbleibt. Diese Musik zu lieben bedeutet, dass man sich genau auf dieses Nebeneinander von widersprüchlichen Gemütslagen einstellen kann als etwas Selbstverständliches. Dass das nicht einfach ist, sollte ein Ansporn sein.
Am einfachsten begegnet man zuerst dem „versöhnlichen“ Prokofieff mit der wunderbaren Balletmusik zu „Romeo und Julia“. Aber selbst hier ist die „Romantik“ kein zarter Schmelz. Sie ist fast nüchtern zu nennen, aber sehr zart und selbstbewußt. Daraus kann dann eine gute Schritt-für-Schritt-Annäherung werden über „Liebe zu den 3 Orangen“, der „Kijé-Suite“ und der Konzertmusik zu „Iwan, der Schreckliche“. Ich empfehle auch einmal isoliert den Schlusssatz der 6ten Sinfonie mit dem der 5ten zu vergleichen: Der der 6ten ist weitaus reicher und stringenter und am Schluss ist die Ernsthaftigkeit absolut so gemeint: ein grimmiger, bitterer, anklagender Rauswurf. Eine Geste, wie sie kaum deutlicher gegenüber dem gerade zu Ende gegangenen 2. Weltkrieg ausfallen könnte.

Markus

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Hallo Peet!

Nun denn: ein Vergleich der Finalsätze aus Schostakowitsch, 6. (1939) und 9. Sinfonie (1945) mit Prokofieffs Fünfter (1944) - das ist nicht ohne!
Grundsätzlich will ich Dir Recht geben, dass Schostakowitsch wohl der bei Weitem distanziertere und damit in einem positiven Sinne politischere Komponist ist: Insofern wäre schon die vor dem Weltkrieg entstandene Sinfonie die pessimistischere, verglichen mit Prokofieff, der trotz des nicht wirklich fülligen und sinnerfüllt auftrumpfenden Schlusses seine Struktur und Melodik zum Blühen bringt; das Pathos erscheint mir alles in allem glaubwürdig.
Die Sechste von Schostakowitsch erinnert noch eher an Prokofieff als die spätere, die unendlich weit von ihm weg scheint. Der Finalsatz der Sechsten drängt vorwärts, lebt seine Phrasen aus, die freilich hohler erscheinen als bei Prokofieff. Die Neunte hingegen zerreißt ihr ohnehin banales, merkwürdig sinnlos gemischtes Material immer wieder, bricht noch am Schluss ohne jede Apotheose - und sei sie noch so vordergründig - fast abrupt ab, wirkt angewidert wie jemand, der dem Getümmel vom Dachfenster aus zusieht, die Fäuste geballt und zitternd. Ein früher Marsch, „um den Sieg zu verfehlen“…

Herzliche Grüße!
Wolfgang Zimmermann

Guten Abend Wolfgang!

Besten Dank für deine Rückmeldung, es hat mich sehr gefreut :smile:

Ich finde deine Beschreibung sehr treffend und schön formuliert.

Liebe Grüße