Mich würde interessieren, wie stark sich Hochdeutsch in den letzten 500 Jahren verändert hat, und ob man sich problemlos verständigen könnte, würde man mit einer Zeitmaschine zurückreisen. Danke.
Hi,
es würde sich sehr anders anhören.
Zum einen verändern sich nämlich nicht nur die deutschen Dialekte im Verlaufe der Zeit, sondern es wurden auch andere Dialekte als Hochdeutsch bezeichnet. Zur Zeit ist es das Deutsch aus der Gegend um Hannover. Zur Zeit Luthers war es das Meißner Sächsich.
Inwieweit das heutige Meißner Sächsisch dem damaligen ähnelt, dazu muss sich jemand anderes äußern.
die Franzi
Servus,
die „Lutherbibel“ ist zwar nicht die einzige Quelle des modernen Standarddeutschen, aber wohl die wichtigste: Luther wollte für eine breite Bevölkerung verständliches Deutsch schreiben, indem er ‚dem Volk aufs Maul schaute‘. In der Tat gehen einzelne Elemente der heutigen Standardsprache auf Regionalismen der von Luther gesprochenen und geschriebenen Sprache zurück, unter anderem das weibliche Geschlecht der Butter, das vorher nur ganz wenig verbreitet war.
Es wurden und werden erst seit der systematischen Einordnung und Klassierung der deutschen Dialekte (im Lauf des 19. Jahrhunderts) immer dieselben Dialekte als hochdeutsche Dialekte bezeichnet, nämlich zusammengefasst die ober- und die mitteldeutschen.
Ein mitteldeutscher Dialekt, nämlich das Thüringische nördlich des Thüringer Waldes, war der, der über die Lutherbibel das Muster für das heutige Neuhochdeutsch gegeben hat. Wenn Luther selbst bekennt, die sächsische Kanzleisprache zu verwenden, so ist damit keineswegs ein sächsischer Dialekt gemeint, sondern eben eine genormte Standardsprache, die seinem Thüringisch sehr ähnlich war.
Wie ähnlich das lutherische und reformierte Deutsch dem heutigen ist, kann man an den etwa hundert Jahre nach der Reformation entstandenen Liedern von Paul Gerhardt erkennen, der die evangelischen Kirchen mit einem großen Teil ihres bis heute gepflegten Liedguts versehen hat: Eine anders klingende Sprache ergäbe auch einen anderen Gesang, aber diese Lieder sind heute wie damals wie sie sind.
Auf die unausrottbare Legende vom in Hannover angeblich gesprochenen „reinen Hochdeutsch“ und die Geschichte, wie die Hohenzollern diese Sprache gar künstlich nach Hannover gebracht haben, um vergessen zu machen, dass es mal ein Königreich Hannover mit im Gegensatz zu ihnen tiefdunkelblaublütigen Königen gegeben hatte, gehe ich hier nicht weiter ein, und empfehle schlicht einen Besuch im „Swarten Fuhrberg“: Dort kann man hören, wie in Hannover gesprochen wurde, bevor den Hannoveranern das hannöversche Platt mit aufgepflanztem Bajonett ausgetrieben wurde.
Und zurück zu Deiner konkreten Frage: Der Originaltext der Lutherbibel enthält bereits alle wesentlichen Elemente des modernen Neuhochdeutschen, es gab seither keine Lautverschiebung mehr, die Vokale und Diphtonge lauten heute nicht anders als damals, und wenn etwa hie und da z.B. ein ungewohntes „th“ steht, heißt das nicht, dass anders gesprochen worden wäre - es wurde in diesem Punkt eben anders geschrieben.
Schöne Grüße
MM
à propos Fuhrberg: Dort ist der Horizont eine gerade Linie, und dass man dort nichts mit Ober- oder Mitteldeutsch, mithin Hochdeutsch, am Hut hat, zeigt auch die eher unbarocke und unkatholische Lebens- und Denkweise der Fuhrberger Bauern. Wenn einer von der Fuhrberger Jagdgenossenschaft im ‚Deutschen Haus‘ beim Hirsch-Totsaufen mitsamt Barhocker in die Horizontale donnert und der Wirt sich besorgt über die Theke beugt und schaut, ob mit dem Umgelegten noch alles in Ordnung ist, kommt von unten: ‚Na, wenn dat so is, denn giv‘ mi noch ein’ im Liegen!’ - also nicht das von Otto Walkes und Torfrock bekannte Platt aus dem Nordwesten, aber doch immerhin klares Niederdeutsch.
Wie auch immer - dass man sich zwischen Börde und Heide ‚eigentlich‘ bereits im lutherischen Norden befindet, wo eben Niederdeutsch und kein Hochdeutsch gesprochen wird, zeigen auch solche Einzelheiten des Alltags, die sich im mittel- und süddeutschen Gehügel nicht so abspielen würden - Heitjer sind anders:
In diesem Sinne
MM
Hallo,
nun bin ich um die Erkenntnis reicher, dass Butter in der Bibel (zugegeben: Luther 1984) nur ohne Artikel vorkommt. Luthers prägender Einfluss auf die Butter muss in anderen Schriften stattgefunden haben.
(Gibt es die WA online mit Suchfunktion?)
Buttergrüße,
Jule
Servus,
das ist ja spannend. Dann bleiben anompfirsich nur die Tischreden (und das Hörensagen, auf das ich mich als Quelle hiermit berufe).
Schöne Grüße
MM
Hallo Jule,
wie (und zugleich weil) im hebräischen Text ja ebenfalls.
Buttergrüße
חמאה וחלב Grüße
Metapher
Hallo Metapher,
eben wollte ich fragen, ob ich wohl noch etwas דבש dazu bekommen könnte, da kam mir eine neue Frage. Magst Du mir ins Relibrett folgen?
Süße Grüße,
Jule
Danke für Eure Antworten. Um meine Frage noch einmal zu konkretisieren: Wenn Luther heute in Wittenberg bei Aldi an der Supermarktkasse stehen würde, würde der Kassiererin -rein sprachlich- etwas auffallen oder wäre die gesprochene Sprache so ähnlich, dass das nicht auffallen würde. Danke Thomas
Servus,
Luther würde vielleicht ähnlich klingen wie heute die aus Rumänien zurückgewanderten Siebenbürger Sachsen oder die aus der Batschka zurückgewanderten Banater Schwaben, vielleicht auch Bessarabiendeutsche, die Deutsch, Mittelfränkisch, Schwäbisch vom Ende des 17. Jahrhunderts konserviert haben, die sich von dem, das Anfang des 16. Jahrhunderts im Norden Thüringens gesprochen wurde, nicht so dramatisch unterschieden. Diese Dialekte kannst Du auf der anderen Seite, nämlich an der Kasse sitzend, öfter mal erleben und hören.
Wenn Dir ein mährisch/niederösterreichischer Einschlag nichts ausmacht, kannst Du gut konserviertes Lutherdeutsch bei den Hutterern hören. Dort zu Besuch wird man allerdings erwarten, dass Du Dich einigen Regeln der ‚Gmaa‘ unterordnest. Je nach Gmaa kann es Dir passieren, dass Du zum Empfang ein wenig zweifelnd gefragt werden wirst: ‚Soo - bischt mit em Luftschief kumme? Jo, hot Di der Katholr denn herfahre g’losst?‘ In Oregon, Montana, Nord- und Süd-Dakota und Minnesota kannst Du Hutterer finden, wenn Du sie suchst, und viele Gemeinden werden Dich freundlich aufnehmen - andere weniger.
Schöne Grüße
MM
Ha ha
hi Jule,
done
zusammen mit etwas דבש für dich
Servus,
find ich eigentlich nicht lächerlich, sondern ziemlich faszinierend, wenn ich Gelegenheit habe, noch jemanden zu hören, der noch eine der nach Rückwanderung schnell aussterbenden Sprachen der isolierten deutschen Siedler im Südosten nicht nur versteht, sondern sogar noch spricht. Die Jüngsten, die z.B. Siebenbürger Sächsisch (das kein Sächsisch ist, sondern eine Mischung aus altertümlichem Schwäbisch und Rheinfränkisch) oder Banater Schwäbisch sprechen, dürften jetzt etwa sechzig sein, und es ist abzusehen, dass diese Sprachen verschwinden werden wie das Saterfriesisch, das Moselfränkisch in seiner Ausprägung von St. Vith (BE) und das ‚welche‘, eine ziemlich unabhängig vom Französischen aus der langue d’oïl entwickelte romanische Sprache, die nur noch von wenigen Leuten zwischen Schirmeck und Lapoutroie gesprochen wird.
Nun ja, einen unmittelbaren ‚Nutzen‘ haben solche verschwindenden Sprachen nicht, aber es kommt mir schon vor, als verschwände mit jeder sterbenden Sprache eine Ausdrucks- und Verständigungsmöglichkeit. Es wird etwas fehlen, wenn der Schweizer Wetterdienst nicht mehr solche Radtschläge veröffentlichen wird (das wird wohl noch in diesem Jahrhundert sein):
Recumandaziuns da cumportament durant vents ferms:
observar il svilup local da l'aura, s'infurmar ed adattar il cumportament a las relaziuns.
resguardar las annunzias push da l'app da MeteoSvizra.
resguardar ils alarms da stemprads sin ils lais.
tegnair distanza da las rivas da lais.
sche pussaivel betg sa trategnair al liber.
tegnair distanza da guauds, d'urs da guaud, da bostga exponida e da gruppas da bostga.
tegnair distanza da pitgas electricas (pitgas intactas e pitgas terradas).
betg charrar sin vias da guaud u tras aleas da bostga.
tegnair distanza da lieus exponids sco tetgs, penslas u nas da grips.
far attenziun d'objects che crodan giu (quadrels dals tetgs, roms, conducts electrics e.u.v.).
betg reparar donns vi d'edifizis ed infrastructuras durant il stemprà (p.ex. quadrels crudads giu dals tetgs), mabain spetgar fin ch'il stemprà è tschessà.
en mintga cas suandar las instrucziuns da las autoritads.
A revair!
MM
und noch eine Quelle, mit der man sich ungefähr vorstellen kann, wie das ungefähr zweihundert Jahre vor der Reformation klang: Hochmittelalterliches Deutsch und hochmittelalterliches Volkslatein kann man hier hören, in einigen Sendungen sogar im Dialog gesprochen, wobei die Sprecher von Bündnerdeutsch und Rumantsch sich gegenseitig mühelos verstehen:
http://www.rtr.ch/emissiuns/total-local
Viel Vergnügen wünscht
MM
! תודה רבה
יולה
Hi,
Luther würde auffallen wie der sprichwörtliche bunte Hund. Das fällt schon beim Lesen auf.
die Franzi