Wenn Sicherheit mit Sicherheit wehtut

[Ursprünglich waren die Zeilen als eine Antwort an Goosi zum Thema der Fingerabdrücke-Aktion in Frankfurt gedacht. http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarticl… Doch dann die Sache immer länger, weshalb ich sie als eigenständigen Artikel hier hineinstellen möchte.]

Hallo…

Ein weiteres Beispiel, wie es um den Schutz der Kinder bestellt ist, wurde gestern abend in der MONITOR-Sendung (http://www.wdr.de/tv/monitor) genannt, als es um die Sicherheit von Kinderspielplätzen ging. Aufgrund fehlenden Geldes in den Kommunen werden diese nicht ausreichend gewartet, wodurch bereits mehrere Kinder umkamen.
   Auch an dieser Stelle müsste man fragen: Wer war der Täter? Wie so viele Vergleiche mag auch dieser hinken, aber die Crux ist, dass es bei einem „direkten“ Kindermord einen bestimmten Täter gibt, während er sich bei einem „indirektem“ im Verwaltungsapparat versteckt, in dem jeder dem anderen die Verantwortlichkeit in die Schuhe schieben.
   Teilweise haben hier die Medien keine Möglichkeit, diesen Apparat zu durchdringen, weil entweder Interviews abgelehnt werden oder - im doppelten Sinne - sich hinter Verwaltungsakten versteckt wird. Allerdings ist es für die Medien eben auch nicht so aufregend und quotensteigernd, hier einen Täter festzustellen. Hierfür „eignen“ sich eben Mord, Massentest und ein einziger Täter besser, weil das ein eindeutiges „Feindbild“ ergibt, von dem sich das geneigte Publikum abgrenzen kan und damit seine eigene Tadellosigkeit bestätigt findet. (Man denke auch einmal an die derzeit häufig ausgestrahlten „Justiz-Shows“.)

Es mag zynisch wirken, wenn man dem Wunsch nach der eigenen Freiheit einen Kindermord gegenüberstellt, und einige Vätern und Mütter werden dies erst recht nicht verstehen, wenn sie Berichte über solche Morde hören und sehen und dabei an ihre eigenen Kinder denken. Wer könnte ihnen diese Sorge nicht verdenken!
   Doch ist es wirklich zynisch von den „Verweigerern“, wenn sie sich gegen die latente Aushöhlung der Grundrechte zu stemmen? Denken sie dabei nicht an die Sorgen um die Kinder? Einige mögen das schnell bejahen, doch ich möchte eine Gegenfrage stellen: Wäre es dann nicht ebenso zynisch, wenn Medien geradezu „froh“ sind über solche spektakulären Fälle, weil sie in jedem Menschen rühren und jeder an solchen Schicksalen teilhaben will? Sind es nicht die Medien, die dabei immer wieder über das Ziel einer nüchternen Berichterstattung hinausschiessen und dabei eine gewisse „Geilheit“ bedienen, weil es sich eben gut verkauft? In meinen Augen ist diese Art und Weise, mit Blut und Tränen Profit zu machen, nicht nur zynisch, sondern auch moralisch fragwürdig. (Als kleiner Gedankenstrich sei die Vermutung angestellt, ob sich nicht potentielle Täter an solch ausführlichen Berichten hochziehen.)

Einige besorgte Menschen werden auch diese Ausführungen nicht akzeptieren können, denn schliesslich passieren die Kindermorde - ganz gleich, ob die Medien darüber nun berichten oder nicht - und die Täter müssen ermittelt werden, damit sie keine weiteren Taten verüben können.
   Natürlich wäre es angenehm, wenn Mörder möglichst schnell gefasst werden, und noch angenehmer wäre es, wenn solche Taten erst gar nicht passieren. Aber das wäre das Ideal. Eine Wunschvorstellung. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus, denn einen vollkommenen Schutz gibt es nicht, weshalb auch in Zukunft solche Morde weiterhin geschehen werden.
   Als vor, meines Wissens nach, mehr als einem Jahrhundert die Fingerabdrücke als Beweismittel entdeckt wurden, zogen Verbrecher Handschuhe an. Nun haben wir die DNA-Analyse, und auch hier werden Täter mit der Zeit „dazulernen“. Auch werden sie (zum Beispiel aufgrund der detaillierten Medienberichte) immer häufiger wissen, was sie zu beachten haben, um Tatnachweise möglichst gering zu halten. (Siehe etwa der Versuch, ein ermordetes Mädchen im Wald zu verbrennen.) Ebenso werden sie den Massentests immer öfter dadurch ausweichen, dass zwischen Täter und Opfer möglichst keine Beziehung hergestellt werden kann und diese Tests somit ins Leere laufen. (Ich hatte mich hier ja bereits verwundert gezeigt, weshalb die männlichen Bewohner der westlichen Stadtteile rund um den Tatort des Höchster Bahnhofs ihre Fingerabdrücke abgeben sollen, während die abertausende in Höchst arbeitenden Pendler sowie der Ort Niedernhausen [Fundort von Tristans Rucksack] unberücksichtigt bleiben.)

Wie in diesem Thread bereits angemerkt wurde, stehen die Ermittlungsbehörden unter Druck. Zwar soll mit diesen Massentests der Täter gefunden werden, doch vorrangig geht es darum, die Öffentlichkeit durch tatkräftige Aktionen zu beruhigen. Der öffentliche Druck wird allerdings erst durch das grosse Medieninteresse erzeugt. Ich frage mich manchmal, ob beispielsweise das Gladbecker Geiseldrama glimpflich vergelaufen wäre, hätten sich die Medienvertreter zurückgehalten und wäre der spätere BILD-Chef Röber nicht in Kölner Fussgängerzone in das Fahrzeug der Geiselnehmer gestiegen.
   Was aber ist der sogenannte „öffentliche Druck“, dem sich so schwer zu entziehen ist? Es ist der psychische Druck, der auf einzelnen Personen oder einer ganzen (Ermittlungs-) Gruppe liegen kann; an manch einem gleitet er wie Regenwasser von Lotusblüten ab, andere hingegen werden ständig hektischer und neigen dadurch zu Fehlern. Insbesondere dann, wenn Verantwortliche selbst den Druck an die Untergebenen weiterleiten und schnelle Ergebnisse sehen wollen.
   Um den psychischen Druck selbst nachempfinden zu können, sollte man sich einmal vorstellen, permanent von Fernsehkameras/Fotoapparaten/Personen verfolgt zu werden, was immer man auch macht. Man weiss allerdings nicht, wann man beobachtet wird und wann nicht. Je länger diese Ungewissheit vorherrscht, desto unsicherer verhält man sich. Das eigene Handeln wird ständig reflektiert. Dies erzeugt über kurz oder lang ein Duckmäusertum, weil man keine Information darüber erhält, ob man richtig handelt oder nicht, auch wenn man ein gutes Gewissen besitzt. - Vielleicht kennt der/die eine oder andere die Situation, wenn in Bus oder S-Bahn plötzlich Kontrolleure den Fahrausweis sehen wollen. Ich fühle mich dabei oft etwas unbehaglich und wie ertappt, obwohl ich genau weiss, dass ich einen Fahrausweis habe. Oder ist Euch schon einmal aufgefallen, wie bedächtig Fahrzeughalter fahren, sobald ein grün-weisses Auto in ihrer Sichtweite auftaucht?
   Wie müssen sich wohl erst Menschen fühlen, die zeitlebens als „unbescholtene Bürger“ galten und sich plötzlich Mordvorwürfen ausgesetzt sehen? Ja, sicherlich, im Grunde tut es nicht weh, Fingerabdrücke oder Speichel abzugeben. Doch wie unbehaglich den Menschen zumute ist, ad hoc irgendwelchen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein, zeigt schon der Zeitungsbericht, dass in Frankfurt gleich zu Anfang 900 der vorerst ca. 4500 Männer, also ein Fünftel, ihre Fingerabdrücke abgegeben haben, obwohl diese Aktion bis Ende Mai andauert. Auch wenn die Auswertung wiederum eine ganze Zeit braucht, wollte man(n) durch die schnelle Abgabe die eigene Unbescholtenheit bezeugen.

Wie schon weiter oben gesagt, werden Morde weiterhin geschehen. Doch gleichfalls auch Sexualstraftaten und dergleichen. Natürlich nicht nur an Kindern. Was ist die Folge daraus: Werden sich diese Massentests etablieren?
   Dananch sieht es allmählich aus, wie ein 26 Jahre zurückliegender Mord an einer 16jährigen Schülerin in Bad Hersfeld zeigt. Wahrscheinlich werden die Ermittlungsbehörden alte Fälle neu aufarbeiten - von den neuen ganz abgesehen - und weitere Massentests veranlassen. Bis jetzt, so heisst es zumindest, werden die jeweils gewonnenen Daten nach einer solchen Aktion wieder vernichtet. Aber gerade in Ballungsgebieten könnte das bedeuten, dass die Menschen stets aufs Neue zu „freiwilligen“ Massentests geladen werden, und möglicherweise wird irgendwann der Ruf laut, die einmal gewonnenen Daten dauerhaft festzuhalten. Und damit auch die der „unbescholtenen Bürger“.
   Spätestens wenn hierfür eine breite Akzeptanz in der Öffentlichkeit gewonnen wurde - wofür Politik und Medien schon sorgen werden -, wird man sich daran erinnern, dass es nicht nur Mordfälle gibt. Wenn man bereits diese Daten hat, kann man sie ja auch mit anderen Fällen vergleichen, denn der gesetzestreue Bürger wird doch sicherlich ein Interesse haben, dass jeder Fall aufgeklärt wird. (Wer will das schon gern verneinen wollen!?) Somit vergleicht man die Daten erst einmal mit Sexualdelikten, danach eventuell mit Diebstahl… bis man irgendwann die ganze Palette des Strafgesetzbuches durch hat.
   Die Unschuldsvermutung hat sich dann schon völlig umgekehrt, denn als „unbescholten“ gelten nur noch diejenigen, die bereits erfasst sind und bei der Eingabe von Ermittlunsdaten vom Computer nicht als Treffer ausgegeben werden. Man müsste sich also auf den Kopf zusagen lassen, jedes Verbrechen im Lande begangen zu haben, solange man seine Unschuld nicht belegen kann. Diese ständigen Unschuldsbezeugungen würden „glücklicherweise“ durch die eigenen bereits abgegebenen Daten per Computer automatisiert werden. Sollte man trotzdem einer Tat beschuldigt werden, fiele es schwer (von klassischem Mitteln wie etwa eines Alibis einmal abgesehen), den Gegenbeweis anzutreten. Wie soll man das auch machen, wenn man selbst keinen Zugang zu den Daten hat? Schon heute kann man ja nicht sicher sein, dass die eigenen Daten nach einer Aktion trotz gegenteiliger Aussagen wirklich gelöscht werden. Es sollte zwar so sein, doch ebenso sollte es so sein, dass Bürger gesetzestreu leben, Polizisten Rechte und Gesetze kennen, Politiker keine verfassungswidrigen Einkommen beziehen, Arbeitsämter keine Vermittlungsdaten fälschen, Bund und Städte und Kommunen keine Steuergelder verschwenden und, last but not least, Männer und Frauen gleichberechtigt sein sollen. Es sollte so sein - dass die Realität allerdings anders aussieht, erleben wir jeden Tag.

Man muss noch nicht einmal selbst als möglicher Täter in das Licht von Ermittlungen rücken; es würde bereits genügen, auf irgendeine Weise mit einer Person verkartet, also verknüpft zu sein. Der Computer stellt hierfür ein ausgezeichnetes Mittel dar, Zusammenhänge herzustellen und zu speichern. So kann man zum Beispiel unwissentlich Umgang mit einem Hehler gehabt haben; somit war man womöglich mit dieser Person verkartet. Eines Tages stehen Uniformierte vor der Tür, die sich vielleicht ein bisschen zu sehr über die neue Unterhaltungselektronik in der Wohnung wundern und gerne wissen möchten, woher diese stammt. Also versucht man den regulären Kauf zu beweisen, doch weil man die Belege versehentlich schon weggeworfen hat, fällt es schwer. - Wie steht es an dieser Stelle dann um die Unschuldsvermutung!?
   Natürlich ist das jetzt nur ein herbeigezogenes Beispiel, aber die Akzeptanz der Bevölkerung wird stets ein bisschen mehr gewonnen, wenn man ihr nur oft genug erklärt, in welch unsicheren Zeiten wir leben. Medien und Politik tun ihr übriges, wie sehr deutlich an der (statistisch) sinkenden Zahl der Kindermorde, aber dem verstärkten Medieninteresse und damit einhergehenden Politikhandlungen erkennbar war und ist. Wer sich unsicher fühlt - selbst wenn dafür kein Anlass besteht - ruft zwangsläufig nach mehr Sicherheit, und ich habe mir schon ein ums andere Mal die Frage gestellt, ob man in „höheren Kreisen“ gegen gewisse Delikten deshalb nur eher zögerlich vorgeht, um ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis zu wecken, das man umgehend mit neuen Gesetzen und Reglementierungen zu bedienen weiss. Hier hätten wir es mit einem Fall der Konsensproduktion zu tun, die der amerikanische Professor Noam Chomsky immer wieder aufgreift:

_Wie man das Bewusstsein der Öffentlichkeit reglementiert

[…] Vor 250 Jahren hat sich David Hume in einem klassischen Essay mit diesen Fragen
auseinandergesetzt. Hume war erstaunt darüber, mit welcher Leichtigkeit sich die vielen von den wenigen regieren lassen und sich unterwerfen, indem sie ihr Schicksal in die Hände ihrer Herrscher legen, obwohl doch die Macht immer auf Seiten der Regierten liege. Würden die Beherrschten das erkennen, würden sie sich erheben und ihre Herren stürzen. Er schloss daraus, dass Regierungsherrschaft auf „Meinung“ (opinion) beruht; ein Grundsatz, der für die despotischsten und militärischsten Regierungen ebenso gelte wie für die freiesten und republikanischsten.
   Sicherlich unterschätzte Hume die Wirksamkeit brutaler Gewalt. Zutreffender dürfte sein, dass eine Regierung um so stärker auf Meinungskontrolle zur Sicherung ihrer Herrschaft bedacht sein muss, je „freier und republikanischer“ sie ist.
   Dass die Bevölkerung sich unterwerfen muss, wird nahezu unhinterfragt angenommen. In einer Demokratie haben die Regierten das Recht zuzustimmen, mehr aber auch nicht. In der Terminologie des modernen fortschrittlichen Denkens sind sie „Zuschauer“, aber - abgesehen von der gelegentlichen Möglichkeit, zwischen Repräsentanten authentischer Macht zu wählen - keine „Beteiligten“. Das gilt nur für die Politik, während die Bevölkerung im Bereich der Wirtschaft, deren gesellschaftliches Wirken weitgehend festgelegt ist, gemäss der dominierenden Demokratietheorie überhaupt nichts zu suchen hat._

Aus: „Profit over People - Neoliberalismus und globale Weltordnung“, Noam Chomsky, Europa-Verlag

Doch welchen Grund sollte es geben, der Bevölkerung ein überzogenes Sicherheitsbedürfnis einzureden? Simpel ausgedrückt: Damit sich die Menschen besser und einfacher regieren lassen und nicht jede Autorität oder Anordnung in Zweifel ziehen. Der Furchtsame akzeptiert eher Einschränkungen seiner Freiheit als der Mutige. Oder mit George Bernard Shaw gesprochen: „Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fuerchten.“
   Aber es gibt auch noch weitere Gründe. Nehmen wir einmal an, eine Regierung bräuchte kein Sicherheitsbedürfnis bedienen, und auch ansonsten wäre die Bevölkerung relativ zufrieden und in dem Land ginge es ruhig und gerecht zu. Eine Opposition hätte in einem solchen Fall kaum eine Chance, sich zu profilieren. Wenn es aber keine „Kriegsschauplätze“ gibt, müssen welche geschaffen werden. Also schürt man Misstrauen gegen die Regierungspolitik, obwohl dafür so gut wie kein Anlass besteht. Eine Opposition muss selbst gegen gute Zustände angehen, verlöre sie doch ansonsten ihre Existenzberechtigung (und nicht zuletzt den Kampf um Pfründe). Was liegt also näher, als den Menschen noch mehr Sicherheit, noch mehr Steuerbefreiung, noch mehr Arbeit, noch mehr Kindergartenplätze etc. pp. zu versprechen. Da Wahlkampfversprechen aber juristisch nicht bindend sind, sind solche Willenserklärung der Politiker ebenso sinnvoll wie Versprechen, für mehr Gugelhupfe und mehr Fönfrisuren einzutreten. - Die Realität bzw. die Medien zeigen uns alltäglich die Profilierungsversuche der Politiker, wobei wichtiger geworden ist, dass man etwas sagt, und nicht was man sagt.
   Irgendjemand wird immer den Ruf nach Sicherheit bedienen. Schon bereits vor ca. 1500 Jahren, als Menschen in Mitteleuropa zu sesshaften Bauern wurden, gaben sie den Kräftigsten Waffen an die Hand und erkoren diese dazu, sie vor Feinden zu schützen. Dafür brauchten diese Männer nicht zu arbeiten und erhielten Kost und Logis. Irgendwann fühlten sich die Kräftigen aber so mächtig, dass sie die Waffen gegen die eigenen Leute richteten und sie unterdrückten. Dadurch entstand der Adel, der bis zum heutigen Tag riesige Ländereien in Deutschland seinen Besitz nennt.
   Allzu oft genügt allein ein Blick in die Vergangenheit, um die zukünftigen Ereignisse vorauszuahnen; die Schemata waren sich stets sehr ähnlich. Wenn wir heute darüber diskutieren und streiten, welche Befugnisse wir der Politik und damit letzten Endes auch den Ermittlungsbehörden einräumen, dann gilt es zu beachten, dass Machtkonzentrationen immer ausgenutzt wurden, da Recht und Gesetz sowie sinnvolle, politische Entscheidungen durch Willkür und Korruption aufgrund fehlender Kontrolle ersetzt wurden. Die verzweifelten Profilierungsversuche der etablierten deutschen Parteien auf ein und denselben Themenfeldern sollte bisweilen nachdenklich stimmen, ob hier noch Politik für die Bevölkerung gemacht wird oder wir nur Schauspielern zusehen, die wir dafür üppig entlohnen. „Demokratie“ und „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ werden hierbei zu wohlklingenden Phrasen, die jedoch nicht wahrer werden, bloss weil sie oft genug von unseren Volksvertretern wiederholt werden - man muss diese Begriffe endlich einmal mit Substanz füllen, statt der permanenten Aushöhlung beiläufig zuzustimmen.

Ob Johann Wolfgang von Goethe auch seine Fingerabdrücke in Frankfurt abgegeben hätte? Jedenfalls schrieb er einmal: „Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns herum immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von einzelnen, sondern von der Masse.“

Literatur:

Hansjoachim Tiedge, „Der Überläufer. Eine Lebensbeichte.“
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/2499/1…

Bernt Engelmann, „Wir Untertanen“
Bernt Engelmann, „Einig gegen Recht und Freiheit“
http://www.sozialismus-von-unten.de/archiv/svu4/50ja…

Noam Chomsky, „Profit over People - Neoliberalismus und globale Weltordnung“
http://www.chomskyarchiv.de

Marco

Freiheit = Verantwortung
Danke, Marco,
leider kann ich Dir gar nicht soviel Sternchen geben, wie Dein Artikel eigentlich verdient hätte.

Wie die Verunsicherung eigentlich zufriedener Bürger funktioniert und wie man daraus sein politisches Süppchen kocht, konnten wir ja eben erst in unserem Nachbarland im Nordwesten sehen. Um den Anfängen zu wehren bedarf es der alten Bürgertugenden Zivilcourage und Eigenverantwortung, die immer mehr auf dem Altar der Bequemlichkeit und der Versorgungsmentalität geopfert werden.

Grüße
Eckard.

Hallo Eckard,

erst einmal danke für Dein Lob!

Sind wir nicht bereits mittendrin und nicht mehr an jenem Anfang, gegen den wir hätten wehrhaft sein sollen? Im Grunde strampeln wir mit unseren relativ vernünftigen Argumenten gegen einen Wust der Unvernunft „von oben“. Der Begriff ‚Unvernunft‘ stellt aber nur einen hilflosen Versuch dar, diesem Wust einen Namen zu geben, denn wäre es tatsächlich blosse Unvernunft, wäre ihr sehr leicht mit Argumenten und Belegen zu begegnen. Vielmehr verbergen sich dahinter „Sachzwänge“, Lobbyismus, Abschöpfung von zuvor geschaffenen Meinungspotentialen und was weiss ich noch alles.
   Hier muss sich die Zivilcourage ebenso gegen jene richten, die sie mündigen Bürgern vorpredigen, auch wenn das nicht unbedingt in ihrer Absicht lag.
   Ich weiss nicht, ob wir bei der Versorgungsmentalität das gleiche meinen oder diese in verschiedene Richtungen projezieren. Vor allem sehe ich hier, dass die Bürger glauben, mit einer Wahl hätten sie ihre Pflicht erfüllt, wären damit der Verantwortung entbunden und könnten nun die Politiker nach eigenem Ermessen agieren lassen. Im Grunde wäre das auch richtig, heissen sie doch nicht ohne Sinn „Volksvertreter“.

(Entschuldige, ich breche hier abrupt ab, weil mich momentan etwas Übelkeit überkommt. Diese rührt allerdings nicht vom Thema her, sondern weil ich über Nacht ein wenig krank geworden bin.)

Marco

hallo marco,

was passiert denn,wenn man verantwortung übernimmt?

man hat arbeit ohne nutzen,es tauchen plötzlich
gegner auf,und wenn es schief geht,dann er-
scheinen mit einmal schlauschnacker und
paragraphenreiter und treten nochmal zu.

mit gleichgültigkeit wird das leben leichter.

mfg

kunde3

Hi

mit gleichgültigkeit wird das leben leichter.

Aber nur, solange es noch Menschen gibt die Verantwortung für die gleichgültigen übernehmen. Wäre allen alles Gleichgültig würde wohl nix mehr funktionieren…

Grüßle
Frank K.

Gleichgültig ist etwas, das…

was passiert denn,wenn man verantwortung übernimmt?

man hat arbeit ohne nutzen,es tauchen plötzlich
gegner auf,und wenn es schief geht,dann er-
scheinen mit einmal schlauschnacker und
paragraphenreiter und treten nochmal zu.

mit gleichgültigkeit wird das leben leichter.

         Gleichgültigkeit ist etwas,
         das man von anderen mit Zinsen zurückbekommt.

         (Walther von Hollander)

[Ursprünglich waren die Zeilen als eine Antwort an Goosi zum
Thema der Fingerabdrücke-Aktion in Frankfurt gedacht.
http://www.wer-weiss-was.de/cgi-bin/forum/showarticl…
Doch dann die Sache immer länger, weshalb ich sie als
eigenständigen Artikel hier hineinstellen möchte.]

Hallo…

Ein weiteres Beispiel, wie es um den Schutz der Kinder
bestellt ist, wurde gestern abend in der MONITOR-Sendung
(http://www.wdr.de/tv/monitor) genannt, als es um die
Sicherheit von Kinderspielplätzen ging.

ich glaube nicht, dass es hier einen schreiber gibt, der nicht für mehr sicherheit an kinderspielplätzen ist.

Aufgrund fehlenden
Geldes in den Kommunen werden diese nicht ausreichend
gewartet, wodurch bereits mehrere Kinder umkamen.

mich würde interessieren, wie viele kinder es in welcher zeit und ich welcher region waren. unglücke gab es immer. jedes einzelne unglück ist eines zu viel und aus jedem einzelnen unglücksfall müssen möglichkeiten geprüft werden, die eine wiederholung ausschliessen. ich habe die monitor-sendung leider nicht gesehen, aber dass kinder am spielplatz wegen baulicher mängel zu tode kommen, kann ich mir vorstellen, auch wenn ich die details nicht kenne.

   Auch an dieser Stelle müsste man fragen: Wer war der Täter?
Wie so viele Vergleiche mag auch dieser hinken, aber die Crux
ist, dass es bei einem „direkten“ Kindermord einen bestimmten
Täter gibt, während er sich bei einem „indirektem“ im
Verwaltungsapparat versteckt, in dem jeder dem anderen die
Verantwortlichkeit in die Schuhe schieben.

gibt es bei jedem todes- oder unglücksfall einen täter? wenn ein kind auf der strasse rennt und ohne fremdeinwirkung stürzt, hat dann die strassenbaubehörde für verletzungen zu tragen, weil die strasse geteert und nicht gepolstert ist? was ist ein indirekter mord?? was mord ist kann jeder selbst im § 211 stgb nachlesen. einen menschen, der beispielsweise ein kind „zur befriedigung des geschlechtstriebes, heimtückisch oder grausam…“ tötet, mit einem verwaltungsangestellten in einem atemzug zu nennen, der aus welchen gründen auch immer vielleicht seiner sorgfaltspflicht bei der überprüfung eines kinderspielplatzes nicht nachkommt, finde ich ungeheuerlich. auch wenn ich persönlich probleme mit dem wort schuld habe, zwischen absicht und fahrlässigkeit (evtl. begangen durch unterlassen) sollte man schon unterscheiden!

Teilweise haben hier die Medien keine Möglichkeit, diesen
Apparat zu durchdringen, weil entweder Interviews abgelehnt
werden oder - im doppelten Sinne - sich hinter
Verwaltungsakten versteckt wird. Allerdings ist es für die
Medien eben auch nicht so aufregend und quotensteigernd, hier
einen Täter festzustellen.

die medien berichten doch! oder zählt die sendung monitor nicht zu den medien? ich habe die fragliche sendung nicht gesehen. den „tätern im verwaltungsapparat“, ich mag nicht ausschliessen, dass es welche gibt, billigt man denen eigentlich nicht ein aussageverweigerungsrecht zu?? ich habe noch nie gehört, dass sich medien über einen kindermörder aufregten, der sich nicht zu seiner tat äußern wollte. mit recht wird das aussageverweigerungsrecht vehement verteidigt.
aber es sollte für alle gelten.

Hierfür „eignen“ sich eben Mord,
Massentest und ein einziger Täter besser, weil das ein
eindeutiges „Feindbild“ ergibt, von dem sich das geneigte
Publikum abgrenzen kan und damit seine eigene Tadellosigkeit
bestätigt findet. (Man denke auch einmal an die derzeit häufig
ausgestrahlten „Justiz-Shows“.)

hier ist was wahres dran. manche dinge sollten wirklich dort bleiben wo sie her sind, aber die brüllshows der gegenwart machen uns voyeuristische zuschauer zu mitwissen der freimütig ausgeplauderten intimitäten wildfremder menschen.

Es mag zynisch wirken, wenn man dem Wunsch nach der eigenen
Freiheit einen Kindermord gegenüberstellt, und einige Vätern
und Mütter werden dies erst recht nicht verstehen, wenn sie
Berichte über solche Morde hören und sehen und dabei an ihre
eigenen Kinder denken. Wer könnte ihnen diese Sorge nicht
verdenken!

wirklich zynisch wäre meines erachtens die feststellung, dass kein zynismus das reale leben übertreffen kann. :wink: ernsthaft: freiheit ist eines unserer grössten güter. dieses gut ist ständig bedroht. freiheit ohne ordnung wird zur anarchie. freiheit bei überbetonung der ordnung wird zur unterdrückung. ordnung ist ohne freiheit möglich, nicht aber freiheit ohne ordnung. jede macht trägt in sich die gefahr, missbräuchlich angewendet zu werden. schon montesquieu erkannte: „die macht muss der macht schranken setzen.“ und nicht zuletzt wegen der besonderen deutschen erfahrungen in der mitte des letzten jahrhunderts wurde in unserem grundgesetz die macht nicht nur auf die drei organe verteilt, sondern auch der föderative aufbau und die gewaltenteilung zwischen regierung und opposition
festgeschrieben. darüberhinaus sorgen medien und die interessenverbände (gewerkschaften) für eine balance. nicht zuletzt das bundesverfassungsgericht hat immer freiheitsrechte verteidigt und minderheiten geschützt!

   Doch ist es wirklich zynisch von den „Verweigerern“, wenn
sie sich gegen die latente Aushöhlung der Grundrechte zu
stemmen? Denken sie dabei nicht an die Sorgen um die Kinder?
Einige mögen das schnell bejahen, doch ich möchte eine
Gegenfrage stellen: Wäre es dann nicht ebenso zynisch, wenn
Medien geradezu „froh“ sind über solche spektakulären Fälle,
weil sie in jedem Menschen rühren und jeder an solchen
Schicksalen teilhaben will? Sind es nicht die Medien, die
dabei immer wieder über das Ziel einer nüchternen
Berichterstattung hinausschiessen und dabei eine gewisse
„Geilheit“ bedienen, weil es sich eben gut verkauft? In meinen
Augen ist diese Art und Weise, mit Blut und Tränen Profit zu
machen, nicht nur zynisch, sondern auch moralisch fragwürdig.
(Als kleiner Gedankenstrich sei die Vermutung angestellt, ob
sich nicht potentielle Täter an solch ausführlichen Berichten
hochziehen.)

zur freiheit gehört eben auch verantwortung! ich sehe die sorge vor einer „der latenten aushöhlung von grundrechten“ (gemeint ist offenbar die persönliche freiheit) und im zweiten teil wird dann die pressefreiheit bedauert? ich kenne die argumente, die presse sei eine herrschaft der wenigen (oligopol). die tatsache, dass reisserische artikel auflagesteigernd wirken, wird ein bezeichnendes bild auf die seele unserer gesellschaft.

Einige besorgte Menschen werden auch diese Ausführungen nicht
akzeptieren können, denn schliesslich passieren die
Kindermorde - ganz gleich, ob die Medien darüber nun berichten
oder nicht - und die Täter müssen ermittelt werden, damit sie
keine weiteren Taten verüben können.
   Natürlich wäre es angenehm, wenn Mörder möglichst schnell
gefasst werden, und noch angenehmer wäre es, wenn solche Taten
erst gar nicht passieren. Aber das wäre das Ideal.

schön, dass ich das noch lesen darf! an diesem ideal sollten wir alle arbeiten.

Eine
Wunschvorstellung. Die Wirklichkeit sieht jedoch anders aus,
denn einen vollkommenen Schutz gibt es nicht, weshalb auch in
Zukunft solche Morde weiterhin geschehen werden.

sicher werden weiter morde geschehen, aber es sollte anerkanntes ziel der gesammten gesellschaft sein, ständig an einer reduzierung zu arbeiten.

   Als vor, meines Wissens nach, mehr als einem Jahrhundert
die Fingerabdrücke als Beweismittel entdeckt wurden, zogen
Verbrecher Handschuhe an. Nun haben wir die DNA-Analyse, und
auch hier werden Täter mit der Zeit „dazulernen“. Auch werden
sie (zum Beispiel aufgrund der detaillierten Medienberichte)
immer häufiger wissen, was sie zu beachten haben, um
Tatnachweise möglichst gering zu halten. (Siehe etwa der
Versuch, ein ermordetes Mädchen im Wald zu verbrennen.)

eine weiterentwicklung ist in den meisten bereichen des menschlichen lebens feststellbar. wollen wir deshalb zurück? in die gute alte zeit?

Ebenso

werden sie den Massentests immer öfter dadurch ausweichen,
dass zwischen Täter und Opfer möglichst keine Beziehung
hergestellt werden kann und diese Tests somit ins Leere
laufen. (Ich hatte mich hier ja bereits verwundert gezeigt,
weshalb die männlichen Bewohner der westlichen Stadtteile rund
um den Tatort des Höchster Bahnhofs ihre Fingerabdrücke
abgeben sollen, während die abertausende in Höchst arbeitenden
Pendler sowie der Ort Niedernhausen [Fundort von Tristans
Rucksack] unberücksichtigt bleiben.)

ich bin sicher, dass die zuständigen personen hier sachliche argumente haben. ich bin aber nicht sicher, dass diese auch (zumindest im gegenwärtigen zeitpunkt)an die öffentlichkeit gehören.

Wie in diesem Thread bereits angemerkt wurde, stehen die
Ermittlungsbehörden unter Druck. Zwar soll mit diesen
Massentests der Täter gefunden werden, doch vorrangig geht es
darum, die Öffentlichkeit durch tatkräftige Aktionen zu
beruhigen.

unbestreitbar ist das sicherheitsgefühl der bevölkerung eine wichtige angelegenheit. wenn man von vorrangigkeit spricht, sollte man das auch beweisen! im übrigen kann die beweiskräftige aufklärung von straftaten und die aburteilung von straftätern auch als wesentlicher beitrag zur prävention gesehen werden.

Der öffentliche Druck wird allerdings erst durch
das grosse Medieninteresse erzeugt. Ich frage mich manchmal,
ob beispielsweise das Gladbecker Geiseldrama glimpflich
vergelaufen wäre, hätten sich die Medienvertreter
zurückgehalten und wäre der spätere BILD-Chef Röber nicht in
Kölner Fussgängerzone in das Fahrzeug der Geiselnehmer
gestiegen.

ich hoffe, dass aus dieser tragödie die richtigen konsequenzen gezogen wurden. spekulieren möchte ich in dieser frage nicht.

   Was aber ist der sogenannte „öffentliche Druck“, dem sich
so schwer zu entziehen ist? Es ist der psychische Druck, der
auf einzelnen Personen oder einer ganzen (Ermittlungs-) Gruppe
liegen kann; an manch einem gleitet er wie Regenwasser von
Lotusblüten ab, andere hingegen werden ständig hektischer und
neigen dadurch zu Fehlern. Insbesondere dann, wenn
Verantwortliche selbst den Druck an die Untergebenen
weiterleiten und schnelle Ergebnisse sehen wollen.

welcher verantwortliche hat welchen untergebenen wie unter druck gesetzt?

   Um den psychischen Druck selbst nachempfinden zu können,
sollte man sich einmal vorstellen, permanent von
Fernsehkameras/Fotoapparaten/Personen verfolgt zu werden, was
immer man auch macht. Man weiss allerdings nicht, wann man
beobachtet wird und wann nicht. Je länger diese Ungewissheit
vorherrscht, desto unsicherer verhält man sich. Das eigene
Handeln wird ständig reflektiert. Dies erzeugt über kurz oder
lang ein Duckmäusertum, weil man keine Information darüber
erhält, ob man richtig handelt oder nicht, auch wenn man ein
gutes Gewissen besitzt. - Vielleicht kennt der/die eine oder
andere die Situation, wenn in Bus oder S-Bahn plötzlich
Kontrolleure den Fahrausweis sehen wollen. Ich fühle mich
dabei oft etwas unbehaglich und wie ertappt, obwohl ich genau
weiss, dass ich einen Fahrausweis habe. Oder ist Euch schon
einmal aufgefallen, wie bedächtig Fahrzeughalter fahren,
sobald ein grün-weisses Auto in ihrer Sichtweite auftaucht?

das erscheint mir nachempfindbar.

   Wie müssen sich wohl erst Menschen fühlen, die zeitlebens
als „unbescholtene Bürger“ galten und sich plötzlich
Mordvorwürfen ausgesetzt sehen? Ja, sicherlich, im Grunde tut
es nicht weh, Fingerabdrücke oder Speichel abzugeben. Doch wie
unbehaglich den Menschen zumute ist, ad hoc irgendwelchen
Verdächtigungen ausgesetzt zu sein, zeigt schon der
Zeitungsbericht, dass in Frankfurt gleich zu Anfang 900 der
vorerst ca. 4500 Männer, also ein Fünftel, ihre Fingerabdrücke
abgegeben haben, obwohl diese Aktion bis Ende Mai andauert.

kann es nicht sein, dass diese 900 den sinn der massnahme verstanden haben und mithelfen wollen, die sache so schnell wie möglich aufzuklären? vielleicht kann der mord ja schneller aufgeklärt werden und damit ein anderer verhindert??

Auch wenn die Auswertung wiederum eine ganze Zeit braucht,
wollte man(n) durch die schnelle Abgabe die eigene
Unbescholtenheit bezeugen.

haben die betroffenen personen das selbst geäußert? oder wollten sie nur die sache vom tisch haben? wie kommt man zu einer solchen behauptung? eine solche aussage sollte man schon schlüssig untermauern.

Wie schon weiter oben gesagt, werden Morde weiterhin
geschehen. Doch gleichfalls auch Sexualstraftaten und
dergleichen. Natürlich nicht nur an Kindern. Was ist die Folge
daraus: Werden sich diese Massentests etablieren?
   Dananch sieht es allmählich aus, wie ein 26 Jahre
zurückliegender Mord an einer 16jährigen Schülerin in Bad
Hersfeld zeigt. Wahrscheinlich werden die Ermittlungsbehörden
alte Fälle neu aufarbeiten - von den neuen ganz abgesehen -
und weitere Massentests veranlassen. Bis jetzt, so heisst es
zumindest, werden die jeweils gewonnenen Daten nach einer
solchen Aktion wieder vernichtet.

ängste auf diesem gebiet zeugen von einem misstrauen dem staat gegenüber. bis zu einem gewissen punkt sind diese ängste auch nachempfindbar. alle argumente sollten sorgfältig abgewogen werden. im übrigen steht wohl jedem der rechtsweg offen. wenn ich mir die rechtsprechung unseres verfassungsgerichtes, so wie ich sie bisher erlebt und verstanden habe, ansehe, dann habe ich keine sorge, dass dieser rechtsweg nicht ausreichend wäre.

Aber gerade in
Ballungsgebieten könnte das bedeuten, dass die Menschen stets
aufs Neue zu „freiwilligen“ Massentests geladen werden, und
möglicherweise wird irgendwann der Ruf laut, die einmal
gewonnenen Daten dauerhaft festzuhalten. Und damit auch die
der „unbescholtenen Bürger“.
   Spätestens wenn hierfür eine breite Akzeptanz in der
Öffentlichkeit gewonnen wurde - wofür Politik und Medien schon
sorgen werden -, wird man sich daran erinnern, dass es nicht
nur Mordfälle gibt. Wenn man bereits diese Daten hat, kann man
sie ja auch mit anderen Fällen vergleichen, denn der
gesetzestreue Bürger wird doch sicherlich ein Interesse haben,
dass jeder Fall aufgeklärt wird. (Wer will das schon gern
verneinen wollen!?) Somit vergleicht man die Daten erst einmal
mit Sexualdelikten, danach eventuell mit Diebstahl… bis man
irgendwann die ganze Palette des Strafgesetzbuches durch hat.

das sind durchaus gute argumente, die unterlagen nach einem massentest nicht mehr zu vernichten. wäre es tatsächlich der untergang des abendlandes, wenn ein fahrrad-diebstahl nicht mit einem fingerabdruck, sondern mit einem dna-profiling geklärt wird?

an dieser stelle möchte ich mit meinen ausführungen abbrechen. mir ist klar, dass es hier um meinungen geht. mit einer sehr einseitigen meinung habe ich mich eben lange genug beschäftigt. mir ist klar, dass ich auch mit den brillantesten argumenten den schreiber nicht vor seinem tiefen misstrauen dem staat gegenüber abbringen werde. auch wenn ich manche sorge mit ihm teile.

ein ehrlich gemeinter gruss

norbert

   Die Unschuldsvermutung hat sich dann schon völlig
umgekehrt, denn als „unbescholten“ gelten nur noch diejenigen,
die bereits erfasst sind und bei der Eingabe von
Ermittlunsdaten vom Computer nicht als Treffer ausgegeben
werden. Man müsste sich also auf den Kopf zusagen lassen,
jedes Verbrechen im Lande begangen zu haben, solange man seine
Unschuld nicht belegen kann. Diese ständigen
Unschuldsbezeugungen würden „glücklicherweise“ durch die
eigenen bereits abgegebenen Daten per Computer automatisiert
werden. Sollte man trotzdem einer Tat beschuldigt werden,
fiele es schwer (von klassischem Mitteln wie etwa eines Alibis
einmal abgesehen), den Gegenbeweis anzutreten. Wie soll man
das auch machen, wenn man selbst keinen Zugang zu den Daten
hat? Schon heute kann man ja nicht sicher sein, dass die
eigenen Daten nach einer Aktion trotz gegenteiliger Aussagen
wirklich gelöscht werden. Es sollte zwar so sein, doch ebenso
sollte es so sein, dass Bürger gesetzestreu leben, Polizisten
Rechte und Gesetze kennen, Politiker keine verfassungswidrigen
Einkommen beziehen, Arbeitsämter keine Vermittlungsdaten
fälschen, Bund und Städte und Kommunen keine Steuergelder
verschwenden und, last but not least, Männer und Frauen
gleichberechtigt sein sollen. Es sollte so sein - dass die
Realität allerdings anders aussieht, erleben wir jeden Tag.

Man muss noch nicht einmal selbst als möglicher Täter in das
Licht von Ermittlungen rücken; es würde bereits genügen, auf
irgendeine Weise mit einer Person verkartet, also verknüpft zu
sein. Der Computer stellt hierfür ein ausgezeichnetes Mittel
dar, Zusammenhänge herzustellen und zu speichern. So kann man
zum Beispiel unwissentlich Umgang mit einem Hehler gehabt
haben; somit war man womöglich mit dieser Person verkartet.
Eines Tages stehen Uniformierte vor der Tür, die sich
vielleicht ein bisschen zu sehr über die neue
Unterhaltungselektronik in der Wohnung wundern und gerne
wissen möchten, woher diese stammt. Also versucht man den
regulären Kauf zu beweisen, doch weil man die Belege
versehentlich schon weggeworfen hat, fällt es schwer. - Wie
steht es an dieser Stelle dann um die Unschuldsvermutung!?
   Natürlich ist das jetzt nur ein herbeigezogenes Beispiel,
aber die Akzeptanz der Bevölkerung wird stets ein bisschen
mehr gewonnen, wenn man ihr nur oft genug erklärt, in welch
unsicheren Zeiten wir leben. Medien und Politik tun ihr
übriges, wie sehr deutlich an der (statistisch) sinkenden Zahl
der Kindermorde, aber dem verstärkten Medieninteresse und
damit einhergehenden Politikhandlungen erkennbar war und ist.
Wer sich unsicher fühlt - selbst wenn dafür kein Anlass
besteht - ruft zwangsläufig nach mehr Sicherheit, und ich habe
mir schon ein ums andere Mal die Frage gestellt, ob man in
„höheren Kreisen“ gegen gewisse Delikten deshalb nur eher
zögerlich vorgeht, um ein erhöhtes Sicherheitsbedürfnis zu
wecken, das man umgehend mit neuen Gesetzen und
Reglementierungen zu bedienen weiss. Hier hätten wir es mit
einem Fall der Konsensproduktion zu tun, die der amerikanische
Professor Noam Chomsky immer wieder aufgreift:

_Wie man das Bewusstsein der Öffentlichkeit reglementiert

[…] Vor 250 Jahren hat sich David Hume in einem klassischen
Essay mit diesen Fragen
auseinandergesetzt. Hume war erstaunt darüber, mit welcher
Leichtigkeit sich die vielen von den wenigen regieren lassen
und sich unterwerfen, indem sie ihr Schicksal in die Hände
ihrer Herrscher legen, obwohl doch die Macht immer auf Seiten
der Regierten liege. Würden die Beherrschten das erkennen,
würden sie sich erheben und ihre Herren stürzen. Er schloss
daraus, dass Regierungsherrschaft auf „Meinung“ (opinion)
beruht; ein Grundsatz, der für die despotischsten und
militärischsten Regierungen ebenso gelte wie für die freiesten
und republikanischsten.
   Sicherlich unterschätzte Hume die Wirksamkeit brutaler
Gewalt. Zutreffender dürfte sein, dass eine Regierung um so
stärker auf Meinungskontrolle zur Sicherung ihrer Herrschaft
bedacht sein muss, je „freier und republikanischer“ sie ist.
   Dass die Bevölkerung sich unterwerfen muss, wird nahezu
unhinterfragt angenommen. In einer Demokratie haben die
Regierten das Recht zuzustimmen, mehr aber auch nicht. In der
Terminologie des modernen fortschrittlichen Denkens sind sie
„Zuschauer“, aber - abgesehen von der gelegentlichen
Möglichkeit, zwischen Repräsentanten authentischer Macht zu
wählen - keine „Beteiligten“. Das gilt nur für die Politik,
während die Bevölkerung im Bereich der Wirtschaft, deren
gesellschaftliches Wirken weitgehend festgelegt ist, gemäss
der dominierenden Demokratietheorie überhaupt nichts zu suchen
hat._

Aus: „Profit over People - Neoliberalismus und globale
Weltordnung“, Noam Chomsky, Europa-Verlag

Doch welchen Grund sollte es geben, der Bevölkerung ein
überzogenes Sicherheitsbedürfnis einzureden? Simpel
ausgedrückt: Damit sich die Menschen besser und einfacher
regieren lassen und nicht jede Autorität oder Anordnung in
Zweifel ziehen. Der Furchtsame akzeptiert eher Einschränkungen
seiner Freiheit als der Mutige. Oder mit George Bernard Shaw
gesprochen: „Freiheit bedeutet Verantwortlichkeit. Das ist der
Grund, weshalb die meisten Menschen sich vor ihr fuerchten.“
   Aber es gibt auch noch weitere Gründe. Nehmen wir einmal
an, eine Regierung bräuchte kein Sicherheitsbedürfnis
bedienen, und auch ansonsten wäre die Bevölkerung relativ
zufrieden und in dem Land ginge es ruhig und gerecht zu. Eine
Opposition hätte in einem solchen Fall kaum eine Chance, sich
zu profilieren. Wenn es aber keine „Kriegsschauplätze“ gibt,
müssen welche geschaffen werden. Also schürt man Misstrauen
gegen die Regierungspolitik, obwohl dafür so gut wie kein
Anlass besteht. Eine Opposition muss selbst gegen gute
Zustände angehen, verlöre sie doch ansonsten ihre
Existenzberechtigung (und nicht zuletzt den Kampf um Pfründe).
Was liegt also näher, als den Menschen noch mehr Sicherheit,
noch mehr Steuerbefreiung, noch mehr Arbeit, noch mehr
Kindergartenplätze etc. pp. zu versprechen. Da
Wahlkampfversprechen aber juristisch nicht bindend sind, sind
solche Willenserklärung der Politiker ebenso sinnvoll wie
Versprechen, für mehr Gugelhupfe und mehr Fönfrisuren
einzutreten. - Die Realität bzw. die Medien zeigen uns
alltäglich die Profilierungsversuche der Politiker, wobei
wichtiger geworden ist, dass man etwas sagt, und nicht was man
sagt.
   Irgendjemand wird immer den Ruf nach Sicherheit bedienen.
Schon bereits vor ca. 1500 Jahren, als Menschen in
Mitteleuropa zu sesshaften Bauern wurden, gaben sie den
Kräftigsten Waffen an die Hand und erkoren diese dazu, sie vor
Feinden zu schützen. Dafür brauchten diese Männer nicht zu
arbeiten und erhielten Kost und Logis. Irgendwann fühlten sich
die Kräftigen aber so mächtig, dass sie die Waffen gegen die
eigenen Leute richteten und sie unterdrückten. Dadurch
entstand der Adel, der bis zum heutigen Tag riesige Ländereien
in Deutschland seinen Besitz nennt.
   Allzu oft genügt allein ein Blick in die Vergangenheit, um
die zukünftigen Ereignisse vorauszuahnen; die Schemata waren
sich stets sehr ähnlich. Wenn wir heute darüber diskutieren
und streiten, welche Befugnisse wir der Politik und damit
letzten Endes auch den Ermittlungsbehörden einräumen, dann
gilt es zu beachten, dass Machtkonzentrationen immer
ausgenutzt wurden, da Recht und Gesetz sowie sinnvolle,
politische Entscheidungen durch Willkür und Korruption
aufgrund fehlender Kontrolle ersetzt wurden. Die verzweifelten
Profilierungsversuche der etablierten deutschen Parteien auf
ein und denselben Themenfeldern sollte bisweilen nachdenklich
stimmen, ob hier noch Politik für die Bevölkerung gemacht wird
oder wir nur Schauspielern zusehen, die wir dafür üppig
entlohnen. „Demokratie“ und „freiheitlich-demokratische
Grundordnung“ werden hierbei zu wohlklingenden Phrasen, die
jedoch nicht wahrer werden, bloss weil sie oft genug von
unseren Volksvertretern wiederholt werden - man muss diese
Begriffe endlich einmal mit Substanz füllen, statt der
permanenten Aushöhlung beiläufig zuzustimmen.

Ob Johann Wolfgang von Goethe auch seine Fingerabdrücke in
Frankfurt abgegeben hätte? Jedenfalls schrieb er einmal: „Man
muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns
herum immer wieder gepredigt wird, und zwar nicht von
einzelnen, sondern von der Masse.“

Literatur:

Hansjoachim Tiedge, „Der Überläufer. Eine Lebensbeichte.“
http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/2499/1…

Bernt Engelmann, „Wir Untertanen“
Bernt Engelmann, „Einig gegen Recht und Freiheit“
http://www.sozialismus-von-unten.de/archiv/svu4/50ja…

Noam Chomsky, „Profit over People - Neoliberalismus und
globale Weltordnung“
http://www.chomskyarchiv.de

Marco

Sind ihr schon so weit?
Hallo!

das sind durchaus gute argumente, die unterlagen nach einem
massentest nicht mehr zu vernichten. wäre es tatsächlich der
untergang des abendlandes, wenn ein fahrrad-diebstahl nicht
mit einem fingerabdruck, sondern mit einem dna-profiling
geklärt wird?

Ich weiß ja nicht, wie das bei euch in Deutschland ist (habt ihr schon flächendeckend eure Fingerabdrücke in den Akten?), aber mir wurde nie der Fingerabdruck abgenommen (ich hoffe mal, das heißt auch wirklich, der Staat hat keine Akte von mir mit meinen Fingerabdrücken). Und Massen-Fingerabdruck-Registrierungen würden mich genauso entsetzten wie Massen-Gen-Tests.

Gruß,
Grushnak

Hallo Eckard! Auch hier? :smile:)
hallo eckard,

ich hoffe mal, dass er informationsaustausch hier nicht ganz so einseitig verläuft wie in dem anderen.

dort war auch mehr das wissen gefragt und hier scheint es vorrangig um meinungen zu gehen. ich werde mich aber sicher wieder mit einem mail rühren, wenn ich geeingete fragen habe.

auch wenn ich den ausgangsartikel hier nicht so hervorragend fand, kann ich deinen letzten satz hier voll unterschreiben. allerdings sehe ich im moment keine unmittelbare bzw. akute gefahr für unsere freiheitsrechte. die verflechtungen der wirtschaft und die weltpolitische lage machen mir da mehr sorgen.

schönen gruß

norbert

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