Hallo Torsten!
…Diktatur des Finanzkapitals…
Hatten wir nicht auch mal die „Diktatur des Proletariats“?
Die beiden Visionen haben die Gemeinsamkeit, in gleicher Weise unsinnig zu sein. Die Vorstellung vom ameisenhaften Arbeiterheer gehört in die Zeit beginnender Industrialisierung vor 100 Jahren und Kapital ohne Köpfe taugt zu gar nichts.
Wir dürfen uns nicht länger an Bandarbeit, Massenproduktion und einfache Tätigkeiten klammern, weil diese Dinge nur über den Preis zu vermarkten sind. Wir können unseren materiellen Wohlstand nur mit Hirnschmalz und Ideen halten und ausbauen. Das hat sich nur noch nicht herum gesprochen.
Bei uns in Mecklenburg bringt es gerade ein Drittel der Schüler zum Abitur, rund ein weiteres Drittel schafft mit Hängen und Würgen den Hauptschulabschluß. Die sind gewiß nicht alle zu blöd, vielmehr kommt Bildung bei vielen Menschen und in vielen Familien als Wert überhaupt nicht vor. Immer noch wird für ausreichend gehalten, für einen bestimmten Beruf die gerade nötigen Minimalanforderungen zu erfüllen. Kein Blick über den Tellerrand, kein Gedanke an später.
Und jetzt die andere Seite: Starte Google mit dem Suchwort „Bachelor“. Du wirst geradezu erschlagen von zahllosen neuen Ausbildungsgängen von Hochschulen in ganz Deutschland. Viele Angebote sind dabei, die sich als Fernstudium in jedem Lebensalter berufsbegleitend absolvieren lassen, sofern ein brauchbarer allgemeinbildender Schulabschluß als Basis vorhanden ist. Etliche Zeitgenossen sind lieber dauerarbeitslos, als den Gedanken an eine berufliche Neuorientierung im fortgeschrittenen Lebensalter auch nur ins Auge zu fassen und so warten sie ab Mitte 40 auf die Rente.
Ich berichtete vor ein paar Tagen in diesem (?) Brett von meinen Erfahrungen mit Mitarbeitern und deren (nicht vorhandener) Bereitschaft, Fortbildung zu betreiben. Die Bereitschaft ist nicht einmal vorhanden, wenn der Betrieb restlos alle Kosten übernimmt. Eigentlich hätte ich das vorher wissen müssen, denn ich hatte sehr ähnliche Erfahrungen als Angestellter bei der Lufthansa schon vor über 30 Jahren gemacht. Das Unternehmen hatte eine eigene, sehr gute Schulungsstätte, Angestellte wurden von der Arbeit freigestellt und konnten sich bei vollen Bezügen beruflich weiterqualifizieren. Glaub bloß nicht, daß solche Traumangebote besonders beliebt waren. Die Erfahrungen in anderen Unternehmen sehen ähnlich aus. Die Leute müssen gebeten und genötigt werden, sonst passiert nichts. Würde man statt einer Fortbildung einen Schlagerwettbewerb starten, stünden die Leute Schlange.
In meinem Umfeld in McPomm sind mir Dutzende Fälle bekannt, daß Menschen seit der Wende von kurzer ABM-Maßnahme unterbrochen keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgegangen sind. Auf die bösen Kapitalisten und die gierigen Unternehmer wird geschimpft, aber auf die Idee, sich beruflich zu qualifizieren, will kaum jemand kommen. Das läuft seit 14 Jahren so und inzwischen sind die meisten für keine geregelte Arbeit mehr zu gebrauchen. Mit anderen Worten: Hier liegt die Arbeitslosigkeit bei 20% und ein ansiedlungswilliger Betrieb hätte Mühe, Leute zu finden.
Aus Kindheitstagen erinnere ich mich an Radiodurchsagen: Hafenarbeiter sollen sich zur Frühschicht in der Admiralitätsstraße (Arbeitsamt in HH) einfinden. Viele tausend Menschen wurden dort mit Knochenarbeit beschäftigt. Seit Menschengedenken reichte es, ein paar Handgriffe zu lernen, um irgendwo in Lohn und Brot zu kommen. Viele Menschen haben ein Problem damit, zu begreifen, daß diese Zeiten unwiederbringlich vorbei sind. Auch in der Denke vieler Gewerkschafter ist die Veränderung noch nicht angekommen. Die Leute rechnen immer noch mit dem Dreisatz: 100 Arbeiten schaffen in 40 Stunden… wieviele Arbeiter brauchen wir bei 35 Stunden… In dieser Vorstellungswelt tun alle das Gleiche, sind Teil des austauschbaren Ameisenheers.
Wer in McPomm als Arzt arbeiten will, bekommt einen roten Teppich ausgerollt, Haus, Praxis und Arbeit bis zum Abwinken. Suche hier mal einen Steuerberater. Wenn Du einen findest, nimmt er keine Mandanten mehr an - ausgebucht bis unters Dach. Suche hier beliebiges andere, qualifizierte Personal - in vielen Bereichen nichts zu finden. Wir haben ein massives Qualifikationsproblem!
Die Ideologen und Schwarzmaler können wir in aller Gelassenheit ihr dummes Zeug erzählen lassen. Sie werden nichts verändern. Die fällige Veränderung muß im Bewußtsein der Menschen stattfinden. Sie müssen Bildung und lebenslange Fortbildung als Wert begreifen, statt sich an den Schrauberjob zu klammern, der absehbar die Menschen in Moldawien beglückt.
Gruß
Wolfgang