Einspruch, Euer Ehren! 
Hallöchen,
Allein der Abschluß als Physiker, Informatiker oder Ing. befähigt noch nicht, das Gelernte in einem Unternehmen wertschöpfend einzusetzen.
Volle Zustimmung.
Insbesondere ist tatsächlich der Studienabschluss „nur“ der Beweis, dass man sich systematisch in (nahezu) unbekannte, komplexe Themen einarbeiten kann - nicht dass man sie beherrscht.
Das müssen aber die Absolventen auch wissen - und viele glauben, sie wären schon irgendwelche Koryphäen und werden dann eingeschüchtert, wenn man sie mit der realen Welt konfrontiert.
Bei den großen Unternehmen, die schon seit Jahrzehnten Akademiker einstellen, ist bekannt, daß bei der Einstellung eines Absolventen erst nach längerer Zeit, u. U. Jahre, mit einem nennenswerten Beitrag für die Wertschöpfung zu rechnen ist.
Das ja, aber… ein guter Arbeitgeber sollte so aufgestellt sein, dass er eben nicht den Akademiker quasi als „nichtwertschöpfende Kraft“ einstellt, sondern auch Tätigkeiten bietet, welche Absolventen direkt wertschöpfend übernehmen können, während sie sich weiterqualifizieren!
Sobald jemand ein mehrseitiges Formular über den Tresen schiebt, auf dem Dutzende Programmiersprachen und Softwarepakete aufgeführt sind und manchmal sogar anzukreuzen ist, welche Version der Bewerber kennt, sollten solche Herrschaften für dich als disqualifiziert ausscheiden. Solche Leute suchen keine Informatiker, sondern Programmierknechte.
Einspruch!
Ganz dicken Einspruch.
Ich gebe mal ein Beispiel: Jemand, der sich mit Oracle Business Objects auskennt, arbeitet ganz anders als jemand, der meint „Datenbank? Klar, ich kann doch insert… into… schreiben?“
Und jemand, der Grails kennt, lacht sich über die Aufwände der Entwicklung mit JSP schief.
Wer dann noch mit SOAP und RMI sicher umgehen kann, der geht direkt anders vor als jemand, der nur Klassen und Methoden kennt.
Will meinen: Ich kenne Leute, die 1000-seitige Designkonzepte für Dinge schreiben, die, würden sie die aktuellsten Frameworks in aktueller Version kennen, in 10-20 Minuten umgesetzt wären.
Es geht nicht nur um den „Programmier-Knecht“. Ich habe schon Projekte verschiedenster Technologien geleitet und sehr oft kann ich mit ein paar Nebensätzen „Dafür gibt’s bei … eine Standardfunktion“ direkt wochenweise Fleißarbeit eliminieren.
Sobald eine Aufgabe soweit strukturiert ist, daß man nur noch programmieren muß, ist es Handwerk. Dafür braucht man i. d. R. keinen Hochschulabsolventen.
Wie soll ein Architekt, der die Materialeigenschaften von Eisen und Granit nicht kennt, eine vernünftige Brücke bauen?
Genauso: wie soll ein Software-Architekt, der die technischen Eigenschaften der gängigen Frameworks nicht kennt, ein vernünftiges System designen?
Wenn ich daran denke, dass ich als Absolvent null komma null Ahnung von Datenbanken hatte - und ich nach einer Woche Oracle-Tabellen aufsetzen musste… was ich da für einen Unfug angestellt habe… 
Im Ergebnis werden Fähigkeiten und Talente aufwendig ausgebildeter Leute mit Anwendungs-Pipifax für Webseiten irgendwelcher Online-Höker vergeudet.
Dafür braucht man alles Mögliche, nur keine akademische Ausbildung als Informatiker.
Ich sehe das anders.
Bei uns gibt es hochqualifizierte Akademiker, die nichts lieber wollen, als zu lernen, wie man eine funktionsfähige App baut - manchmal geht es nicht nur darum, ob man dafür einen Absolventen braucht, sondern auch darum, ob es dem Absolventen etwas bringt, dies zu tun!
Vergleichbarer Unfug geschieht mit vielen Absolventen anderer MINT-Fächer. Dabei werden Perlen vor die Säue geworfen.
Ich gebe Dir insoweit Recht, wie ich einen Verwandten habe, der mit 1.0er Mathe-Diplom an einer TOP-MINT Uni abgeschlossen hat und irgendwelche Webformulare debuggt… aber der ist ja auch im Öffentlichen Dienst, wo ja aus Prinzip intellektuelles Kapital vor die Hunde geht.
Für viele ist es halt einfach ausreichend, sich auf eine €3000-Stelle als Programmierer/Techniker/… zu setzen - und so lange dort zu sitzen, bis man obsolet geworden ist. Das ist eine Charakter-Frage.
Vergiss also die Leute mit den Bewerbungsbögen mit Fragen nach irgendwelchen Programmiersprachen. Du bist vielmehr ausgebildet, dich in jede alte, aktuelle und kommende Programmiersprache einzuarbeiten und eine anwendungsspezifische Programmiersprache, ein geeignetes Datenprotokoll, eine sinnvolle Verschlüsselungsmethode u. v. m. mit detaillierter Anwendungskenntnis zu entwickeln.
Theoretisch. Aber das macht man ja seit PISA systematisch kaputt.
Der Schrei nach dem Bachelor, der weder systematisch arbeiten, noch abstrakt denken, aber eine 08/15 Multiple-Choice Klausur bearbeiten kann, war laut genug, dass die Unis ihn gehört haben und entsprechend liefern.
Jetzt keine Unterstellung an den Ursprungsposter, sondern an das Bildungssystem.
Die Anwendungen bis hin zum Umgang mit kaufmännischen Vorgaben können dir nicht geläufig sein. Aber das weiß jeder Arbeitgeber, der echten Bedarf an MINT-Leuten hat und über die Infrastruktur verfügt, aus Absolventen gleich Rohdiamanten die gewünschten Kostbarkeiten werden zu lassen.
Richtig. Entsprechend albern ist es, wenn ein Akademiker aussortiert wird wegen „Spezial-Tool #41394219 ist ihm nicht bekannt“. Solche Arbeitgeber sind inkompetent und man muss ihnen auch nicht nachtrauern.
Andererseits sollte man so was aus dem Hut zaubern können wie „Habe mich in 3 Tagen in python eingearbeitet, konnte nach 2 Wochen auch mit Hadoop umgehen…“
Leider bestimmen die Vermittler und Zeitarbeitsbuden mit ihren Programmiersprachenlisten vielerorts das Bild.
Wenn ich jedoch aus meiner eigenen Erfahrung spreche: Jemanden, der absolut prinzipiell technisch unbeleckt ist, auf das Niveau eines Entwicklers zu bringen, der selbständig anhand einer Anforderung wie „Benötigt wird ein Web Service, um aus einer relationalen Datenbank anhand (quasi) beliebiger Anfrage-Kriterien ein gewichtetes Best-Match-Resultat zu liefern“ arbeiten kann, das dauert auch locker 3-4 Jahre… da hat es doch Vorteile, wenn man jeden einzelnen dieser Begriffe schon vor Arbeitsbeginn zuordnen kann.
Gruß,
Michael