Hallo,
„…sie ist ja eigentlich soooo lieb, aaaaber…“ gehört zu den Standardeinleitungen bei der Beschreibung von Hunden, die (meist gewaltige) Probleme machen
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Fakt ist: Ein Hund, der seine Menschen dazu benutzt, sich streicheln zu lassen, aber ansonsten macht, was er will, ist nicht „lieb“. Er ist möglicherweise falsch oder nicht ausreichend sozialisiert, nicht erzogen und/oder ohne Führung. Und unter Umständen ist er ziemlich gefährlich.
Eure Hündin hat in ihrem Leben mit Sicherheit erfolgreich gelernt, dass man sich mit Knurren und Abschnappen Leute vom Hals halten kann und sich erspart, Dinge hinnehmen zu müssen, auf die man keine Lust hat. Angefasst werden gehört dazu.
Ihr habt zwei Möglichkeiten: Ihr nehmt hin, dass euer Hund so ist und sorgt dafür, dass er andere Leute nicht verletzen kann, indem ihr ihn wegsperrt oder mit einem Maulkorb sichert. Draußen würde ich euch dazu auch dringend raten. Ihr müsst immer damit rechnen, dass mal irgend ein Kind nach dem Hund greift oder einfach zu nah kommt, und wenn er dann beißt, tragt ihr die volle Verantwortung. Nach meiner Einschätzung werdet ihr draußen das Problem auch nicht anders lösen können, als darüber, den Hund zu sichern.
Im Haus kann man mehr machen. Ihr solltet aber nicht erwarten, dass euer Hund zu einem Menschenfreund wird, der jeden Fremden freundlich begrüßt und sich bereitwillig anfassen lässt. Das wird euch mit hoher Wahrscheinlichkeit nur bei Besuchern gelingen, die regelmäßig kommen.
Ich würde mit Folgendem beginnen: Der Hund kriegt seinen Platz auf dem Boden. Hunde, die sich und ihr Revier verteidigen, sollten keine zusätzlichen Pfründe haben, die sie beanspruchen können. Der Platz auf dem Sessel oder der Couch gehört dazu. Die Bereitschaft, auf Leute loszugehen, die sich auf seinem angestammten Platz niederlassen (auch wenn das ein anderer Sessel ist) ist deutlich höher als bei einem Hund, der auf dem Boden lebt.
Der Hund lernt, auf Kommando auf seine Decke zu gehen und dort zu bleiben. Das könnt (und müsst) ihr erst mal ohne Besuch üben. Zur Not wird er dort angebunden. Wenn er brav liegt und sich ruhig verhält, kriegt er ab und zu ein Leckerchen, wobei ihr darauf achten müsst, dass er dabei nicht aufsteht. Die Belohnung löst das Kommando nicht auf.
Wenn Besuch kommt, wird der Hund auf seine Decke geschickt und hat dort zu bleiben. Steht er auf, bringt ihr ihn ruhig aber konsequent wieder hin. Der Hund kriegt nicht die Erlaubnis, selbstständig seinen Platz zu verlassen und sich dem Besuch zu nähern. Es ist euer Revier, in dem ihr machen könnt, was ihr wollt und wo er sich zu fügen hat. Es ist auch nicht sein Job, eigenmächtig verteidigen zu wollen. Ihr habt Besuch und er liegt auf seiner Decke. Punkt.
Wenn ihr das konsequent macht (was euch sicher viel Überwindung abverlangen wird, weil ihr es lieber anders hättet), werdet ihr merken, dass der Hund sich irgendwann zu entspannen beginnt. Er wird nicht mehr in ständiger Anspannung auf der Lauer liegen, weil er lernt, dass ihr die Sache im Griff habt. Ihm droht keine Gefahr, der Besuch lässt ihn in Ruhe und ihr könnt auf euch selbst aufpassen.
Das KANN in einigen Wochen zur Folge haben, dass der Hund sich zunehmend weniger über Besuch aufregt. Ihr solltet dennoch niemandem erlauben, den Hund anzufassen. Das Risiko, dass er schnappt, ist hoch. Einen Hund, der gelernt hat, dass Knurren und Beißen wirksame Abwehrmethoden sind, kriegt man nur sehr sehr selten dazu, diese zuverlässig abzulegen. Man kann sie immer nur managen.
Ihr solltet euch bewusst sein, dass euer Hund ein potentieller Beißer ist und entsprechend umsichtig agieren. Menschen, die er öfter sieht, wird er vermutlich früher oder später ebenfalls akzeptieren. Indem ihr den Hund vor Übergriffen fremder Menschen schützt, schützt ihr diese vor dem Hund.
Schöne Grüße
Jule